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Ausgabe:

1968

Spalte:

358

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kawerau, Peter

Titel/Untertitel:

Geschichte der alten Kirche 1968

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

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Seite 1

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cap. 1 „Das Kirchenbild des Chrysostomus" (5—99) ist darüber fast
zu einem centoartigen Textkonglomerat geworden. Nur bei historischen
Zusammenhängen und Tatbeständen verzichtet K.
auf die Quellennachweise und begnügt sich mit Hinweisen auf die
einschlägige Forschungsliteratur, in erster Linie Chrys. iiaur, .loh.
Chrys. und seine Zeit, München 1929/30 (2 Bde.); bei dem sysle-
matischen Skopus seiner Untersuchung ist das verzeihlich.

Problematischer erscheint vielmehr, daß dieser Skopus mit Be-
griffsschemen arbeitel. die aus der Quelle selber nicht gewonnen
wurden. Die Feststellung, es fehle Chrysostomus .,an Systematik"
(S. 3), kann höchstens als Entschuldigung, nicht aber als Rechtfertigung
dienen. Die nicht minder zutreffende Beobachtung, dal.! der
•.Kirchenbegriff des Heiligen wenig Originelles" enthalte, dafür
aber „um so reicher die Vorstellungen wiedergebe, die man im
Osten des 4. Jh. von der Kirche hatte" (S. 2), hätte zumindest die
Folgerung auslösen müssen, sich für diesen Punkt an den Kappa-
dokiern, Nestorius und anderen Antiochenern zu orientieren. Im ab
schließenden cap. 3 „Die Anschauungen der theo! Umwelt des
Chrysostomus über die Kirche, Kirchenzugehörigkeit und Heil"
(S. 191-214) wird das denn auch für deii theol. Vergleich geschehen
. Was aber die Deutungskategorien angeht, so kann man sich
nicht des Eindruckes erwehren, daß ein griech.-orth. Theologe des
*• Jahrh. an systematischen Begriffen gemessen wird, die aus der
ökumenischen Kontroverssituation stammen bzw. um ihrer willen
gewählt wurden. Schon am Titel der Untersuchung „Außerhalb
der Kirche kein Heil?" entzündet sich diese Vermutung, auch
wenn sie im Schlußpassus mit der cyprianischen Sentenz „extra
ecclesiam nulla Salus" historisch wiedergegeben wird (S. 214). Daß
es sich um eine inadäquate Begrifflichkeit handelt, wird am
Schluß der systematisch-ckklesiologischen Analyse cap. 2 „Kir-
ehenzugehörigkeit und Heil nach Chrysostomus" (S. 100-190)
deutlich, wenn es dort heißt: „Überblickt man die gesamten Äußerungen
des Heiligen über die Kirche oder gar seine gesamten
Werke ihrem Inhalt nach, so nimmt die Frage nach der Kirchen-
tugehorigkeil einen untergeordneten Platz ein" (S. 189). Zumindest
räumt der Verfasser damit ein, daß er in den Mittelpunkt
rückte, was in der Quelle selber eine dezentrale Stellung einnimmt.
Angesichts der heute beliebten Methode, historische Themen und
Stoffe durch systematische Fragestellung zu aktualisieren, ein
nachdenklich stimmendes Beispiel.

Noch nachdenklicher .stimmt allerdings, daß K. am Schluß sei
nes ersten Kapitels (S. 88 ff.) die Unterscheidung „sichtbare-un-
sichtbare Kirche" einführt, um das Ergebnis seiner Textausbeute
und ihre These von einer „doppelten Kirchenvorstellung" bei
Chrysostomus zusammenzufassen. Vergeblich sucht man nach der
Textbasis für dieses ekklesiologische Begriffspaar. Finerseits die
Vorstellt] ng der himmlischen „Braut" oder des „oberen Jerusalem
", andererseits die „Leib-Christi"-Terminologie bei Chrysoslo
nius als Äquivalente für ein Kalegorial einzusetzen, das seit Augu
stin für die abendländische Ekklesiologie charakteristisch geworden
ist, muß zwangsläufig zu einer Verzeichnung führen. Während
diesem eine eschatologische Geschichtsperspektive der Ekklesio
•ogie eigen ist, ist der griechischen Theologie des 4. Jh. das apo
kalyptische Fermenl in der erstgenannten Aussagereihe völlig abhanden
gekommen, umgekehrt der Mysteriumsgedanke in der
zweiten derart dominierend geworden, daß dieser mit dem Begriff
der „ecclesia visbilis" nicht in Deckung gebracht werden kann.
Darauf basiert aber das Schlußergebnis: „Die sichtbare Kirche ist
für das Heil notwendig necessitate medii. Augustinus vertritt diesen
Standpunkt mit derselben Deutlichkeit. Er gehört geradezu zu
den Grundanschauungen der ganzen Väterzeit . . . Wer sich daher
heute auf die Kirchenväter berufen will, wenn er die These ver-
,ritt, die Menschen guten Willens gehörten, auch wenn sie nicht
z"r katholischen Kirche zählen, zu einer unsichtbaren Gnadenge-
nieinschaft und könnten daher das Heil erlangen, der findet sich
gerade von den bedeutendsten Kirchenvätern im Stich gelassen"
'S. 214). In den Augen des Verfassers mag dies Ergebnis geeignet
sein, um eine ökumenische Einheitsfront der beiden angesproche
neu Kirchen gegenüber den nichtkatholischen Kirchen abzugeben.
Als wissenschaftliches Ergebnis kam es aber nur mit Hilfe einer
hermeneutischen Formel zustande, die aus der abendländischen
Ekklesiologie genommen ist. Es ist daher nicht verwunderlich,
wenn durch das Schema der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der
Kirche Fragen gegenüber den Chrysostomustexten aufbrechen
'S. 98. 101. 107. 130), die der Verfasser geschickt als Aporien for-

