Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

350-351

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schulz, Siegfried

Titel/Untertitel:

Die Stunde der Botschaft 1968

Rezensent:

Lohse, Eduard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

319

mündliche und dann schriftliche Bearbeitung und Gestaltung dieses
Traditionsstoffes (Stufe 2 bis 1 der Entstehung des Evangeliums)
ist allerdings erst das Werk eines Schülers des Zebedäussohnes,
der nicht näher identifiziert werden kann. Die Endgestalt hat das
Evangelium um das Jahr 100 erhalten, die erste Edition kann zwischen
70 und 85 angesetzt werden, die zugrunde liegende Tradition
geht auf die Jahre 40-60 zurück. Der wahrscheinliche Ort der Eni
stehung (offenbar in allen Stufen) ist Ephesus. — Den religionsgeschichtlichen
Standort des JohEv findet B. nicht in der Gnosis
oder im eigentlichen hellenistischen Bereich, sondern im zeitgenössischen
palästinensischen Judentum, und zwar sowohl dem
pharisäischen als auch dem sektiererischen (Qumran). — An „cru-
cial questions in Johannine theology" behandelt B. thematisch die
Ekklesiologie, die Stellung zu den Sakramenten, die Eschatologic
und „wisdom motifs"; der letztgenannte Abschnitt dürfte besondere
Beachtung verdienen. Zum Abschluß legt der Verfasser eine
Gliederung des Evangeliums vor (1,1—18 The Prologue; 1,19-12,50
The Book of Signs; 13,1-20,31 The Book of Glory; 21,1-25The Epi
logue), in der freilich nur die genaue Untergliederung des „Buches
der Zeichen" (C. 1—12) geboten wird, da ja allein dieser Teil des
Evangeliums in dem vorliegenden Band behandelt wird.

Jedem der 10 Abschnitte der Einleitung ist eine Bibliographie
angefügt, ebenso jedem Paragraphen des eigentlichen Kommentars
(bzw. gelegentlich einer zusammengehörenden Beihe von Pa
ragraphen). Dafür ist dann aber die allgemeine Bibliographie
reichlich kurz.

Der Kommentarteil ist ziemlich gleichmäßig gestaltet. Auf die
Übersetzung des Textabschnittes folgen zunächst „Notes", in denen
die philologisch-historischen Fragen abgehandelt werden
Ihier sowie in den vier Appendizes am Schluß des Bandes vermißt
man den fremdsprachigen Satz begreiflicherweise am meisten),
sodann ein Abschnitt „Comment: General" und ein solcher „Com-
ment: Detailed". Diese Aufgliederung dürfte sich bewähren. Texlumstellungen
nimmt der Verfasser nicht vor; die von ihm nicht
übersehenen Schwierigkeiten des gegenwärtigen Zusammenhangs
versucht er, von seinem oben skizzierten Bild der Entstehungsgeschichte
des Evangeliums her verständlich zu machen. Daraus ergibt
sich allerdings ein gewisses Schwanken der Art, daß teils der
„Evangelist", teils der „Bedaktor" kommentiert wird. B. rückt sie
aber nahe aneinander, die Theologie beider ist für ihn gleichartig.
Auf Einzelheiten der Kommentierung einzugehen, ist hier nicht der
Ort. Sie ist außerordentlich gründlich, gelehrt und abgewogen, und
fast stets sind die Äußerungen des Verfassers zum Text mindest i ns
des Nachdenkens wert.

Wer freilich meint, nur radikale Kragen und ebensolche Antworten
vermöchten gerade der Job. Literatur gegenüber weiterzuhelfen
, der wird von dem Werk enttäuscht sein. Es bemüht sich
durchgehend, das JohEv als eine verständliche Größe in sich und
als Station einer kontinuierlichen urchristlichen Entwicklung zu
begreifen. Es zeigt dabei, daß ein solches Vorgehen legitim und
fruchtbar ist.

Natürlich bleiben weitreichende Fragen offen. B. betont m. E. zu
stark die Bedeutung der Jesus-Tradition für das ganze Evangelium.
Selbstverständlich steckt im JohEv gute Überlieferung, auch in
den Beden sind Jesus-Logien aufbewahrt. Aber gerade nicht diese
Stücke bestimmen die Theologie des Evangeliums, sie sind ihr vielmehr
einverleibt bzw. unterworfen. Man darf sie daher nicht dazu
verwenden, eine direkte Kontinuität zwischen dem historischen
Jesus und seinem joh. Abbild zu behaupten. B. ist indessen nicht
nur deshalb an solcher Betonung interessiert, um die Legitimität
der joh. Darstellung (die übrigens für ihn keineswegs nur auf der
historischen Kontinuität beruhtl) zu begründen, sondern auch,
weil nur so für B. das Evangelium unter die Autorität des Zebe-
daiden gestellt werden kann; denn von ihm stammt ja nur die zugrunde
liegende Jesus-Tradition, schon nicht mehr ihre erste
mündliche Bearbeitung. Diesem Tatbestand gegenüber hilft auch
keine - an sich gewiß berechtigte - Unterscheidung zwischen
„Autor" und „Verfasser"; der Autor des JohEv auch im Sinne von
B. ist zweifellos der „Evangelist", nicht der Vermittler der Jesus
Tradition. Es wäre aber wohl überhaupt besser gewesen, auf eine
so genaue Bestimmung der Herkunft der Jesus-Tradition zu verzichten
. Offenbar spielt dabei der „Lieblingsjünger", den B. m. E.
zu Becht für eine historische Geslalt ansieht, eine Bolle, aber wir
wissen weder welche noch gar, wer er ist.

