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Ausgabe: | 1968 |
Spalte: | 334-335 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Morenz, Siegfried |
Titel/Untertitel: | Altägyptischer Jenseitsführer 1968 |
Rezensent: | Rupp, Alfred |
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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 5
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— was damals noch Fernziel war - zu einer eigenständigen Kirchr
zusammenzufassen waren. Gutmann betonte, daß als wesentliche
und bestimmende Faktoren die Gliederungen in Sippe, Nachbarschaft
und Altersklasse, die sog. urtümlichen Bindungen, zu berücksichtigen
seien. Entsprechend gestaltete er seine Arbeit als
Leipziger Missionar unter den Dschagga am Kilimandscharo im
heutigen Tanzania, wohin er 1902 entsandt wurde. Mit z. T. kriegsbedingten
Unterbrechungen hat er dort über dreieinhalb Jahrzehnte
gewirkt.
Auf Grund seiner Sprachkenntnis hat er sich unter allen Europäern
am tiefsten in die Anschauungen, vielleicht kann man sogar
sagen: in die Seele der Dschagga hineingearbeitet. Umfangreiche
Publikationen über die Volksdichtung, die Jugendlehren und das
Recht der Dschagga legen Zeugnis von diesem Bemühen ab, das
auch die Anerkennung der Wissenschaftler durch Verleihung der
theologischen und der juristischen Doktorwürde gefunden hat.
Gutmann war in der glücklichen Lage, seine Gedanken über den
Aufbau einer Gemeinde in die Praxis umzusetzen. Die Dschagga
lebten in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts noch in
starker Volksverbundenheit in ihrer Bergheimat. Erst nachdem
1912 die Eisenbahn das Kilimandscharogebiet erreicht hatte, wurden
sie allmählich freizügiger. E. Jaeschke, der 1938 Gutmanns
Nachfolger in Moschi wurde, bezeugt, daß ihm die Gemeindearbeit
nur dadurch ermöglicht wurde, daß sein Vorgänger sie nach den
von ihm vertretenen Grundsätzen organisiert hatte.
Der Verfasser wurde nicht müde, in Büchern und Aufsätzen auf
die Kelevanz der urtümlichen Bindungen hinzuweisen. Er plante
noch in hohem Alter, aufs neue zu diesen Fragen Stellung zu neh
men und eine Anzahl bisher unveröffentlichter Aufsätze unter
dem Titel „Der grundständige Mensch" herauszugeben. Diese Arbeit
hat ihm Jaeschke abgenommen und zum 90. Geburtstag Gutmanns
am 4. Juli 1966 die vorliegende Sammlung publiziert. Sie
beginnt mit einer biographischen Würdigung, dem das Grußwort
des in Daressalam tätigen Dschagga-Pastors Anaeli A. Macha folgt.
Ein Zeugnis für die hohe Wertung der Sakramente, die für Gutmann
kennzeichnend war, ist, daß der Schreiber dieses Grußwor-
les seinem Namen hinzufügt: „der aus Bruno Gutmanns Händen
die Taufe empfangen hat". Nach einer Einleitung, die den Titel
des Buches behandelt, finden wir sieben Aufsätze unter dem Ober
litel ..Volksorganische Gliederungen der Bantuvölker", worin u. a.
über die Stellung der afrikanischen Mütter und Großmütter oder
über das Verständnis der Brautgabe (oft Brautpreis genannt) als
eine die Frau schützende Bundesgabe gesprochen wird. Der zweite
große Abschnitt handelt von „Kreatur und Gotteskindschaft". der
dritte von dem „gegliederten Gemeindeaufbau". Im Anhang ist die
Bibliographie, die 500 Titel des weitverzweigten Schrifttums des
Verfassers enthält, für künftige Forscher wichtig.
Zu dem mehrschichtigen Inhalt des Buches ist folgendes zu sagen
: Die Darstellung der religiös-soziologischen Verhältnisse der
Dschagga trifft für die alle Zeit der im wesentlichen geschlossenen
Siedlung zu. Mit Recht wird darauf hingewiesen, welche Möglichkeit
das intakte Heidentum hatte, ein in Großfamilie und anderen
Bindungen gegründetes Leben nach bestimmten anerkannten Gesichtspunkten
zu führen. Das zeigte sich z. B. darin, daß sich aus
jeder führenden Altersklasse Männer gedrängt fühlten, „öffentlich
gegen ein normwidriges Verhalten aufzutreten und vor gewissenlosen
Handlungen zu warnen" (S. 202). Es ist auch zu beachten,
daß bereits in der alten Zeit ein Wort für „Gewissen" vorhanden
war. Man bezeichnete es als ngo tsa mrima „Stützpfosten
des Hauses der Seele" oder „Hauspfosten der Seele" (S. 203/4).
Gutmann hat seine Vorstellungen von Nächslenschaft nicht nur
der afrikanischen Umwelt entnommen, er versucht vielmehr, sie
aus der Bibel zu begründen. Er beruft sich immer wieder auf Luther
und legt u. a. im einzelnen dar, wie dieser den Dekalog im
Katechismus nichl individualistisch, sondern „volksgemeindlich
bezogen sein läßt" (S. 93). Ob Gutmanns Exegese biblischer Stellen
immer richtig ist, wurde bereits vor Jahrzehnten u. a. von W. Holsten
bezweifelt. Wenn er z. B. sagt, daß ilyannv „das Verhältnis einet
Mannes zu seinem Gastfreunde, den wechselseitigen freien Zugang
zu Haus und Tisch, das vollkommene Aufgenoinmensein in die
Haus- und Tischgemeinschaft" bezeichne (S. 189), so mögen Solche
Gedanken mitschwingen, sie umfassen aber nichl den Gesamtinhalt
des Wortes.1 Oder kann man aus der jtntpm in Eph. 3,14
') Vgl. i. B. E. Stauftor, Theol. Wörterbuch I, S. 56.
