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Ausgabe:

1968

Spalte:

343-344

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Blumenkranz, Bernhard

Titel/Untertitel:

Le juif médiéval au miroir de l'art chrétien 1968

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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Seite 1

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dischen Jahr" (S. 126—201), werden der jüdische Kalender, der
Sabbat, die zahlreichen Feste und Halbfesle beschrieben; außerdem
werden die Symbole des Alltags — der Gebetsmantel, die Gc-
lietsriemen und das Türpfostenamulett — behandelt.

Verfasser hat es im vorliegenden Werk vorzüglich verstanden,
die zahlreichen Bräuche und Symbole, die den Juden im Alltag
und im gottesdienstlichcu Handeln umgeben, anschaulich und allgemeinverständlich
darzustellen. Obwohl er auf einen kritischen
Anmerkungsapparat und damit auf die Auseinandersetzung mit
unterschiedlichen Meinungen verzichtet — die wenigen Fußnoten
dienen im wesentlichen der Information —, spürt man doch jeder
Seile des Buches an, daß seine Vorarbeiten weit umfassender
sind, als es die kurze Literaturübersicht auf S. 207 f. vermuten
läßt, wobei angemerkt sei, daß er sich H. Schauß mit seinen Abhandlungen
„The Jewish Festivals" und „Lifetime of a Jew" sowie
S. Ph. de Vries mit seinem zweibändigen Werke „Joodschc Riten
en Symbolen" besonders verpflichtet fühlt.

Die Darstellung zeichnet sich dadurch aus, daß Verfasser sich
nicht auf eine einfache. Beschreibung beschränkt, sondern daß er
sich bei jedem Einzelthema darum bemüht, den jeweiligen Ritus
oder Brauch auf seinen Ursprung zurückzuführen, die religionsgeschichtlichen
Zusammenhänge aufzuweisen und zugleich die
lange Geschichte innerhalb des Judentums, wie es sich nach der
Tempelzerstörung herausgebildet hat, in großen Zügen zu umreißen
. Hierbei kommt die mittelalterliche Mystik ebenso zu Wort
wie die jüdische Orthodoxie und das Reform judcntuin; aschkena-
sische und sefaridische Riten werden neben den Problemen behau
delt, denen sich die jüdische Tradition in der modernen Industriegesellschaft
im allgemeinen und im jungen Staat Israel im besonderen
gegenübersiebt. Der Leser erfährt etwas davon, wie atavistische
Bräuche von einst durch das Reformjudentum aufgegeben
worden sind, während sie von orthodoxen Kreisen um so hartnäk-
kiger verteidigt werden.

Ist so das ganze Buch durch eine Vielzahl von Gesichtspunkten
gekennzeichnet, so entsteht doch kein kaleidoskopartiges Bild; im
Gegenteil darf man feststellen, daß Verfasser das Material in seiner
Vielfall in erstaunlicher Weise gemeistert und es verstanden
hat, die einzelnen Themen, von denen hier nur einige als Unterteile
der großen Abschnitte angedeutet werden konnten, in ihrer
historischen Tiefenschichtung darzustellen.

Diesei- Sachverhalt sei etwa an dem Thema „Sabbat" (S. 131 bis
149) verdeutlicht. Ks setzt ein mit einem t'herblick, der den Titel
„Die Sabbatfeier" trägt; ihm folgt „Die heiligste Stunde", die zugleich
für diejenigen, die die Tradition noch hochhallen, die feierlichste
Stunde der ganzen Woche ist und in der das festlich vorbereitete
Haus unter der Obhut der Mutter auf die aus der Synagoge
heimkehrenden Männer wartet. In diesem Zusammenhang lo^I
Verfasser das Sabbatlied von Salomon Halevi Al-Kabbez (um 1640)
vor, in dem der Sabbat als Braut begrüßt wird. Anschließend wird
„Die häusliche Sabbalfeier" inil den weiteren Themen ..Der Freitagabend
", „Der Ruhetag" und „Der Verlauf des Sabbats" behandelt
. Dem Sabbatproblem in der Neuzeil sind die Abschnitte „Die
Sabbalfeier im Reformjudentum" und „Der Sabbat in Israel" gewidmet
, während „Die Geschichte des Sabbats" den Beschluß dieses
, Themas bildet.

Ähnlich sind auch die anderen Themen behandelt, So ergibt sich
auf verhältnismäßig knappem Baum eine abgerundete Übersieh!
über jüdische Riten und Bräuche, und man darf nur wünschen,
daß dieses Buch, das durch Namenverzeichnis, Bibelstellenregister
und Stellenbelege aus der rabbinischen Literatur ergänzt wird, gerade
unter den Lesern dieser Zeitschrift eine möglichst große Verbreitung
linden möge; denn es isl vortrefflich geeignet, mancherlei
irrtümliche Vorstellungen über jüdisches Brauchtum auszuräumen
oder vielleicht auch manche Kenntnislücke zu füllen. Nicht zulclzl
sei dem rührigen Verlage gedankt, der das Werk in ausgesprochen
geschmackvoller Form herausgebracht hat.

Jena ltudolf Jlcycr

1t I Ii in enkranz, Bernhard: Le julf medirviil au mlrolr de l'art
chr£tien. Paris: ßtudes Augusliniennes t*,><><>. l.y.i S. in. 159 Abb.
gr. 8°.

