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Ausgabe:

1968

Spalte:

308

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Jahrbuch evangelischer Mission 1967 1968

Rezensent:

Lehmann, Arno

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Seite 1

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307

Ein neues Gebiet erschließt H. W. Turner: »Katechismen
unabhängiger westafriikanischer Kirchen" (S. 73-88). Es werden
verschiedene Katechismen untersucht und deren Besonderheiten
herausgestellt, vor allem auch die Kürzung des Glaubensbekenntnisses
, die Übereinstimmung mit den überkommenen Katechismen
und vor allem auch die afiikanisierten Erweiterungen. .Die
Hauptunterschiede liegen in der Akzentuierung oder in der Afri-
kanisierung" (S. 76). In einem Falle wird „das völlige Übergehen
des Abendmahls, das im englischen Vorbild so wichtig ist", festgestellt
(S. 77). Wahrscheinlich liegt es daran, daß in manchen
afrikanischen Kirchen die Riten als sehr viel wichtiger angesehen
werden als die Lehre, wenn „jede Lehre über Bedeutung und
Funktion der Taufe als Sakrament fehlt" (S. 78). Zwei andere
Kirchen machen in ihrem Katechismus „ausgezeichnete Aussagen
über die Ehe", sagen aber kein Wort über die Polygamie, die in
diesen Kirchen als erlaubt gilt (S. 81). In einer Kongo-Kirche mit
100000 Mitgliedern handeln von den 24 Fragen und Antworten
volle 22 von dem Leben und der Botschaft des Gründers, des
.Propheten" Simon Kimbangu, der „von .Anbeginn bei Gott
wohnt', von den Toten aufersteht, in den Seelen der Gläubigen
weilt und leibhaftig in der Zukunft wiederkehren wird. Er wird
mit dem Heiligen Geist identifiziert . . . Andererseits wird ausdrücklich
gesagt, daß er nicht Gott sei1, sondern Botschafter Jesu
Christi" (S. 81). Im Anhang des Kapitels wird sodann eine Übersetzung
des Katechismus der Kirche des Herrn geboten, der vom
Verf. im Blick auf den Grad der Afrikanisierung als sehr konservativ
bezeichnet wird und für dessen Darbietung man nur
sehr dankbar sein kann.

H.-J. Greschat bringt in Kap. 5 Ausführungen über
„Witchcraf t' und kirchl. Separatismus in Zentral-Afrika" (S. 91
bis 104). „Zauberei" oder „Hexerei" gibt nicht das ganz wieder,
was hier mit „witchcraft" gemeint ist und die immer noch sehr
lebendig ist. Solche Fälle werden aufgezeigt. Von einer Immersionstaufe
wird berichtet, die zum Ordal (dem sich Hunderte
freiwillig unterzogen!), wurde: „Wer beim Taufakt nicht völlig
untertauchte, war mfiti und mußte nach altem Recht getötet
werden", was auch in vielen Fällen geschah (S. 96). Wie nicht
anders zu erwarten, kam es zu mannigfachen Verschmelzungen
von Elementen der alten Religion mit solchen des Christentums.
Es ist aus allen Teilen Afrikas bekannt, daß auch Christen (auch
Kirchendiener) sich von solchem Glauben nicht haben frei machen
können. Greschat urteilt, daß „die psychische Realität der Furcht
vor ,witchcraft', wenn sie von europäischen Missionaren ignoriert
wird, sich ihr .Recht' nimmt, auch um den Preis der Separation
von der Mutterkirche" (S. 103/4).

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Derselbe H.-J. Greschat bietet in Kap. 6 eine „Vorläufige
Bibliographie zum Problem nachchristlicher Kirchen, Sekten und
Bewegungen in Afrika" (S. 107-127), die man um so mehr begrüßen
muß, als eine solche in dieser Ausführlichkeit bisher keinem
deutschen Fachbuch beigegeben war.

In seiner Einführung sagt E. Dammann S. X: „Man hat den
Eindruck, daß der Inhalt dieser nachchristlichen Bewegungen
sehr komplex ist. Sie sind aber Ausdruck dessen, was heute vielfach
afrikanische Menschen bewegt. Auf dieses im deutschen
Sprachraum zumeist noch vernachlässigte Gebiet hinzuweisen und
seine auch und gerade für die Praxis wichtige Bedeutung darzulegen
, ist das Ziel der folgenden Aufsätze".

Das gesteckte Ziel wurde erreicht. Man kann nur wünschen,
daß Theologen, Religionsgeschichrler, Afrikanisten, Völkerkundler
, Soziologen und viele der vielen Afriikareisenden und „Entwicklungshelfer
'' davon Kenntnis nehmen, um den afrikanischen
Menschen zu verstehen und damit auch besser helfen zu können.
Es handelt sich hier nicht um einen kleinen Nebenzweig innerhalb
der afrikanischen Christenheit: die neueste Zählung solcher
Schismen wird im World Christian Handbook 1968 S. 24 mit 4 594
angegeben, vertreten in 33 afrikan. Staaten mit nahezu 7 Millionen
Anhängern in 270 verschiedenen Stämmen in allen Teilen
des Kontinents südlich der Sahara.

