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Ausgabe:

1968

Spalte:

295-297

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Reiners, Hermann

Titel/Untertitel:

Grundintention und sittliches Tun 1968

Rezensent:

Søe, Niels H.

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 4

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ten der ekklesiologischen Trennung sich darbietet'" (6 £). In den
übrigen Aufsätzen wird der Rechtfertigungslehre, auch in Auseinandersetzungen
mit Rom und im Anschluß an Küng mit Barth,
ein breiter Raum eingeräumt. Der Satz: „Wo die Liebe herrscht,
bedarf es keiner Rechtssatzung für die Regelung des Miteinan-
derseins. ." (183) verkennt m. E. die Eigenbedeutung des Rechts,
das zwar von der Liebe erfüllt wird, aber nicht durch sie ersetzt
wird.

Halle/Soole Erdmann Schott

ETHIK

Heiners, Hermann: Grundintention und sittliches Tun.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1966]. 212 S. 8° = Quaestio-
nes Disputate, hrsg. v. K. Rahner u. H. Schlier, 30.

Vorliegende Arbeit ist im Sommer 1965 von der Pontificia
Universitas Gregoriana in Rom als theologische Dissertation angenommen
worden. Sie beschäftigt sich mit ganz grundsätzlichen
Fragen der heutigen katholischen Moraltheologie. Und da sie die
moderne Literatur über diese Fragen ausgiebig berücksichtigt
und selber den Versuch macht, einen gangbaren Weg durch die
verwickelten Probleme zu finden, kann auch ein evangelischer
Theologe das Buch mit wirklichem Interesse und nicht ohne Teilnahme
studieren. Man lasse sich ja nicht durch die langen und
langweiligen Einführungen, die philosophisch und psychologisch
orientiert sein wollen, jedoch ziemlich oberflächlich sind,
abschrecken. Wir werden wirklich in sehr ernsthafte Probleme
und einen interessanten Kampf um eine neue Lösung eingeführt.

Eigentlich handelt es sich um eine Gegenüberstellung der
bisherigen, angeblichen Moral der Akte und einer neuen Moral
der Tendenzen und Grundhaltungen. Überraschend ist das zwar
nicht. Seit einem Jahrhundert wenden sich ja führende katholische
Moraltheologen mehr oder weniger entschieden gegen
eine extreme Kasuistik, etwa wie die des Liguori. Geht es doch,
sagt man, in der christlichen Sittlichkeit um die Heiligung des
alltäglichen Lebens, um das Reifwerden eines christlichen Charakters
, um die Gesinnung, die Grundhaltung oder die Grundintention
, oder wie man es nun eben ausdrückt, und nicht nur
um die Möglichkeit, im Beichtstuhl genau unterscheiden zu können
zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem und zwischen läßlicher
Sünde und Todsünde. Zwar darf man bekanntlich nicht die
antikasuistische Tendenz dermaßen überspitzen, daß man eine
„Situationsethik" befürwortet. Das ist ja vom Papst Pius XII.
direkt und wiederholt abgelehnt worden. Auch darf man nicht
„die gute Meinung" so einseitig hervorheben, daß man schließlich
lehrt, die Absicht heilige die Mittel. Aber vielleicht könnte
man mit Hilfe der sprachlichen Neuschöpfung „Grundintention"
neues Licht auf alte Fragen werfen. Das wenigstens ist es, was
Reiners beabsichtigt.

„Grundintention" ist nicht dasselbe wie „Grundhaltung" und
auch verschieden vom Begriffe „Grundentscheidung". Der letztere
Begriff bedeutet eine klare, totale Entscheidung, wo man
zwischen Gut und Böse wählt, d. h., wo man sich, wenn man sich
richtig entscheidet, für das Gute gegen selbstsüchtige Neigungen
einsetzt. Eine solche Grundentscheidung ist auch, so behauptet
man, einem ziemlich kleinen Kind möglich. Sie ist, wie gesagt,
ihrem Wesen nach total, kann aber später zugunsten einer entgegengesetzten
Grundentscheidung rückgängig gemacht werden.
Wirkt sie sich aber aus, bildet sich eine lebensbestimmende
Grundintention, die dann allmählich sich in einer Grundhaltung,
einem christlichen Habitus, verfestigt.

Nun weiß ein katholischer Theologe natürlich, daß eine
Grundentscheidung für das Gute dem gefallenen Menschen nur
durch göttliche Gnade möglich ist. Diese Gnade ist Gott aber
immer willig zu gewähren, die übernatürliche Liebe zum sum-
mum bonum, d. h. zu Gott, welche allein „verdienstlich" ist,
hängt jedoch natürlich nicht nur von dem guten Willen eines
Menschen und der allgemeinen göttlichen Gnade ab. Hier ist die
gratia sanctificans notwendig.

Von hier aus greift nun der Verfasser vor allem zwei Problemkomplexe
auf.