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mutiert, um sie seiner Argumentation dienlich zu machen. Man
kann daraus aber auch den Schluß ziehen, daß seine Gleichung:
ecclesia invisibilis: ecclesia visibilis = Braut Christi: „Dirne'
Christi oder Natur Christi: Leib Christi nicht aufgeht, ja vielleicht
für die unbefriedigende Auskunft, das Kirchenbild des Chrysostomus
sei letztlich unfertig (S. 99), verantwortlich ist. Sachgemäßer
wäre doch wohl das ekklesiologische l'rbild-Abbild-Schema östlicher
Tradition gewesen, zumal unter dieser hermeneutischen
Formel dem mönchischen Heiligkeitsideal und seinem Einfluß auf
die Kirchenkritik des Johannes über die gelegentlichen Andeutungen
des Verfassers hinaus (S. 115.138 f.) stärker hätte Rechnung
getragen werden können.

Formale Beanstandungen an der fleißig gearbeiteten und sorg
fällig zum Druck gebrachten Arbeit sind SO gut wie nicht anzu
bringen. „Marzeil von Ancyra" .statt „Marke!! von Ankyra" (S. 10)
ist wohl ein Flüchtigkeitsfehler. Im Verzeichnis der Ubersetzungen
S. IX vermisse ich die Übersetzung der Homilien zum Mat-
Ihäusevangelium durch Max, Herzog von Sachsen, Begensburg
1910f. (2 Bde.). Am Schluß wäre ein systematischer Wortindex
wünschenswert.

GoUingtn Carl A n il r e s e n

Knweran, Peter, Prof. Dr. phil., Dr. theol.: Geschichte der Alten
Kirche. Marburg: Elwert 1967. 221 S. gr. 8° = Lehrbuch de,
Kirchengeschichte. DM 18,—.

Das Buch ist aus einer Vorlesung erwachsen, und es hat den
Charakter einer Vorlesung behalten. Es „werden nicht eigene Forschungen
geboten, sondern es wird der heutige Stand unserer
Kenntnis der Alten Kirche auf Grund der wissenschaftlichen Literatur
dargestellt. Über die von mir benutzten Werke gibt das Literaturverzeichnis
am Schluß die nötige Auskunft: es ist, streng genommen
, der Quellennachweis für die hier gegebene Darstellung"
(S. 7). Die letzte Bemerkung trifft offenbar voll zu: die z. T. eigenartige
Auswahl der vom Verfasser für seinen Zweck als wesentlich
angesehenen Literatur schlägt sich in der Darstellung nieder. Der
Stoff ist in großen Zügen gegliedert, auf Nachweise ist verzichtet.
Man darf fragen, ob es nötig ist, eine solche Vorlesung zu veröffentlichen
. Vorzüge, die sie vor vergleichbaren Studentenbüchern
hätte, vermag ich in ihr nicht zu entdecken.

TflUngen Hans-T)ietrirli Altendort

Angnstin d'Hippone: Sermons pour la Päque. fntroduefion.
Texte crifique, Traduction et Notes de S. P o q u e. Paris: Les EHi
lions du Cerf 1966. 376 S. 8° = Sources Chretiennes, 116. Fr. 24.-.

Die Predigten Augustins wurden von Stenographen aufgezeichnet
, und auch gesammelt, so daß die ersten Teilsammlungen die
Predigten in der Reihenfolge darboten, in der sie gehalten worden
waren. Doch schon zu Lebzeiten des Bischofs wurden für be
stimmte Feste oder Tage Predigten mehrerer Jahre zusammengestellt
(Possidius, Indicülus, Miscell. Ag. II, 205 [Wilmart]: Per
uigilias Paschae tractatus uiginti tres). Der Gedanke einer modernen
Ausgabe von Ostcrpredigten Augustins ist also nicht ohne Begründung
in der Tradition. Die Herausgeberin verbindet beide
Prinzipien, chronologische und Sachordnung, miteinander. Sie geht
aus von einer Prediglreihe im Ilomiliar von Fleury, die in einer
Osteroktav von Montag bis Sonntag gehalten worden ist, wahrscheinlich
im Jahre 412 oder 413 (Sermo 231, 232, 237, 246, 250, 253,
257 und 258), und stellt ihnen einige Predigten aus der Passions
zeit und zum Osterfest voran, deren Entstehungszeit vermutlich
nicht allzu weit von 412/13 entfernt liegt (Sermo 211, 212, 59, Guel-
ferbyt. III, V, Sermo 121, 227). Auf diese Weise entsteht ein geschlossenes
Bild der Predigttätigkeit des reifen Augustinus in der
österlichen Zeit, in der sich das Gedächtnis des Leidens und der
Auferstehung des Herrn mit der Vorbereitung der Taufkandidaten,
der Feier der Sakramente und der Anrede an die Neophytcn verschlingt
. Der Reichtum des österlichen Lebens dieser Kirche hinterläßt
einen tiefen Eindruck. Die Herausgeberin erschließt die Ii
lurgischen, katechetischen und sakramentalen Aspekte in ihrer gehaltvollen
Einleitung. Eine Tabelle sämtlicher Ostcrpredigten
Augustins mit ihren Schrifttexten und den Editionen ist als An
hang auf S. 352—365 beigegeben.

Unsere Kenntnis der handschriftlichen Überlieferung der Pre-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 196« Nr. 5