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Ausgabe:

1968

Spalte:

260-262

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bultmann, Rudolf

Titel/Untertitel:

Glauben und Verstehen; Bd. 4 1968

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Seite 1, Seite 2

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259

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 4

260

Lehre von der Creatio ex nihilo als Abwehr griechisch-helleniisti-
scher, gnostischer und manichäischer kosniologisch-dualistischer
Spekulationen erwiesen (S. 179 f.).

Der zweite Hauptteil des Buches (II) befaßt sich mit der Vorstellung
von den Schöpfungsmittlern im hellenistischen und palästinischen
Judentum. Das erste Kapitel (A) behandelt die Gestalt
der Weisheit als des Schöpfungsmittlers (S. 189-215), und
zwar im Alten Testament, im palästinischen Judentum, im
außerphilonischen hellenistischen Judentum und schließlich bei
Philon; ein Anhangskapitel fragt nach der Bedeutung des Geistes
Gottes als eines kosmischen Prinzips im palästinischen Judentum
. - Ausführlich stellt das folgende Kapitel (B) die Rolle
des Logos als des Schöpfungsmittlers im hellenistischen Judentum
dar (S. 216-282). Nach der Bereitstellung der religions- und
geistesgeschichtlichen Voraussetzungen (Wort Gottes bzw. Memra
als kosmische Potenz in Altem Testament und Judentum; Logos
als kosmische Größe in der hellenistischen Philosophie und Theologie
) erfolgt die detaillierte Untersuchung der kosmologischen
Bedeutung des Logosbegriffs bei Philon (heraklittsches, platonisches
und stoisches Erbe; Synthese mit alttestamentlich-jüdischem
Erbe: Weisheit als Logos; Logos als Welt- und Naturgesetz). -
Kapitel C behandelt die Tora als kosmisches Prinzip im palästinischen
Judentum (S. 283-304). Auf die Untersuchung des Verhältnisses
von Welt und Gesetz im palästinischen Judentum folgt
die Darstellung der Gleichsetzung von Weisheit und Gesetz und
schließlich die des Gesetzes als des „Gerätes" der Erschaffung der
Welt; der letzte Abschnitt über „Die Vorstellung von der Tora
als kosmischem Prinzip im Judentum und die frühchristliche
Vorstellung von Christus als dem Schöpfungsmittler" leitet über
zu Kapitel D: „Christus als kosmisches Prinzip im Urchristentum
und in der frühen Kirche" (S. 305- 317). - Den Abschluß des
Textteiles bildet eine systematische Besinnung (E) über „Die Vor
Stellung von den Schöpfungsmittlern im Judentum und das Problem
der Einheit Gottes" (S. 318-331).

Ausführliche Register der behandelten Stellen (S. 333-355),
der zitierten modernen Autoren (S. 356- 361) und der wichtigsten
Stichworte (S. 361 f.) sowie ein hebräisch-aramäisches Wörterverzeichnis
(S. 362 f.) sind dem Werk beigegeben, ebenso - vor dem
Textteil - eine vollständige Bibliographie der benutzten Primär-
und Sekundärliteratur (S. XI-XXIV) und ein sorgfältiges Abkürzungsverzeichnis
(S. XXV-XXVII).

Die Untersuchungen von Hans-Friedrich Weiß stellen einen
hervorragenden Beitrag zur Geistesgeschichte des Judentums
dar; daß das frühe Christentum seinen gebührenden Platz in der
Auseinandersetzung der alttestamentlich-jüdischen mit der hellenistisch
-spekulativen Gedankenwelt erhält, ist nicht sein geringstes
Verdienst. Für den Neutestamentier und Dogmengeschichtler
besonders wichtig sind, nächst den Kapiteln C und D des Teiles I,
in denen es um die Weiterbildung jüdischer Ansätze zur christlichen
Lehre von der Creatio ex nihilo geht, die Kapitel D und E
des Teiles II; hier lernt der Leser (S. 305 ff., vgl. schon S. 300 ff.)
die jüdischen Voraussetzungen der kosmologisch-christologischen
Aussagen des Neuen Testaments (1 Kor 8,6; Hebr 1,2f.; Apk 3,14;
Kol 1,15-20; auch - gegen R. Bultmann - Joh 1,1-18) kennen,
aber auch (S. 318 ff., besonders S. 330 f.) die jüdischen und hellenistischen
Ansätze zur Ausbildung der christlichen Trinitätslehre.

Das Hauptergebnis der vorliegenden Abhandlung, deren
immenser Material- und Gedankenreichtum sich nur dem Benutzer
erschließen kann, besteht aber in dem „Nachweis, dafj . . .
eine grundsätzliche Grenzziehung zwischen hellenistischem' und
palästinischem Judentum' sachlich nicht zu rechtfertigen ist"
(S. 1). Die Denkstruktur ist „im sogenannten .hellenistischen' wie
auch im sogenannten .palästinischen' Judentum trotz aller Verschiedenheiten
im einzelnen sowie in der Methode der Darstellung
grundsätzlich die gleiche" (ebd.). Der zentrale Glaubenssatz
des Judentums von der Einheit und Einzigkeit Gottes wird im
hellenistischen Judentum sowenig aufgegeben wie im palästinischen
.