Den Grundstock des vorliegenden Buches bildet die Übersetzung
von Franz-Delitzsch-Vorlesungen, die unter dem Titel „.luden und
.ludentum in der mittelalterlichen Kunst" (Stuttgart 1965) erschie-

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neu. In diese eingearbeitet win den sind zwei Aufsätze, La polemiquc
antijuive dans l'art chretien du Moyen Age = Bullettino dell'isti-
luto slorico italiano per il medio evo e Archivio Muraloriano 77
11965) 21—43 (der im wesentlichen die Seiten 47—7-1 der vorliegenden
Arbeit einnimmt) und Das Bilderevangelium des Hasses = Ek-
kert/Ehrlich, Judenhaß - Schuld der Christen?), Essen 1964, 249
bis 256 (hier hauptsächlich die Seilen 80-98, 111-114).

Die Arbeiten des Verfassers kreisen um die Frage nach dein Verhältnis
von Christen und Juden in altkirchlicher Zeil und im Mittelalter
, Er hat dieses Thema von verschiedenen Seilen angegan
gen: zu Texteditionen und Darstellungen, die auf literarischen Quel
len basieren, tritt hier eine Auswertung der bildlichen Quellen, Die
vorliegende Arbeit ist also weniger eine ikonographische. Niehl bestimmte
Bildtraditionen werden verfolgt, sondern die Haltung gegenüber
dem Judentum wird untersucht, und so ein aus der Literatur
gewonnenes Bild gestützt und bestätigt.

Verfasser bespricht etwa 150 Darstellungen, vornehmlich der

Buchmalerei, aus der Zeil zwischen 800 und 1500. Das ganze Unternehmen
mutet wie ein Spaziergang durch die Bildwelt des Mittelalters
an. Erst bei näherem Hinsehen werden unter dieser Leichtigkeit
das profunde Wissen und die exakte Arbeitsweise deutlich.
Das Werk isl lose gegliedert. Auf eine Schilderung, wie der Jude in

der christlichen Kunst dargestellt wird (Portraits et Caricatures),

Folgt die Besprechung alt- und neulestamenllicher Szenen. Verlas
ser gehl von dem grundsätzlichen Wandel aus, der mit dein Itcginn
der Kreuzzüge sich in der Beurteilung und Behandlung des
Juden vollzieht, und der zum weitgehenden Ausschluß aus dem
öffentlichen Leben führt. Im folgenden kehren bestimmte Züge
immer wieder: Die Juden (oft in der personifizierten Synagoge zusammengefaßt
) werden als solche dargestellt, die blind und taub
gegenüber Verheißung und Erfüllung sind. Sie werden auch dorl
karikiert, wo es der zu illustrierende Text nicht nahelegt. Die Bilder
unterscheiden nicht zwischen Juden, die an Christus glauben,
und solchen, die ihn verfolgen. Vielmehr wird die Grenze anders
gezogen: die Christen erfahren keine besondere Charakterisierung,
nur die Gegner Christi werden als Juden dargestellt, Das gehl so
weit, daß einerseits allleslainenllic.be Patriarchen als christliche
Heilige erscheinen, andererseits alle Arien von Häretikern, Ungläubigen
, Lasterhaften als Juden wiedergegeben werden, so daß
schließlich in der Passionsgeschichte die Römer durch Juden er
selzt werden können, die nun die Kreuzigung vollziehen. Ein Ana
chronismus identifiziert den Verfolger Christi und den miltelalter
liehen Juden. Während die „Heiligen" historisierende Kleidung
M agen, erhallen die Verfolger mittelalterlich-jüdische Tracht. Später
, als nach den großen Vertreibungen dein Künstler die Anschauung
fehlte, wurden die Juden durch orientalisches Aussehen ge

kennzeichnet. Neben diesen Hauptergebnissen bietet das Buch eine
fülle wertvoller Einzelbemerkungen. Auch hier werden die aus
dem Literaturstudium gewonnenen Erkenntnisse für die Bilderklärung
fruchtbar gemacht.
Gelegentlich scheinen die Denkmäler etwas überinterpretierl

worden zu sein, so etwa, wenn Schema tische! Gesichlei und Gesten
auf frühen Denkmälern sehr psychologisch gedeutet werden oder
wenn ein ziemlich verbreitetes Haarschema immer dann, wenn es
hei Juden vorkommt, als jüdische Schläfenlocke bezeichnet wird.
Auf (ig. 95 (p. 87) ist gewiß keine Krau dargestellt. Auf der luchrift
von lig. 70 isl gllori)a ZU lesen. Daß die Synagoge von Sr Gilles
ifig. 71) eine Krone in Tempelform gelragen haben soll, erscheint
mir merkwürdig. Eher möchte ich an ein Tempelmodell denken
(analog dem Kirchenmodell, das Ekklesia oft trägt), das der Hand
der Synagoge entgleitet.

In einem letzten Teil (Uu messagc de l'amour?) zitiert der Ver
fasser einige Denkmäler, auf denen Personen der Ileilsgcsehichle

als Juden (und ohne alle Karikatur) dargestellt sind. Er knüpft

daran die Hoffnung, daß der Kampf des Christentums gegen das
Judentum nichts Notwendiges isl. Gerade weil das Buch so exakt
gearbeitet ist, wird es ohne Zwang aktuell. Die Geschichte einer
Schuld leuchtet auf.

Ein ikonographisches Register und ein Abbildungsverzeichnis
beschließen den Band. Die Abbildungen sind gut.

Dem Verfasser gebührt Dank, ein Thema bearbeitet zu haben,
das in dieser form noch nicht behandelt worden ist, und Anregungen
für Detailstudien gegeben zu haben.

Greils« alil Hans Gcuik T Ii ü in m c I

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 5