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Ausgabe:

1968

Spalte:

351-352

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Heinrich

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Methodenlehre 1968

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1

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sowenig begründet wie die Behauptung, Markus habe die Spruchquelle
gekannt und benutzt (S. 23, 110—112). Der Gewaltmarsch, der
durch die Forschungsgeschichte unternommen wird (S. 0—4(5),
kann vom Leser, der mit den Problemen noch nicht vertraut ist,
kaum mit vollgezogen werden. Ihm wird auch das Motiv der verborgenen
Messianität des Gottessohnes schwerlich verständlich
werden, wenn er dann mit dem „Inkognito des Gottmenschen" bekannt
gemacht werden soll (S. 46 ff.). Was soll er weiter damit anfangen
, wenn Markus ein erster Vertreter des werdenden Frühkatholizismus
genannt wird, weil er die gesamle alttestamentlich-
pharisäische Gesetzesbestimmung auf den Gotteswillen der Zehn
Gebote reduziere (S. 03) ? Einige Bemerkungen zum Begriff des
Frühkatholizismus, der hier ohne jede Erklärung verwendet wird,
findet man erst viel später zur lukanischen Theologie (S. 257 f.).
Da auch Matthäus das Prädikat frühkatholisch erhält (S. 101),
macht nur Johannes mit seinem „gnostisierenden Christentum '
eine rühmliche Ausnahme. Daß Mark. 14,12—16 in die vormarki-
nische Gemeindetradition weise und Markus die Erzählung vom
Passahmahl Jesu, die die organische Fortsetzung von 14,12 ff. gebildet
hätte, „verdrängt und durch die kultische Abendmahlsüberlieferung
des syrischen Christentums der vorpaulinischen Sphäre
ersetzt" habe (S. 128), leuchtet nicht ein. Und wenn es heißt, die
vormarkinische Ostertradition habe keine Erscheinungen des Auferstandenen
gekannt (S. 141), so wird der Perikope 16,1—8 zu Unrecht
die Bürde aufgeladen, die gesamte vormarkinische Ostertradition
darzustellen.

Die Reihe der Fragen ließe sieh noch erheblich verlängern. Man
bedauert, daß die Ausführungen innerhalb des gezogenen Rahmens
oft nur knappe Andeutungen bieten können, die den Kundigen
neugierig machen, wie die genaue Begründung aussehen mag,
und den Nichttheologen überfordern. Der Theologe findet eine
nützliche Übersicht über die redaktionsgeschichtliche Arbeit an
den Evangelien sowie über manche offenen und strittigen Probleme
. Doch beim derzeitigen Stand der Diskussion konnte die
schwierige Aufgabe, eine Theologie aller vier Evangelien zu entwerfen
, kaum so gelöst werden, daß alle Wünsche erfüllt und überdies
Theologen und Nichttheologen in gleicher Weise zufriedengestellt
werden.

Güttingen Eduard Lohst

X i in in ermann, Heinrich: Neutestameiitliche .Ylethodeiileliic.

Darstellung der historisch-kritischen Methode. Stuttgart: Kalb.
Bibelwerk [1067]. 281 S., 6 Tai', gr. 8°. Lw. DM 24,80.

Seitdem die Enzyklika Pius' XII. „Divino afflante Spiritu" vom
Jahre 1043 dem katholischen Exegeten die Anwendung der historisch
-kritischen Methode zur Pflicht gemacht hat. ist es zu einem erheblichen
Aufschwung der katholischen Bibelwissensehafl gekommen
, der nicht zuletzt durch breites Eingehen auf die protestantische
Forschung und ihre Methoden'gekennzeichnet ist. Wenn dabei
auch zahlreiche Themen und Fragestellungen nur erneut durch-
reflektiert werden,so bleibt das doch nicht ohne Gewinn für die Sache.
Genau auf dieser Linie liegt es, wenn die monographische Darstellung
der historisch-kritischen Methode, die protestantischerseits
bisher noch fehlte, uns nun von einem katholischen Autor vorge
legt wird. Einmal mehr wird daran die ökumenische Funktion der
modernen Bibelwissenschaft deutlich. Es ist der Vorzug des Buches
, daß es konsequent als Lehr- und Lernbuch angelegt ist, was
ja in der Tat seine einzige Aufgabe sein kann. Das Buch ist aus methodischen
Seminarübungen erwachsen, die der Verfasser in den
Jahren 1061-1065 an der Phil. Theol. Akademie zu Paderborn gehalten
hat. Demgemäß will es „auch an erster Stelle als eine Hilfe
für den Studenten der Theologie verstanden sein" (Vorwort). Man
muß Z. bescheinigen, daß er durch kluge Anordnung des Stoffes
und klare Formulierungen dieser Absicht in hohem Maße gerecht
geworden ist. Es kann nur dringend empfohlen werden, das Buch
als Arbeitsgrundlage für Seminarübungen oder für das Selbststudium
heranzuziehen.

