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Ausgabe:

1968

Spalte:

366-367

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Reichert, Ernst Otto

Titel/Untertitel:

Johannes Scheffler als Streittheologe 1968

Rezensent:

Heyer, Friedrich

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Willen unterscheidet. Auch den Urfall Adams sowie Satans stellt er
unter Gottes Prädestination, doch wahrt er die durch Augustin
vorgezeichnete Grenze; Gott ist nicht Schöpfer des Bösen, ist das
Böse doch keine seinshafte Substanz, sondern pcrsonhaft-willent-
liche Abwendung vom Schöpfer.

Das fünfte Kapitel schildert Luthers existentielle Bewältigung
der Prädestinationsanfechtungen (S. 133—175). Rost zeigt, wie Luther
hier in die „resignatio in volutatem Dei" und in die Konformität
kraft der Meditation der Wunden Christi erst nach
und nach das vertrauende Sich-Hineinbergen in das Evangelium
von der Errettung in Christus einzuzeichnen vermag. Klar durchreflektiert
sei der Neuansatz erst in den Operationes in Psalmos;
,,Luthers Trost in Prädestinationsanfechtungen ist von 1519 an bis
'■u seinem Lebensende immer derselbe geblieben" (S. 166). Die
t-schatologische Zuflucht vor Gott zu Gott faßt Luther in De servo
arbitrio in die Lehre von den drei Lumina (S. 173). Der Rezensent
hält diese Schilderung von Luthers Entwicklung für zutreffend;
ein Hinweis darauf, daß Luther die augustinische Unterscheidung
und Zuordnung von Christus als Sacramentum und Exemplum, als
^abe und Vorbild (zuerst WA 57 Hebr. 114; BoA 5/348), aufgreift
und präzisiert, hätte einige Unklarheiten überwinden können.

Das Ergebnis dieser Monographie läßt sich in drei Thesen zusammenfassen
(S. 177-180):

1. Luthers Worte zur Prädestination sind mehr als eine Grenz
Perspektive der Rechtfertigung, sie sind unmittelbar verwurzelt in
seinem Fundamentalsatz von der All- und Alleinwirksamkeit Got
tes und der Willensversklavung des Menschen vor Gott trotz unserer
verantwortlichen Freiheit. Diese grundlegende Erfahrung isl
als eine Einsicht natürlicher Theologie mitgesetzt im geschöpfhaf
ten Wissen um Gott; durch unseren Selbst-Willen suchen wir sie
jedoch ständig abzuschwächen und zu verhüllen.

2. Die „tentatio de praedestinatione" ist die letzte Spitze der
»tentatio de indignatione (indignitate)"; schon in der Vorlesung
über den Römerbrief läßt Luther die Prädestinationsanfechtungen
hinter sich im ständigen Hinblicken auf die Christuskonformi
tat, erst in den Operationes in Psalmos jedoch arbeitet er unmißverständlich
das Solus Christus, solo euangelio, sola fide heraus.

3. Die Spannung zwischen Gottes heiligem Zorngericht und seiner
vorbehaltlosen Gnade schwächt Luther nicht ab, sondern er
denkt sie durch bis ins Extrem. Selbst Adams und Satans Fall sei
erfolgt unter dem Abziehen der Hand Gottes. Insofern sind die
Worte von De servo arbitrio niemals revozierle oder auch nur abgeschwächte
Zuspitzungen von Luthers Gesamlschau. Die Spannung
zwischen dem Deus nudus und dem Ileus praedicatus ist jedoch
nicht abstrakt denkerisch zu fixieren als eine „Komplementarität
", sondern sie ist in Christus existentiell auszuleiden und zu
überwinden in der eschatologischen Zuflucht vor Gott zu Gott.

Heidelberg Wibrecht Peters

Kornkumui, Heinrich: Thesen und Tuesenaiischlag Luthers.

Geschehen und Bedeutung. Berlin: Töpelmann 1967. VII, 70 S.
8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, hrsg. von K. Aland.
K. G. Kuhn, C. H. Ratschow und E. Schlink, 14. DM 6,80.

Die in den letzten Jahren in immer neuer Interpretation der nur
spärlichen Zeugnisse vielverhandelte Frage nach Datum und Faktum
des Thesenanschlages findet in vorliegender Schrift ihre abschließende
Würdigung. Der Verfasser zieht in ihr die Summe der
bisherigen Diskussion in einer so souveränen Weise, daß weitere
Erörterungen des Problems ohne das Beibringen neuer Quellen
~ und wo sollten diese herkommen können? - überflüssig, ja sinn
tos sein dürften. Der erste Teil: Der Thesenanschlag (Zur Frage
des 31. Oktobers 1517), der bereits in der Festschrift für Hanns
Rückert (1966) erschienen ist, besteht aus einem sehr dankenswerten
„methodischen Versuch, das Ganze in seine Ordnung zu bringen
" (p. 2). Hiermit wird erstmals eine zusammenfassende Unterrichtung
, ein kritisch orientierendes Vademecum durch das Dik
kieht der Argumente und Interpretationen vorgelegt, wobei besonders
den Theorien Iserlohs (der Thesenanschlag hat gar nicht oder
doch erst gegen Mitte November Stattgefunden) und Honselmanns
(die Urform der Thesen ist aus dem „Dialogus" des Prierias zu er
heben, die heute bekannte Fassung stammt erst von Dezember
•517) nachgegangen wird. Daß der methodische Ansatz ihrer
Fragestellung bedenklich und bei Honselmann die Beweisführung

