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Ausgabe:

1968

Spalte:

280

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Tice, Terrence N.

Titel/Untertitel:

Schleiermacher bibliography 1968

Rezensent:

Jacob, Friedrich

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Seite 1

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dikalc deutsche Sozialismus und die christliche Gesellschaft".
Leider weif} Verf. sehr wenig über die Männer, von denen Todt
abhängig war: neben Rodbertus und V. A. Huber waren es Her-
man Wagener, der 1871/72 eine „Sozialkonservative Partei" zu
gründen versuchte, und Wageners Schüler Rudolf Meyer, obwohl
ihn meine verschiedenen Untersuchungen aus den letzten 12 Jahren
über beide hätten belehren können.

B. sieht R. Todt in der Nähe der Kathcdersozialisten, zumal
hinsichtlich seiner Eigentumskritik. Mit Recht stellt er fest, daß
die von Todt in seinem genannten Buch geäußerten Gedankenreihen
„gemessen an den Ausführungen damaliger Theologen
oder liberal denkender Protestanten einfach revolutionär zu nennen
" seien (184). Todt sei der „Theologe des Staatssozialismus"
gewesen. Von Marx und den Marxisten unterschied ihn freilich
deren zu optimistische Beurteilung des Menschen; Ferdinand
Lassalle und seine Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe
entsprachen mehr seinen Vorstellungen. B. drückt es so aus:
„Der Assoziationsgedanke ist der in die ökonomische und politische
Ebene verlegte Gemeindegedanke. Von allen Möglichkeiten
wirtschaftlicher Ordnung entspricht die genossenschaftliche
Wirtschaftsweise dem Gemeindeprinzip am meisten" (201). Todt
gibt aber der marxistischen Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem
weitgehend recht. B. urteilt: „Uns ist keine Stellungnahme
damaliger Theologen überkommen, die so eindeutig
und ohne Wenn und Aber die Ausbeutung in der bürgerlich-
chrisllichen Welt als unumstößliche Tatsache konstatiert.
. . . Eine radikale Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem
und am bürgerlichen Lebensstil des neuen Deutschen Reiches
ist von evangelisch-theologischer Seite zum ersten und vorläufig
zum letzten Male in dieser Schärfe und Eindringlichkeit von Todt
vollzogen worden" (221). Todt kommt übrigens auch zur Bejahung
der sozialistischen Republik als Komplement zur Assoziation
, weil sie in ihrer Struktur dem presbyterial-synodalen Aufbau
der apostolischen Kirche „abbildhaft" entspreche (226). Da
er aber de facto „ein leidenschaftlicher Parteigänger der Monarchie
" geblieben ist (293), wie das zu damaliger Zeit für einen
Theologen im Staatsdienst nicht anders zu erwarten war, fragt
es sich, ob es sich hier nicht eher um spekulative Gedankenspiele
gehandelt hat, die die Begegnung mit dem radikalen Sozialismus
erleichtern sollten. Todt hat weder die Republik noch
die totale Verstaatlichung wirklich gewollt, es ging ihm vielmehr
um die präventive Staatsintervention zugunsten der ökonomisch
Abhängigen, sichergestellt durch die Krone Preußens. Also das
„soziale Königtum", wie es Lorenz von Stein, Rodbertus-Jaget-
zow und Hermann Wagener verfochten, war auch sein letztes
Wort. Füglich ist auch er den „Sozialkonservativen" zuzurechnen
(252 f.), und wie diese hat er am radikalen Sozialismus die
atheistische Komponente bekämpft, daß das menschliche Kollektiv
an die Stelle des Schöpfergottes getreten sei (247). Der Ort
der Kirche in der modernen Gesellschaft könne nur der einer
sozialen Volkskirche sein, weshalb die jungen Theologen auch
die Sozial Wissenschaften in all ihren Sparten studieren müßten,
eine Empfehlung, die damals solchen Anstoß erregte, daß er zu
ihrer Begründung eine eigene kleine Schrift publiziert hat (268).

Todt war auch einer der Mitbegründer des „Centrai-Vereins
für Sozialreform" - nach dem Verf. der eigentliche Spiritus
rector (274) -, der einige Jahre neben der Stöckerschen Christlich
-Sozialen Arbeiterpartei herlief und eine gewisse Eigenständigkeit
besaß. Hier in der politischen Konkretisierung zeigt sich
aber am deutlichsten, wo Todt wirklich stand: nämlich bei allem
tiefen theoretischen Verständnis auf dem Gegenpol der Sozialdemokratie
- wegen des in ihr organisierten Atheismus
(276 f.). Ehe er sich ganz von politischer Tätigkeit zurückzog,
konnte er gleich Stöcker eigentlich nur noch als „Mittelstandspolitiker
" angesprochen werden. Dies ist eine ähnliche Entwicklung
, wie ich sie ja auch für den katholischen Sozialreformer
Reichsfreiherr K. F. von Fechenbach-Laudenbach aufgezeigt
habe. Der kühne Sprung hinüber in die Reihen der Sozialdemokratie
, wie ihn die späteren religiös-sozialistischen Pfarrer wagten
, ist vor und unter den Sozialistengesetzen wohl noch nicht
möglich gewesen.