In vier umfangreichen Kapiteln werden die textkritische Methode
, die literarkritische Methode, die formgeschichtliche Methode
und die redaktionsgeschichtliche Methode behandelt. Jedes
Kapitel ist nach dem gleichen einfachen Schema aufgebaut: auf
eine Übersicht über die wesentlichen Textausgaben und Hilfsmittel
folgen ein Verzeichnis der wichtigsten Literatur, Informationen
über Geschichte und Diskussion der betr. Forschlingsmethode,

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die Darstellung der Methode und endlich wenige, aber sorgfältig
behandelte Übungsbeispiele. Die lextkritische Methode wird in
Gestalt von zehn Regeln nach zwei Seiten hin entfaltet: 1. die
äußere Bezeugung und 2. innere Kriterien. Die Übungsbeispiele beleuchten
die Eigenart des Codex Vaticanus, des Sinaiticus, des Can-
tabrigiensis, der Minuskel 614 und des Papyrus Bodmer II. Beigelegte
Bildtafeln vermitteln einen guten Eindruck von der Original
gestalt der ausgewählten Texte. — Die Literarkritik hat es nach Z.
„aufs Ganze gesehen mit den sogenannten Einleitungsfragen zu
Inn, ist aber im besonderen auf Quellenkritik ausgerichtet" (S. 86).
Nach knapper Abgrenzung von Textkritik, Formgeschichte und
Redaktionsgeschichte wird dann die Literarkritik als Quellenkritik
vorgeführt und au Hand von vier synoptischen Texten illu
striert, wobei jeweils die Textkritik gleichfalls zur Sprache kommt.
Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Paralleltex
ten werden herausgearbeitet und erklärt. — Für die formgeschichtliche
Betrachtungsweise unterscheidet Z. einleuchtend zwischen
Gattung, Form und Formel. Er erläutert dementsprechend zunächst
die neutestamentlichen Schriftengattungen (Evangelien,

Acta, Briefe, Apokalypsen), weiter die diesen Galtungen jeweils zugehörigen
, mündlich oder schriftlich fixierten Formen in Gestalt
der kleinen Einheilen und endlich die vornehmlich auf die Briefe
beschränkten kurzen, fest geprägten Wendungen der Formeln.
Den größten Formenreichtum weist natürlich die synoptische
Überlieferung auf, in der Z. zwischen formen der Worttradition
und Formen der Geschichtstradition unterscheidet. Wichtig isl die
Einsicht, daß es bereits vor den Evangelienschriften Wort- und Erzählungskompositionen
gibt. Knapp, aber präzis wird der für die
Formgeschichte wichtige Begriff ..Silz im Leben" behandelt. Die
Übungsbeispiele erklären eine synoptische Berufungsgeschichte
(Mk. 2,13-17), ein Gleichnispaar (Mk. 4,21-25), ein urchristliches
Bekenntnis (Rom. 1,3 f.) und einen urchristlichen Hymnus (l.Tim.
3,16), wobei neben textkritischen auch literarkritische Beobachtungen
als Vorarbeit zur Geltung kommen. — Der redaktionsgeschichtlichen
Methode geht es nach Z. um die Konzeption des
Evangelisten und die geschichtliche Einordnung seines Evangeliums
, wobei der Rahmen, Auswahl, Anordnung und Gliederung
des Stolfes sowie die redaktionelle Einzelarbeit des Evangelisten
beachtet sein wollen. Die vorgeführten Beispiele behandeln ein
Sireilgespräch nach Matthäus (10,3—12), eine Heilungsgeschichte
nach Lukas (5,12—16) und die Sammelberichte der Apostelgeschichte
(2,41-47; 4,32-35; 5,11-16). - Stellenregister und Autoren-
register beschließen das Buch.

Es bedeutet keine Kritik, sondern nur eine Förderung des verdienstlichen
Unternehmens, wenn nun noch auf einige Lücken hin
gewiesen wird, die vi eile ich I bei einer sicher zu erwartenden Neuauflage
des Buches geschlossen werden können. Wünschenswert
wäre, daß die Literarkritik nicht nur als Quellenkritik vorgeführt
wird. Weitere zentrale literarkritische Fragesiellungen wie z. B. die
Frage nach dem vorausgesetzten Leserkreis, nach Verfasser und
Abfassungszeil verdienen gleiche Beachtung. Auch hier wäre es
möglich, prägnante Regeln aufzustellen und so wichtige Begriffe
wie etwa den des I e r m i n u s a q u 0 und des t e r m i n u s ad
quem zu erläutern. In dem Kapitel über die Formgeschichte sollten
einige grundsätzliche Bemerkungen über den Zusammenhang
von formgeschichtlicher und überlieferungsgeschichtlicher Betrachtungsweise
nicht fehlen. Die Überlieferungsgeschichte wäre
als die spezielle Formgeschichte des einzelnen Traditionsstückes
zu definieren. Die selbständige Rolle der überlieferungsgeschichtlichen
Fragestellung tritt bei Z. noch nicht deutlich genug hervor.
Völlig unberücksichtigt bleiben die Fragestellungen der Begriffsund
Motivgeschichte sowie des religionsgeschichtlichen Vergleiches
. Es isl ein allzu dürftiger Ersatz, wenn lediglich in der Einleitung
und damit eigentlich an unpassender Stelle einiges zur Geschichte
des Begriffes „kosmos" gesagt wird. Endlich sollten bei
dem heuligen Stand der Diskussion einige abschließende Bemerkungen
über die im engeren Sinne theologische und d. h. herme-
neutische Relevanz der historisch-kritischen Methode nicht fehlen
. Freilich liegen Iiier kritische Fußangeln. '/.. umgeht sie galant,
indem er in der Einleitung wie im Nachwort sieli auf die Inspiriert-
heit aller neutestamentlichen Schriften zurückzieht, die die Kirche
durch die Kanonisicrung offiziell anerkannt hat. innerhalb diese r
selbst gezogenen Grenzen stellt jedoch Z.s Buch eine hochwillkommene
Publikation dar.

Leipzig . Günter 11 • u i e

Theologische Literaturzeitung 03. Jahrgang 1068 Nr. 5