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geradezu verkehrt ist, wird zwingend dargelegt. Indem Bornkamm
Melanchthons Vorrede von 1546 verdientermaßen wieder mehr in
den Mittelpunkt rückt, erklärt er sich auch gegen den Datierungsvorschlag
von Volz (Anschlag der Thesen erst am 1. November)
und für das überlieferte Datum des 31. Oktobers. Eine resümierende
Zusammenfassung umgreift in acht Punkten das sich heute
darbietende Ergebnis der Erörterungen über Datum und Faktum;
ein Annex behandelt die jüngst erschienenen Arbeiten Honselmanns
— dazu ist jetzt auch die detaillierte Untersuchung von
H. Volz: Die Urfassung von Luthers 95 Thesen, in ZKG 1967,
p. 67 ff. zu vergleichen — und Iserlohs.

Bornkamm begnügt sieh nicht mit der Antwort auf die Frage,
wie es eigentlich gewesen sei, sondern fragt auch nach der Bedeutung
der Vorgänge um den 31. Okt. 1517: Der Ablaß als theologisches
Problem (p. 47 ff.). In knapper Form wird eine vorzügliche
Interpretation des Sinngehaltes der Thesen und der ihnen folgenden
Aussagen Luthers gegeben, die über die entsprechenden Darlegungen
Iserlohs weit hinausführt; dabei wird herausgestellt, daß
Luther über die Problematik des Ablasses rasch vorgestoßen ist
zur Frage der Vergebung der Schuld schlechthin, so daß die Definitionen
der Kurie in „Cum postquam" ihm nicht mehr Veranlassung
zur Unterwerfung oder Anstoß zur Revision der bisherigen
Position sein konnten, sondern nur zeigten, daß er sich über die
Haltung des Papstes getäuscht hatte.

Die Linie seiner Erörterungen zieht Bornkamm bis zur Gegenwart
aus, indem er Äußerungen aus der Ablaßdebatte des Vaticanum
II mit Thesen Luthers konfrontiert und „in einer Reihe von
Kernpunkten . .. eine Übereinstimmung mit Luthers Kritik in den
95 Thesen" (p. 61) findet. Kritisch wird dagegen die Ablaßkonstitution
„Indulgentiarum doctrina" vom 1. Jan. 1967 beleuchtet, die
nach Meinung des Verfassers nicht einen Wandel in der Sache,
sondern nur Reformen im Verfahren herbeigeführt hat. Von dieser
päpstlichen Kundgebung her erhebt sich die Frage nach der Bedeutung
der Thesen Luthers für die Gegenwart zu plötzlich neu
sichtbar werdender Aktualität.

Zwei kurze Aufsätze von an der Diskussion Beteiligten seien
noch als novissima verzeichnet: K. Honselmann, Zur Diskussion
um Luthers Thesenanschlag, in: Theologie und Glaube 1967, p. 357
bis 361, und K. Aland, Neue Thesen zum Thesenanschlag, in: Deutsches
Pfarrerblatt 1967, p. 626-628. Honselmann verschließt sich
den gegen seine Ausführungen vorgebrachten Einwänden gänzlich
und unterstellt Bornkamm — zu Unrecht —, er weiche der Frage
nach Datum und Faktum geschickt aus; H. vermag sich offenbar
von den unhaltbaren Ergebnissen, die er einer an sich heuristisch
nicht uninteressanten Fragestellung abgewonnen hat, nicht zu lösen
. Aland vermutet trotz Bornkamms Erörterungen p. 41 Anm. 123
wiederum, daß die 95 Thesen schon am 5. November 1517 in Nürnberg
bekannt gewesen seien.

Korrekturnachtrag: Gegen Volz' Aulsatz in ZKG 1907 wendet sich
Honselmann ebd. Wftft, p AB ff. nhne überzeugende neue Argumente.

Göttingen Eike Wolgast

Reichert, Ernst Otto: Johannes Schettler als Streittheologe.

Dargestellt an den konfessionspolemischen Traktaten der „Ec-
clesiologia". Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1967].
240 S. gr. 8° = Studien zu Beligion, Geschichte und Geisteswissenschaft
, hrsg. von E. Heintel, F. Ohly, C. H. Ratschow, J. Ritter,
T. Schieder, B. v. Wiese, 4. Lw. DM 48,-.

Die von Kurt Aland angeregte Münsteraner Habilitationsschrift
Reicherts hat die fast in Vergessenheit geratene Seite des Angelus
Silesius, nämlich den Konvertiten und Kontroverstheologen, zu
ihrem Thema gemacht. Die Behandlung gliedert sich ihm in drei
Teile: Reichert stellt die polemischen Traktate des großen Schlesien
in den zeitgeschichtlichen Kontext der schlesischen Geschichte
und in den biographischen Zusammenhang des Menschen
Johannes Scheffler. Dabei wird weiter ausgeholt, als es zum Thema
nötig ist. Es hätte genügt zu aeigen, daß seit 1653 die Reduktionskommissionen
die Rekatholisierung der Evangelischen in die
Hand genommen haben und daß die seit 1638 in Breslau ansässigen
Jesuiten hier ihr Arbeitsfeld fanden. Gleich in dem Stichjahr
1653 konvertierte Johannes Scheffler, damals Arzt. Auch die anschließenden
Jahre, in denen seine Dichtungen entstehen, lebt er
noch als Laie. Er steht den Franziskanern nahe, nimmt an einer

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 5