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Ausgabe:

1968

Spalte:

228-230

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Koenker, Ernest Benjamin

Titel/Untertitel:

The liturgical renaissance in the Roman Catholic Church 1968

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3

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der liturgischen Stil- und Formgesetze, für welche leider außer der
45 Jahre zurückliegenden Arbeit R. Guardinis „Vom Geist der Liturgie
" noch keine systematische Untersuchung vorliegt. Er weist auch
kurz auf einige wichtige Gesetze dieser Art hin. Alles, was der
Verfasser als unerläßlich anstrebt, kommt darauf hinaus, daß Reform
der Liturgie zugleich auch „Rückkehr zur Urform" werden
muß. „Wir müssen den Mut haben, sobald die Zeit dafür reif ist,
noch weiter in der Erneuerung der Liturgie zu gehen, als man
heute schon gegangen ist. Wir müssen Mut aufbringen, alles zu
streichen, was die spätere Entwicklung, so gut und berechtigt sie
zu ihrer Zeit gewesen sein mag, zur Verwischung und Verdunklung
der Wesenselemente der liturgischen Feier beigetragen hat"
(S. 19). Trotzdem warnt er vom Wesen der Liturgie her, nun zu
meinen, man müsse sofort alle an sich richtigen Erkenntnisse in
die Praxis umsetzen. „Liturgie ist. .. nicht wie ein altes Haus, das
man von heute auf morgen einfach abreißen und durch ein neues,
modernes ersetzen kann. Kult ist seinem Wesen nach etwas Beständiges
, weil allmählich Gewordenes. Er darf deshalb auch nur
allmählich geändert werden, wenngleich manche Eingriffe, wie bei
einer dringend nötigen Operation, sofort unbarmherzig und radikal
durchgeführt werden müssen" (S. 20). Wir werden bei der Lektüre
spüren, wie manches in diesen Ausführungen Nöte anspricht,
die wir Evangelischen genauso kennen. Sehr viel entscheidender
erscheint mir freilich die Frage, ob wir, wenn wir das Wesen unserer
Kirche nicht als eine solche der Revolution, sondern der
Reformation ernst nehmen, nicht allen Grund haben, sehr aufgeschlossen
zu hören, was sich diesem Forscher als die Urform
der Liturgie herausschält, und auch die Folgerungen zu bedenken,
die sich ihm von da aus für eine ökumenische Liturgie ergeben.

Der I. Teil handelt dann von der Feier des Herrenmahles, dem
Gottesdienst in der Frühzeit der Kirche (I. Der Ritus des heiligen
Mahles. II. Jüdische Berakha und frühchristliches Eucharistiegebet.
III. Bittgebete in den paulinischen Briefen. IV. Die Gesänge beim
heiligen Mahl. V. Frühe Gottesdiensträume. VI. Die Eucharistiefeier
am Samstagabend in Ägypten). Der Verfasser ist sich bewußt,
daß die Liturgiewissenschaft heute noch nicht in der Lage ist, alle
mit dem Gottesdienst der Urkirche zusammenhängenden Fragen
sicher zu beantworten. Von daher versteht er, daft die Reformatoren
- entgegen ihrer Absicht - zur Eucharistiefeier neutestament-
licher Zeit noch gar nicht zurückfinden konnten. Am längsten, d. h.
vielerorts bis ins 5. Jahrhundert, hat sich in Ägypten der ursprüngliche
, den jüdischen Wurzeln des Herrenmahles nahebleibende
Ritus erhalten. Die genaue Kenntnis der Frühgeschichte erscheint
dem Verfasser als wichtigste Aufgabe sowohl für die Forschung
als auch für die gegenwärtige liturgische Erneuerung. Im Gegensatz
dazu spiegeln die zahlreichen späteren Quellen eine Periode
liturgischer Erstarrung wider, die bereits bald nach Gregor d. Gr.
im Abendland begann und im wesentlichen bis in die jüngste
Vergangenheit andauerte (!). Von daher ist es zu verstehen, was
er im Teil II als „Die klassische Liturgie (sc. der Väterzeit)" darstellt
: I. Die gotisch-griechische Liturgie. II. Die afrikanisch-römische
Liturgie. III. Die irischen Mefilibelli als Zeugnis für die alte
römische Liturgie. IV. Die gallikanische Liturgie. V. Die Lektionsordnungen
des 4./5. Jahrhunderts. Schon die Erwähnung der „gotischen
" und „afrikanischen" Liturgie verraten angesichts der Quellenlage
dem Kenner, welch eigene Forscherleistung hinter diesen
Ausführungen steht. Der III. Teil „Spätformen der Liturgie" hat
bereits die Karolingerzeit im Auge. (I. Ein Papsthochamt im 8. Jahrhundert
. II. Die Übersetzung der römischen Liturgie unter Cyrillus
und Methodius ins Slawische. III. Die byzantinische Liturgie). In
jener Papstliturgie scheint dem Verfasser noch manches Urchristliche
in „einem heiligen Akt des Gebens und Nehmens" nachzuklingen
. Eindrucksvoll weift er die Vorzüge der byzantinischen
Liturgie darzustellen, um sich doch darüber klar zu sein, daft sie
infolge ihrer viel zu reichen Ausbildung in der Spätzeit heute nicht
allgemein übernommen werden kann. Immerhin hält er ihre Gebete
für die Übersetzung in eine moderne Sprache weit mehr geeignet
als die römischen Texte, die trotz der vielfach in ihr bewahrten
älteren Tradition den Menschen von heute in einer Übersetzung
ohne Kommentar weithin unzugänglich bleiben müssen.