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B. gibt am Ende der Darstellung zu, daß sein gelegentlich
etwas zu glorifizierter Held in bezug auf die historische Wirksamkeit
eine „Randfigur der Geschichte" geblieben sei (286).
Wenn auch manche Vorgänger Todts geistig bedeutender waren
als er, bleibt ihm aber der Ruhm, als evangelischer Pfarrer „die
erste theologisch-systematische Analyse des radikalen Sozialismus
" gegeben zu haben. Daß dies gebührend aufgezeigt wurde,
ist das bleibende Verdienst des Buches von Günter Brakelmann.

Erlangen Hans-Joachim S c h o e p s

T i c e, Terrence N.: Schleiermacher Bibliography, with Brief
Introductions, Annotations and Index. Princeton, N. J.: Prince-
ton Theological Semmary 1966. 168 S. gr. 8° = Princeton
Pamphlets, 12. $ 2.50.

Jedem, der sich wissenschaftlich mit Schleiermacher beschäftigt
, wird diese Bibliographie ein willkommenes Hilfsmittel sein.
Mit ihren 1928 Nummern gibt sie ein eindrucksvolles Bild vom
Werk und von der Wirkung dieses Mannes. Zu ihren besonderen
Vorzügen gehört es, daß sie vor allem auch die außerdeutsche
Literatur mit berücksichtigt. (T. nennt u. a. nicht nur englische
, sondern auch skandinavische, französische und italienische
Arbeiten.)

T. hat seine Bibliographie dreigeteilt. Der erste Teil umfaßt
Schleiermachers eigene Schriften, Predigten, Vorlesungen und
Briefe sowie Material zu Schleiermachers Biographie. Dabei bietet
vor allem der Abschnitt über die Briefe viele kaum bekannte
Veröffentlichunigen. Hier hat das Schleiermacher-Archiv in Berlin
dem Verf. wertvolle Hilfe geleistet. Der zweite Teil enthält die
Sekundärliteratur zu Schleiermacher von 1800 bis 1964. Der
dritte Teil bietet in Form eines Anhangs die pädagogische Literatur
au Schlcicrmacher. Schließlich hat der Verfasser noch einen
sachlich geordneten Index angefügt. Der zweite Teil - er nimmt
den größten Raum des Buches ein - ist dagegen nicht nach Sachen
gegliedert. T. hat die Zeit von 1800 bis 1964 in sechs Abschnitte
geteilt (1800-1834; 1834-1869; 1870-1899; 1900-1918;
1919-1939; 1940-1964), innerhalb deren die Titel nach Verfassern
alphabetisch geordnet aufgeführt werden. Vor den einzelnen
Abschnitten stehen kurze Überblicke über die Beschäftigung
mit Schleiermacher in dem jeweiligen Zeitraum. Leider hat diese
Art der Gliederung den Nachteil, daß Zusammengehöriges oft
auseinandergerissen wird (z. B. die Veröffentlichungen von Werner
Schultz oder die von Georg Wehrung).

Ein schwieriges Problem bedeutet natürlich die Aufnahme
der Arbeiten, die auf Schleiermacher nur teilweise Bezug nehmen
. T. hat den Rahmen verhältnismäßig weit gespannt. Freilich
erscheint dann die Auswahl oft etwas willkürlich (z. B. ist die
Systematische Theologie von Tillich aufgenommen, nicht aber
die Dogmatiken von Althaus und Trillhaas).

Für den deutschen Leser wirkt störend, daß die Silbentrennung bei dem zum
Teil deutschen Text die im Deutschen üblichen Regeln nicht berücksichtigt. -
Auf S. 151, Nr. 1808, Z. 11 von unten muß es „supranaturalistischen" heißen. -
Der unter Nr. 1557 angegebene Aufsatz von K. Unger ist ein Auszug aus seiner
Dissertation (Nr. 1556).

In einer zukünftigen Auflage sollte noch berücksichtigt werden:

Lucas, Erhard, Die Zuordnung von Judentum und Christentum von Schi, bis
Logardi, Ev. Theol. 23, 1963, S. 590-607.

Macholi, Waldemar, Die romantische Ehe und der lutherische Ehestand
, in: Kirche und Gegenwart, Nr. 6, 1929, 63 S.

Odebrecht, Rudolf, Der Geist der Sokratik im Werk Schleiermachers,
in: Geistige Gestalten und Probleme, Festschrift für Eduard Spranger, hrsg. v.
H. Wenke, Leipzig 1942, S. 103-118.

S a n n w a I d , Adolf, Der Begriff der „Dialektik" und der Anthropologie.
Eine Untersuchung über das Ich-Verständnis in der Philosophie des deutschen
Idealismus und seiner Antipoden — Forschungen zur Geschichte und Lehre de;
Protestantismus, München 1931, 3. Reihe, Bd. 4, VIII, 278 S. (S. 146-171).

Schmidt, Martin, Grundlagen von Schleiermachers Geschichtsanschauung.
Das Ringen theologischer und antropologischer Motive, theol. Habil.-Schrift
Leipzig 1942 (Maschine, nur in der UB Berlin vorhanden!).

Stephan/Schmidt, Geschichte der deutschen evangelischen Theologie
seit dem deutschen Idealismus, 2. Aufl., Berlin 1960, XV, 393 S.

Karl-Marx-Stodt Friedrich Jacob

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 4