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Ausgabe:

1968

Spalte:

218-219

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ebeling, Gerhard

Titel/Untertitel:

Wort Gottes und Tradition 1968

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Frage zumindest hätte Gogarten in seinen eigenen Grundfragen
zur Christologie sich stellen müssen, und auf diese eine Frage
möchte ich hier meine - durch die in Gogartens Buch empfangene
Belehrung geweckten und erneuerten - Fragen beschränken.

Warum bleibt die von der Menschheit Jesu Christi her geschichtlich
gedachte Gottheit Gottes - abstrakt? Warum endet hier das
Geschichtsdenken in dem (ja keineswegs zu bestreitenden, aber
als letzte Aussage doch eigentümlich blassen) Hinweis auf die je
eigene Erfahrung Gottes: „Was für ein Gott es ist, an den Jesus
sich mit seinem Bitten und Glauben wendet. . ., das wird der
selbst erfahren, der sich mit seinem eigenen Bitten und Glauben
bis dahin einläßt, wo es bei ihm um .alles' geht" (211). Wer wollte
das bestreiten? Aber „ich glaube, darum rede ich" - und warum
nicht davon, was für ein Gott da zu erfahren ist? Erträgt der
Glaube das im Denken abstrakt gelassene Wort „Gott"? Kann
der aus der Einheit Jesu mit ihm gedachte Gott in seiner Gottheit
innerhalb der Dimension geschichtlicher Wirklichkeit
nur in so tiefer Verborgenheit gedacht werden, daft er im Denken
de facto außerhalb der Dimension geschichtlicher Wirklichkeit verbleibt
? Wird denn Gott, je tiefer er ins Fleisch gebracht wird,
desto unsagbarer? Oder mischt sich da in unser neu zu gewinnendes
christologisches Denken ein letzter Rest uralter Metaphysik
? Merkwürdig, daft ausgerechnet Gogarten Gottes Gottheit
mitten in der Christologie so unkonkret zu denken erlaubt, daft
der von ihm einst gegen Barth erhobene Verdacht einer abstrakten
Dialektik nicht ausbleibt. Wenn Gott der ist, vor dem ich für
die Welt verantwortlich bin und dem ich in meiner Verantwortung
zur Antwort werde - wer ist dann Gott? „Verantwortung vor
Gott" nötigt uns, Gott als Forum zu denken. Ein dunkles
Forum? Es ist die Frage nach der Offenbarung Gottes, die
zu diskutieren bleibt. Nicht etwa, weil Gogarten diese Frage »vergessen
" hätte. Die Vermutung wäre naiv. Sein ganzes Buch gilt
einzig dieser Frage. Aber eben i um die Frage Stellung geht die
Frage, die bleibt.

Gogarten zitiert (234 f.) u. a. Luthers Auslegung von Ps. 2, 7,
um mit Luthers Gedanken, daft Christus seine Gottheit auf Gott
den Vater zurückbeziehe, Vorbehalte gegen die „sogenannte(n)
immancntc(n) oder Wesenstrinität" zugunsten „der ökonomischen
oder Offcnbarungstrinität" zu motivieren. Zweifellos geht es Luther
im dortigen Zusammenhang um die Offenbarung. Aber noch weniger
zweifelhaft ist, daft Luther dort gerade von Gottes Offenbarung
her die sogenannte immanente oder Wesenstrinität denkt
und verteidigt. Die auf Jesus Christus bezogene Aussage Ps. 2, 7
„quod deus genuit me in aeternitate" wird ausdrücklich als „capi-
talis articulus" behauptet, „quem diabolus vexavit per Arrium et
vexabit per Rottenses et in corde" (WA 40/11, S. 249). Daft der
Ps. 2, 7 Redende ein Mensch ist, wird nach Luther alle Welt
sehen; aber auf diesen Menschen als den ewigen Sohn
Gottes - „huc pertinet f i d e s" (a. a. O., S. 250). Und deshalb
ist der Satz von der „aeterna generatio filii dei" für Luther
ein Satz der Offenbarung und als solcher zu verteidigen
: „Quomodo duo dei? Ille respondcat, qui dat nobis hoc verbum
ut in eo haereamus, sehen sollen wir's nicht. Ipse sie dicit: Ich
wil euch ein gut ding predigen, sol heissen: filius dei" (S. 253).
Wer hingegen Gottes dreieiniges Wesen mit Disputationen über
die Einheit der Substanz usw. in Frage stellt, stellt nach Luther
Gottes Offenbarung in Frage - „hoc est facere deo nasum". Da
9üt: „Noli speculari" (ebd.). An anderer Stelle zitiert Gogarten in
einer Reihe von Lutherworten auch aus der Hebräerbriefvorlesung
von 1517: „Man müsse... die menschlichen und metaphysischen
Regeln der Gotteserkenntnis aufgeben und sich zuerst in (der
Erkenntnis) der Menschheit Christi üben" (S. 3). Drei Zeilen darüber
steht bei Luther (WA 57, S. 99, Z. 3 f.): „Humanitas enim illa
saneta scala est nostra, per quam ascendimus ad Deum cogno-

seendum..." Und unmittelbar danach: ____Deus ipse humiliavit

se. ut ficret cognoscibilis". Und diese Pointe der Christologie
Luthers sähen wir in unserem neu zu gewinnenden christologi-
schen Denken gern zu Ehren gebracht. Eine konsequent geschicht-
Üche Christologie von unten - müftte sie nicht das Unten G o t -
*e s zur Sprache bringen?