Unser besonderes Interesse findet naturgemäß der IV. Teil „Die
ökumenische Liturgie" als die „Liturgie von übermorgen". Er behandelt
zuerst die Struktur und die Elemente des Wortgottesdienstes
[Collecta] (I.), die die wenigsten Probleme bieten, da dieser

„(wenn man den Vorbau der Vormesse unberücksichtigt läfit) in
allen Riten mit einer erstaunlichen Gleichmäßigkeit begangen wird"
(S. 200). Danach wendet er sich (II.) der Eucharistiefeier [Euchari-
stia] zu. Sie soll vor allem ihren Mahlcharakter zurückerhalten,
was mit dazu beitragen könnte, „daß auch im Bewußtsein der
Gläubigen die aktive Teilnahme am eucharistischen Mahl immer
mehr zu einer gewissen Selbstverständlichkeit wird, wie dies,
wenigstens im Westen, bis in die Karolingerzeit der Fall war"
(S. 229). Es wäre hier der Verfasser zu fragen, ob nicht gerade im
Blick auf das Herrenmahl der Frühzeit und die neutestamentlichen
Aussagen das Offertorium dahin umzubilden wäre, daß dadurch
neben der „vertikalen" Blickrichtung der Mahlfeier auch das Moment
der koinonia im Sinn einer Neuordnung der zwischenmenschlichen
Beziehungen vom Mahl her seinen Ausdruck finden
könnte. Unser besonderes Interesse wird den Ausführungen über
das Eucharistiegebet (S. 214 ff.) als „wirkliche Mitte der Feier"
gelten, zumal zugegeben wird, daß Praefatio und Canon missae im
römischen Ritus nicht als die ideale Form dieses Gebetes gelten
können. In diesen Ausführungen steht der bedeutsame Satz: „In
der ökumenischen Liturgie sollte diese hostia laudis im Eucharistiegebet
dominieren. Zusammen mit der immolatio der Gaben bildet
sie das Opfer der Kirche" (S. 216). Er führt sogar einen „klassischen
" Eucharistietext aus dem Gallien des 4. Jahrhunderts an, in
dem wie in den meisten gallikanischen Liturgien eine „immolatio"
der Gaben vollständig fehlt. Die Beziehung zum Golgathaopfer in
dessen Einmaligkeit versteht der Verfasser streng im Sinn der re-
praesentatio. Ja, er betont: „In keinem einzigen eucharistischen
Text der verschiedenen Liturgien findet sich der Gedanke erwähnt,
daß sich bei der Feier der Heiligen Messe Christus (erneut) seinem
himmlischen Vater darbringt" (S. 216). Selbstverständlich ist es für
ihn, daß das Eucharistiegebet künftig in der Volkssprache gebetet
werden muß.

Die drei restlichen Abschnitte beschäftigen sich mit der Hausmesse
, die in besonderer Weise ermöglicht, die Gläubigen die Tischgemeinschaft
mit Christus erleben zu lassen, mit dem Morgen- und
Abendgottesdienst und Problemen des Kirchbaues.

Wenn der Verfasser dem großen Theologen und Seelsorger aus
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Johann Michael Sailer das
Schlußwort gibt, so scheinen dessen Mahnungen an die Liturgen
seiner Zeit über alle konfessionellen Grenzen hinaus auch für uns
bedenkenswert.

Mit 29 Seiten enggedruckter Anmerkungen gibt der Verfasser
dem Laien wie dem Wissenschaftler dankenswerte Möglichkeiten,
die angeschnittenen Probleme in eigenen Bemühungen weiter zu
verfolgen.

Dieser im Verhältnis zu dem Gebotenen karge Bericht kann nur
darin seine Aufgabe sehen, zur Lektüre dieses ungemein reichhaltigen
und weiterführenden Buches Lust zu machen.

Greifswald William Nagel

Koenker, Ernest Benjamin: The Liturgical Renaissance in the
Roman Catholic Church. St. Louis-London: Concordia Publishing
House [1966]. XI, 274 S. 8°. $ 2,95.

Man geht mit einer gewissen Skepsis an die Lektüre dieses
Buches, wenn man erfährt, daß es sich hierbei um die unveränderte
Neuauflage einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1954 handelt
; Ereignisse von geradezu revolutionärer Bedeutung kennzeichnen
die seitherige Entwicklung auf dem genannten Gebiet,
und es erscheint sinnlos, über die liturgische Bewegung in der
römisch-katholischen Kirche heute unter dem notwendigerweise
sehr begrenzten Blickwinkel von 1954 etwas Gültiges aussagen zu
wollen. Doch diese verständliche Skepsis erweist sich bei näherem
Zusehen als unbegründet. Der Verfasser hat zwar durchgängig
darauf verzichtet, die Linien seiner Untersuchung in irgendeiner
Weise bis zur Gegenwart auszuziehen (lediglich eine sehr fragmentarische
„Supplementary Bibliography" bringt Literatur aus
den dazwischenliegenden Jahren); doch trägt seine Darstellung
auch so den Stempel einer unter diesen Umständen erstaunlichen
Aktualität. Man ist versucht, eine Reklamephrase des Verlages
- „a prophetic book!" - zu Hilfe zu nehmen, um diesen Sachverhalt
zu würdigen: Mit einem bewundernswerten Instinkt für
Entwicklungen und historische Schwergewichte hat der Verfasser
schon damals genau jene Momente der liturgischen Bewegung