Der Arbeit von Weiß kommt zugute, dafj der Autor wie sein
Lehrer Rudolf Meyer sowohl Alt- als auch Neutestamentler und
nicht zuletzt ein gründlicher Kenner des Judentums ist. Den Ex-
egeten des Neuen Testaments weist dieses Buch mit großem Nachdruck
auf die Bedeutung des Judentums für das rechte Verständnis
eines großen Teiles der neutestamentlichen Vorstellungswelt
hin, und dem Alttestamentler bietet es ein wichtiges Stück „Nachgeschichte
" alttestamentlicher Schöpfungstheologie.

Die Kritik des Rezensenten kann sich auf Formales beschränken
. An Druckfehlern fiel mir nur auf S. 13 die Verunstaltung
von trtrm auf. Beim Inhaltsverzeichnis und den Überschriften
hätte man es lieber gesehen, wenn Weiß der allgemein üblichen
Buchstaben- und Ziffernordnung A I 1 a a gefolgt wäre; die Stellung
des einzelnen Abschnitts im Gang der Untersuchung wäre
in manchen Fällen leichter erkennbar geworden. Die grundlegende
Bedeutung des mit unendlichem Fleiß und größter Sachkenntnis
geschriebenen Werkes kann dadurch freilich nicht geschmälert
werden; Alt- und Neutestamentler. Kirchengeschich tler
und Systemabiker werden aus ihm zu lernen haben, und die
Welt des nachbiblischen Judentums erfährt an einem besonders
wichtigen Punkt ihres theologischen und philosophischen Denkens
eine monographische Würdigung von hoher Qualität.

Mainz Otto B ö c h e r

NEUES TESTAMENT

Bultmann, Rudolf: Glauben und Verstehen. Gesammelte
Aufsätze. IV. Tübingen: Mohr 1965. V, 198 S. gr. 8°. DM 14.-;
Lw. DM 18.-.

Zwei früher selbständig publizierte Beiträge füllen etwa die
Hälfte des Bandes. Seit 1925 erschien in mehreren z. T. veränderten
Auflagen die Studie über .Die Erforschung der synoptischen
Evangelien', eine allgemeinverständliche Einführung in die
Probleme der Formgeschichte aus erster Hand, die noch nicht
überholt ist und durch einen Nachtrag über die weitere Entwicklung
der Forschung ergänzt wurde.

Unbearbeitet blieb leider die deutsche Übersetzung von Jesus
Christ and Mythology', die seit 1964 im Stundenbuch 47 vorliegt.
Hier wäre eine Durchsicht wünschenswert gewesen, da die deutsche
Übersetzung manche Mängel zeigt. Ein besonders krasses
Beispiel: Aus der ursprünglichen Feststellung Bultmanns, daß der
Ursprung des Wortes Gottes „ein geschichtliches Ereignis ist,
durch welches das jeweilige Sprechen dieses Wortes autorisiert
und legitimiert ist" (Kerygma und Mythos 2, S. 205), wird auf
dem Umweg über den englischen Text: „Sein Ursprung ist ein
geschichtliches Ereignis, durch welches das Sprechen dieses Wortes
, die Predigt, autoritativ und legitim wiedergegeben wird"
(Gl. und V. IV S. 185).

5 Beiträge, in den Jahren 1959-1962 in Fest- und Zeitschriften
veröffentlicht, beschäftigen sich unter verschiedenen Aspekten
mit dem Problem der Geschichte und Geschichtlichkeit, dem
Zentralproblem des Bultmannschen Denkens seit den 20er Jahren
. .Der Gedanke der Freiheit nach antikem und christlichem
Verständnis' (42-51) wird in der bekannten Weise definiert:

.....dort wird die innere Freiheit durch die eigene Kraft des

vernünftigen und seiner selbst mächtigen Menschen gewonnen;
hier ist sie das Geschenk der befreienden Gnade Gottes" und
insofern radikal verstanden als Freiheit des Menschen von sich
selbst, von seiner Vergangenheit.

In die gleiche Differenz von griechischem und biblischem
Denken stellt Bultmann auch das Problem .Erziehung und christlicher
Glaube'. Da der christliche Glaube nicht auf der menschlichen
Vernunft, sondern auf dem verkündigten Wort Gottes beruht
, gibt es keine christliehe Erziehung, das heißt keine Erziehung
zum Christentum. Es gilbt nur einen Unterricht im Christentum
, der den geschichtlich zu vollziehenden Akt der Glaubensentscheidung
ermöglicht.

Die Ernst Beutler gewidmeten .Reflexionen zum Thema Geschichte
und Tradition' (56-68) stellen gegenüber G. Krüger
heraus, daß Geschichte und Tradition nicht in Gegensatz zueinander
stehen, sondern daß die Tradition den kontinuierlichen Zusammenhang
im Wandel der Geschichte begründet. Die traditionsgegebene
Einheit der Geschichte offenbart freilich noch nicht
deren Sinn, und nach Bultmann darf man auch nach einem umfassenden
Sinn des Geschichtsprozesses gar nicht fragen.
.....liegt nicht der Sinn der Geschichte eben darin, daß sie je