(Für die nächste Auflage: Das Rahnerzitat auf S. 235 f. ist arg
entstellt.)

Zürich Eberhard Jüngel

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E b e 1 i n g , Gerhard: Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer
Hermeneutik der Konfessionen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
(1964). 235 S. gr. 8° = Kirche und Konfession. Veröffentlichungen
des konfessionskundlichen Instituts des evangelischen
Bundes, hrsg. v. H. Bornkamm, J. Lell, W. v. Loewenich,
M. Schmidt, R. Stupperich u. W. Sucker, 7. DM 16,80.

Der durch Verschulden des Rez. so verspätet zur Anzeige kommende
Band enthält Arbeiten E.s aus den Jahren 1946 bis 1963,
die zum Teil vorher noch nicht veröffentlicht waren. Den umfang-
mäftigen und sachlichen Schwerpunkt bildet die Vorarbeit für die
Vierte Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Montreal
1963 „Sola scriptura und das Problem der Tradition" (91-143).
Im übrigen findet man Vorlesungen und Referate zu folgenden
Themen: „Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen
Schrift" (9-27; es ist die bekannte Tübinger Habilitationsvorlesung
von 1946), „Über Aufgabe und Methode der Konfessionskunde
" (28-40), „Zur Geschichte des konfessionellen Problems"
(41-55), „Ruftland und das Abendland in konfessionsgeschichtlicher
Sicht" (56-77), „Ist der konfessionelle Gegensatz auch ein philosophischer
?" (78-90), „Das Neue Testament und die Vielzahl der
Konfessionen" (144-154), „Wort Gottes und kirchliche Lehre" (155
bis 174), „Zur Frage nach dem Sinn des mariologischen Dogmas"
(175-182), „Das Priestertum in protestantischer Sicht" (183-196),
„Worthafte und sakramentale Existenz" (197-216), „Erwägungen
zum evangelischen Sakramentsverständnis" (217-226). Der Titel
des Bandes ist als Anzeige des hermeneutischen Problems zu
lesen •. Die Frage nach der Tradition ist die Frage nach der Auslegung
des Wortes Gottes. Die Besonderheit dieses Bandes gegenüber
dem früheren von 1960 „Wort und Glaube" besteht, wie der
Untertitel ausweist, darin, daft das hermeneutische Problem jetzt
ständig im Lichte der konfessionellen Differenz (bzw. diese im
Lichte des ersteren) angesprochen wird. Dabei wird einmal mehr
die Fruchtbarkeit des Herkommens Ebelings von der Kirchengeschichte
(was vor allem die vier ersten Abhandlungen sichtbar
machen) deutlich.

Eine der zentralen Thesen des Bandes ist diejenige vom „her-
meneutischen Rang des Wortes Gottes" (126), verstanden als das
„Wort des Glaubens, durch das Jesus Christus den Menschen überliefert
wird und die Menschen Jesus Christus überliefert werden"
(142). Diese These wird entfaltet im Zusammenhang der Besinnung
auf das reformatorische „sola scriptura". Die Schrift selbst
hat die Funktion der (primären) Auslegung des Wortes Gottes.
Alle Schriftauslegung muft diese ihre Funktion „beachten und ihr
Beachtung verschaffen" (125). Alle „Traditionsformen" (in der
Schrift und außerhalb ihrer) sind „dienend bezogen" auf das Wort
des Glaubens (142).

Es ist hier nicht der Ort, in ein Gespräch mit E. über
sein Verständnis von „Wort Gottes" einzutreten. Unbestreitbar
dürfte die Nötigung zu präzisem und ständig auf das Evangelium
als auf die Mitte bezogenem Denken sein, vor die die tiefgreifenden
, in erstaunlich klarer Diktion und Gedankenführung dargebotenen
Analysen stellen. Ihre Bedeutung für den interkonfessionellen
Dialog ist auch in der nachkonziliaren Gesprächsphase
um nichts gemindert. Die Problemerhellungen in so befrachteten
Themenbereichen wie „Schrift und Tradition", „Amt und Priestertum
", „Wort und Sakrament" eröffnen immer neue Durchblicke zu
den Grundlagen der konfessionellen Differenz, die E. mit der
These markiert: „Der existentielle Sinn der katholisch-evangelischen
Differenz zielt auf die Frage: übernatürliche Vervollkommnung
oder worthafte Glaubensgewiftheit" (216). Diese These bedürfte
freilich wohl der Diskussion: Ist hier die katholische Begrifflichkeit
schon auf ihre tiefste Aussageintention befragt? Was
heifit nach genuin katholischem Verständnis (etwa von Thomas
her) „Vollkommenheit", „Heiligkeit"? Ist hier in der Spitze nicht
auch die Wort-Antwort-Struktur gegenwärtig, und kann es dann
bei der von E. aufgestellten Alternative sein Bewenden haben?

Im übrigen wird das interkonfessionelle Gespräch mit Recht
als unumgänglich für die eigene theologische Besinnung und für
die Verantwortung der Kirche vor der Welt gekennzeichnet:
„Durch Emanzipation vom Konfessionsgegensatz verlöre die theologische
Arbeit mit Sicherheit den theologischen Tiefgang. Nicht
die Erfolgsaussichten konfessioneller Verständigung, sondern die
Nötigung zu äufierster theologischer Gewissenhaftigkeit macht Begegnungen
... in erster Linie belangvoll" (156). „Wir sind . . . schul-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3