350

Auch die Bekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Evangeliums
ist wohl etwas zu wissend. B. läßt selbst in einer Beihe von
Fällen die Entscheidung darüber offen, ob ein Textbefund als Produkt
der zweiten Edition (Stufe 4) oder der abschließenden Be-
daktion (Stufe 5) beurteilt werden muß. Die ersten beiden Stufen,
mit denen B. rechnet, sind allerdings nicht unwahrscheinlich; nur
wird die Jesus-Überlieferung kaum auf einen einzigen Zeugen zurückzuführen
sein und schon gar nicht unmittelbar auf einen
Augenzeugen. Die einfachste und daher doch wohl auch nächstliegende
Erklärung für den Aufbau des Evangeliums dürfte doch
die sein, daß es gar keine Edition von ihm vor unserem JohEv gegeben
hat, sondern daß der Bedaktor das unfertige Werk des
Evangelisten erstmalig herausgab und dabei weder die ihm überkommene
, vielleicht aber tatsächlich im Sinne des Evangelisten
noch nicht endgültige Ordnung der Stoffe noch ihre Gestalt stärker
verändert hat.

Man kann nur hoffen, daß der Verfasser bald den zweiten Teil
seines Kommentars, auf den er häufiger vorausweist, vorlegen
kann. Dieser wird dann auch die JohBriefe niitenthalten. Wir werden
dann einen gewichtigen Kommentar zu den johanneischen
Schriften vor uns haben, der einmal mehr zeigt, wie nahe wenigstens
auf dem Gebiet der neutestamentlichen Wissenschaft die pro.
lestantische und die katholische Arbeit aneinandergerückt sind.

GretfiwiM Tmugott Holt?.

Schulz, Siegfried: Die Stunde der Botschaft. Einführung in die
Theologie der vier Evangelisten. Hamburg: Furche-Verlag [19671.
392 S. 8°. Lw. DM 32,-.

Im Vorwort des Buches wird die Aufgabe, die es erfüllen möchte,
deutlich bezeichnet: eine Einführung in die Theologie der Evangelisten
für „Theologen und Nichttheologen" zu bieten, „die mit
dieser für alle folgenden historischen Entwicklungen entscheidenden
Zeit urchristlicher Theologiegeschichte in lebendige Berührung
kommen wollen". Es soll also nicht die Geschichte Jesu dargestellt
, sondern nach dem Verständnis gefragt werden, das die
Evangelisten von ihr hatten und in ihren Schriften zum Ausdruck
brachten. In geraffter Zusammenfassung soll gleichsam eine Bestandsaufnahme
der neueren Evangelienforschung vorgenommen
werden. Den Kapiteln sind einige Hinweise auf Spezialuntersuchungen
beigefügt, die sich freilich nahezu ausnahmslos auf
deutsche Exegeten beschränken.

In den beiden Abschnitten, die den Evangelisten Matthäus und
Lukas gewidmet sind, kann sich der Verfasser auf einen weitreichenden
Consensus der kritischen Forschung stützen. Deren Ergebnisse
weiß er zu einer durchweg überzeugenden, gut lesbaren
Skizze zu verbinden, in der die Grundzüge der theologischen Konzeption
der Evangelisten klar hervortreten. In der Erklärung des
Markus- und des Jnhannesevangeliums sind jedoch gegenwärtig
noch viele Probleme ungelöst und kontrovers beurteilt. Daher ist
es kaum verwunderlich, daß der Verfasser oft Mühe hatte, seinen
Weg zu bahnen. Bisweilen fragt man sich bei der Lektüre, ob er
vergessen hat, daß er sich an einen weiteren Leserkreis wenden
wollte. Allzuoft werden Thesen aufgestellt, die ohne Erläuterungen
nahezu unverständlich bleiben müssen. Der knappe Abriß über
die Einleitungsfragen zum vierten Fvangelium sagt dem gebildeten
Theologen kaum etwas Neues und verlangt vom Nichttheologen
ein Übermaß an Fachwissen. Nur der Kenner vermag zu ahnen,
was gemeint ist, wenn konstatiert wird, auf Grund der nach dem
zweiten Weltkrieg am Toten Meer gefundenen Qumranschriften
komme es zwar beute vielfach zur geschichtlichen Aufwertung des
Johannesevangeliums, aber ganz ohne Grund (S. 298). Es wäre
darüber zu diskutieren, ob der Evangelist wirklich die Position
eines gnostigierenden Christentums vertritt (S. 359) oder ob nicht
vielmehr seine Theologie einen antignostischen Akzent trägt. Die
cbristologischc Gesamtkonzeption, die dem vierten Evangelium
zugrunde liegt, wird als die eines transjordanisch-syrischen Chri-
slentums bezeichnet, die nur von der gnostischen Erlöser-Anschauung
und ihrer dualistischen Begrifflichkeit her verständlich werde
'S. 322). Diese geographische Zuordnung wird durch einige man
däische Texte noch nicht hinreichend gestützt. In denselben Baum
soll auch die Entstehung des Markusevangeliums versetzt werden,
das vielleicht in Tyrus, Sidon, noch wahrscheinlicher aber in der
Dekapolis (= Transjordanien) von einem orientalischen Heiden-
christen abgefaßt sein soll (S. 9 f.). Doch diese Annahme wird eben-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 5