Halle / Saale Arno Lehmann

Jahrbuch Evangelischer Mission. 1967. Hamburg: Verlag d.
Deutschen Evangelischen Missions-Hilfe 112 S. m. 3 Tab. u.
123 S. m. 4 Tab. 8°.

Dies ist ein Orientierungsbuch: der erste Beitrag schildert
den heutigen deutschen Einsatz und empfiehlt sich allen Pfarrern
und Christen zur Einsicht in das, was heute die ökumenische
Arbeit betrifft und bedrängt. Den eigentlichen Textteil
bilden sodann fünf Aufsätze über die Arbeit an den jungen Menschen
in Afrika, an einer japanischen Universität und im Nahen
Osten. In ihnen erfolgt eine Einführung in und eine Blicköffnung
für eine der wichtigsten Aufgaben von heute.

Die neuesten Statistiken, Missionsanschriften, Missionskonferenzen
, Litcraturschau 1966 (255 Nummern) und eine Literaturübersicht
über den Wandel in den nichtchristlichen Religionen
(756 Nummern) füllen die größere 2. Hälfte des Jahrbuches.

Halle/Saale Arno Lehmann

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 4

Referate über theologische Dissertationen und Habil-Schriften in Maschinenschrift

Grote, Heiner: Sozialdemokratie und Religion. Eine Dokumentation
für die Jahre 1863 bis 1875. Diss. Tübingen 1967. 292 S.
mit Beiheft bis S. 312.
Es handelt sich hier um eine Arbeit aus dem Institut für christliche
Gesellschaftslehre der Universität Tübingen (Prof. Steinbach
), in dem seit Jahren von fast allen in Frage kommenden Dokumenten
Kopien zusammengetragen worden sind. Die Originale
befinden sich an etwa drei Dutzend verschiedenen Orten
Deutschlands, der Niederlande, Österreichs und der Schweiz,
hauptsächlich aber im Amsterdamer Internationaal Instituut voor
Sociale Geschiedenis und im Berliner Institut iür Marxismus-Leninismus
beim ZK der SED.

Die Untersuchung stellt das Verhältnis der werdenden deutschen
Sozialdemokratie zu den mannigfaltigen Erscheinungen
ihrer religiösen Welt und Umwelt dar und zieht außersozialdemokratische
Quellen nur insoweit in Betracht, als sie für das ausgewogene
Verständnis der sozialdemokratischen Haltung nötig
sind. Der Verfasser läßt die charakteristischsten Selbstzeugnisse
der jungen Partei zu Wort kommen und will eine Textbasis
schaffen, nicht allein für seine Interpretation, sondern für die
Diskussion überhaupt, die bis heute an mangelhafter Quellenkenntnis
krankt.

Der Stoff ist thematisch gegliedert. Am Anfang steht eine
Studie über den Lassallekult als ein Phänomen sektiererischer Introversion
. Danach schildern mehrere Kapitel das Gegenüber zu
Katholizismus und Kulturkampf, zum Protestantismus und zu
,externen' Bereichen wie Ausland und außerchristliche Religionen
. Die Monographien „Freireligiöse und Freidenker" und „Parteidisziplin
und Parteiprogramm" geben - begrenzt auf den Aspekt
des Gesamtthemas - die wesensmäßige Selbstbestimmung
der Partei wider. Darauf bauen sich weitere Studien auf, die sowohl
den Wachstumsprozeß der sozialdemokratischen Ideologie
nachzeichnen als auch den Alltag zu erfassen versuchen. Die
letzte Monographie gilt den Polizeiaktionen und Gerichtsverhandlungen
.

Das Christentum hatte Lebens- und Jahresrhythmen überliefert
, die das deklassierte Proletariat nicht missen wollte, deren
Inhalte es aber in seinem sozialen und politischen Kampf veränderte
oder gar auswechselte. Man schuf sich ein eigenes Jesusbild
, und man hatte eine dezidierte Ansicht ven der Kirchengeschichte
. Darüber hinaus handhabte die junge Partei eine Fülle
klassischer Waffen und moderner Schlüssel. Erstere hatten ihr
Schule und Kirche vermittelt und wurden nur neu zugeschliffen,
bei letzteren war sie noch auf das Treibgut angewiesen, das die
Ausläufer des geistesgeschichtlichen Stromes ihr zutrugen, wobei
die Partei freilich in der Flut der heterogensten Argumente zu
ertrinken drohte und sich nach einem durchgebildeten, einheitlichen
Bezugssystem zu sehnen begann.