schließen, daß das gefügehafte Sein der Gotteskindschaft in Christo
Jesu „als irdische" Voraussetzung das „bindige Wesen der Got-
tesebenbildlichkeit" habe, das den Menschen „in eine Ergänzungsgemeinschaft
eingeordnet zeigt" (S. 89)? Wichtiger als Detailfragen
der Exegese scheint mir zu sein, ob die Tatsache, daß alle irdischen
Gegebenheiten einer gefallenen Welt angehören, immer in
ihrer Auswirkung berücksichtigt wird. Viele Völker und Stämme
haben ein schwereres Schicksal in ihrer Geschichte gehabt als die
Dschagga. Dadurch sind manche Volkstumswerte zerstört oder
verkehrt worden. Selbstverständlich weiß Gutmann als entschiedener
Lutheraner etwas von Sünde, Vergebung und Neuschöpfung
, es sollte aber auch häufiger auf die zerstörende Macht der
Sünde hingewiesen werden.
Der Verfasser beschränkt sich in seinen Gedanken und Vorschlägen
nicht auf Afrika, er möchte die evangelische Kirche, insonderheit
die lutherische Kirche nach seinen Vorschlägen in „näch-
stenschaftlicher Entsprechung" aufgebaut wissen. Voraussetzung
dazu ist m. E. die Volkskirche, ein Stadium, in dem sich heute mehrere
Stämme der Dschagga befinden. Es wäre zu begrüßen, wenn
dort, wo noch volskirchliche Verhältnisse herrschen wie mancherorts
bei uns auf dem Lande, Gutmanns Vorschläge z B. von einer
Taufkameradschaft oder von einem Patenanwalt geprüft würden.
Auch die soziologisch jetzt weithin anders strukturierte Gemeinde
braucht Bindungen. Wenn die urtümlichen Zusammenhänge zerfallen
, sollte man sie wieder aufleben lassen, was z. B. bei Altersklassen
möglich ist (z. B. Konfirmandenjahrgänge). Wo neue Sozialkörper
entstehen, wäre zu prüfen, ob sie nicht auch Organe für
eine echte Nächstenschaft werden können.
Gutmann ist am 17. Dezember 1966 bald nach seinem 90. Geburtstag
gestorben. So ist das vorliegende Buch ein postumes
Zeugnis von dem, was durch Jahrzehnte sein Sinnen und Streben
war. Es bleibt sein Verdienst, daß er die Bedeutung des 1. Artikels
in einer Zeit betont hat, in der man oft übersah, daß die persönliche
Heilsaneignung den Menschen nicht von den Bindungen seines
Menschseins an diese Welt löst. In dieser Beziehung sollten Gutmanns
Thesen auch in Zukunft beachtet werden.
Einzelnes: Ob die Stämme in „ihrem pränationalen Dasein"
von einem starken Gottesbewußtsein getragen worden sind und
der Kulminationspunkt das gemeinsame Abstammungsgefühl gewesen
sei (S. 38), ist wissenschaftlich wohl nicht zu erweisen. Die
gemeinsame Abstammung scheint auf ursprünglichen Totemismus
zu deuten, wie er von Gutmanns Leipziger Lehrer W. Wundt angenommen
wurde. — Wenn u j a m a a im Suaheli „Versammlung"
bedeutet ist dies m. E. nicht aus „sippenschaftlicher Haltung"
(S. 43/44) zu erklären, sondern daraus, daß das zugrundeliegende
arabische Vcrbum g a m a 'a bereits „versammeln" heißt. — Ob sich
aus dem .Sklavenstande die Vielweiberei entwickelt hat (S. 50),
dürfte nicht sicher sein. — Nach Gulmann bildet der Afrikaner mit
seiner Rundhütte den Himmelskreis ab (S. 77). Ich möchte in der
Rundhütte eher einen aus pragmatischen Gründen errichteten Wetterschutz
sehen.
Marburg Ernst D a m m a n o
M o r e n z, Siegfried [Hrsg.]: Altägyptischer Jenseltsführer. Papyrus
Berlin 3127. Mit Bemerkungen zur Totenliteratur der Ägypter
. 2. Aufl. Leipzig: Edition Leipzig 1966. 1 Rolle 179 X 26,5 cm,
Textbeilage (deutsch-engl.-franz.) 24 S. 4°. M 58,20.
Diese originalgetreue Wiedergabe eines ägyptischen Jenseitspapyrus
in der vollen Länge von 1,72 m ist leider eine ausgesprochene
Seltenheit unter den sonstigen Publikationen antiker Zeugnisse
. Erfreulich ist auch, daß dieser Papyrus in guter Ausführung
des antiken Künstlers vorliegt, mit Ausnahme freilich der von
Fehlern durchsetzten kurzen Texte. Die Sorgfalt der Herausgabe
durch S. Morenz wird dem Gegenstand voll gerecht. Aber auch die
(TUallfilierte Arbeit des Verlages verdient Anerkennung.
Glücklich fügt sich zum Ganzen die fachgerechte und verständliche
Einführung des Herausgebers, welche gerade den Nichf-
ägyptologen zu tieferem Verständnis der nicht immer einfachen
Materie der ägyptischen Jenseitsvorstellungen anzuleiten vermag.
Gleich zu Beginn des Papyrus 3127 des Berliner Museums wird
auf der rechten Seile der ursprüngliche Besitzer genannt: jmn-m-
wj', „Amun ist im Schiff", der den sonst nicht belegten Titel hrj-
't-pr-jmn, „Vorsteher der Kammer des Tempclgutes des Amun"