Erstens: Läßt sich behaupten, daß auch ein nichtevangelisicr-
ter Mensch oder gar ein Atheist oder ein Häretiker eine Grundentscheidung
für das absolut Gute machen kann. Kann er, vielleicht
ohne den Namen Gottes zu kennen oder vielleicht, indem
er ihn verleugnet, Gott finden, Gott wohlgefällig sein? Die Antwort
ist ein klares Ja. Das Objekt, dem ein solcher Mensch sich
hingibt, muß zwar einen gewissen Absolutheitscharakter besitzen
. Dieser Charakter muß als solcher erkannt und gewürdigt
sein, und das Objekt muß den Menschen bewegen, über sich
selbst hinauszugehen, so daß es zur Hingabe, zur Liebe führt.
Das Ziel des Menschen und die erforderliche Kraft sind zwar
übernatürlich. Mit Gottes Hilfe, die durch Gottes universalen
Heilswillen gewährleistet ist, kann jedoch dieser Abgrund überbrückt
werden.

Viele Fragen tauchen auf, vor allem die, welche damit gegeben
ist, daß es keine Rechtfertigung ohne übernatürlichen Glauben
gibt. Im Anschluß an Maritain löst Reiners aber dieses Problem
dadurch, daß er auf eine volitionale, ausschließlich praktische
Erkenntnis, die in einem gelebten Akt eingeschlossen ist,
hinweist. Ja, er geht so weit, daß er behauptet, ein „beruhigter
Atheismus" (der Ausdruck ist von Rahner geprägt) auf dem
Gebiet sittlicher Erfahrung, in der Bejahung absoluter sittlicher
Verpflichtung sei unmöglich. „Das läßt sich aus der Transzendenz
des Menschen ableiten" (S. 98).

Und dann der zweite große Fragenkomplex, das Wesen der
Todsünden und ihre Unterschiedlichkeit von den läßlichen Sünden
.

Ohne natürlich die Notwendigkeit göttlicher Gnade zu verleugnen
, behauptet der Verfasser, daß der Gnadenstand durch
einen Akt der Grundfreiheit erworben werde. Dann kann er
wohl auch nur durch einen entgegengesetzten Akt verlorengehen
. „Damit ist praktisch an die Stelle des Objektes als Kriterium
zur Feststellung der Schwere einer Sünde in letzter Instanz
die Intensität und Tiefe des persönlichen Einsatzes getreten
" (S. 116). Reiners weiß sich hier in Übereinstimmung mit
führenden modernen Moraltheologen, wenn er feststellt, daß
die Unvollkommenheit des Aktes und nicht unmittelbar die
mindere Schwere des Gebotes das Wesen der läßlichen Sünde
ausmacht. Falls ein Akt nicht aus der Mitte der persönlichen
Entscheidungsfreiheit hervorgeht, wird doch wohl die Grundintention
des Täters nicht geändert, er wendet sich nicht total
von Gott ab. Somit handelt es sich doch wohl nur um eine läßliche
Sünde. Doch liegt die Gefahr vor, daß eine Reihe von Einzelakten
, die an sich läßlichen Charakters sind, schließlich eine
neue Grundintention aufrichten.

Von dieser Fragestellung aus werden nun auch Begriffe wie
Schwachheitssünden, Reue, Tugend als Grundintention, die gute
Meinung usw. behandelt. Immer handelt es sich um die Frage,
inwiefern von einer Änderung der Grundintention, auf Gott hin
oder von Gott weg, gesprochen werden kann. Es geht wirklich
um eine Moral der Tendenzen oder Grundhaltungen, nicht oder
wenigstens nicht primär um eine Moral der Akte.

Und daran soilte doch wohl ein protestantischer Ethiker sich
freuen? Stehen wir hier nicht wenigstens an der Schwelle einer
Gesinnungsethik? Ist das nun aber wirklich so neu und so erfreulich
und so echt evangelisch? Spüren wir nicht auch hier
noch die Luther so verhaßte Tradition von Aristoteles? Eine wesentlich
rein individualistische Ethik, wo schließlich alles um die
Erwerbung und Verfestigung eines ethischen Charakters, die individuelle
Selbstvervollkommnung, sich dreht? Ein getaufter
Aristotelismus zweifelsohne. Denn natürlich ist die göttliche
Gnade auf allen Stufen der sittlichen Wanderung unentbehrlich.
Und trotzdem, das ganze Buch ist, wenn ich richtig sehe, das
Evangelium für die homines bonae voluntatis. Wer immer strebend
sich bemüht, dem ist Gottes gnadenreiche Hilfe bereit, um
die Kluft zwischen Intention und Ziel zu überbrücken.

Was wahrhaftig nicht heißt, daß auch wir als evangelische
Christen nicht mit denselben Problemen - etwa: Gottes Gnade
und die sogenannten Heiden - zu ringen haben. Tiefgreifende
Unterschiede in der Grundeinstellung finden sich doch auch hier.