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Ausgabe:

1968

Spalte:

201

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Nichols, James Hastings

Titel/Untertitel:

The Mercersburg Theology 1968

Rezensent:

Delius, Walter

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Seite 1

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201

Der Verfasser erklärt im Vorwort, „daß im Zeitalter der technisch
geeinten Welt eine sozialcthische Besinnung von Seiten der
Kirche und der Theologie eigentlich nur noch im Rahmen des
ökumenischen Gesprächs möglich ist.. ." Man kann das nur unterstreichen
und der Hoffnung Ausdruck geben, daft N.s beachtlicher
Beitrag jenes Gespräch einen Schritt weiterführt.

Göttingen Dietz Lange

N i c h o 1 s , James Hastings [Ed.] i The Mercersburg Theology.

New York: Oxford University Press 1966. VIII, 384 S. gr. 8° =
A Library of Protestant Thought. Lw. $ 7,50.

In Mercersburg (Pennsylvania) befindet sich das Colleg und Seminar
der deutschen reformierten Kirche. Hier wirkten in der Mitte
des 19. Jahrhunderts führend Philipp Schaff (1819-1893), Schüler
August Neanders, und Williamson Nevin (1806-1886). Schaff betätigte
sich auf historischem und liturgischem, Nevin auf theologischem
Gebiet. Beide begannen in den Jahren 1844/45 in Mercersburg
. Nevin stammte aus der Alten Schule der Presbyterianer,
Schaff war Glied der unierten altpreußischen Kirche. Ihre Zusammenarbeit
brachte die Mercersburg Theologie hervor. Sie fand mit
ihren neuen Ideen und fremden Kategorien in der deutschen reformierten
Kirche nicht allgemeine Billigung. Im Gegenteil, beide
Professoren mußten sich ständig gegen die Anklage der Häresie
verteidigen; denn ihre Theologie war ein Protest gegen manche
puritanische Tendenzen, die in der amerikanischen Frömmigkeit
vorherrschten. So betonten sie nachdrücklich das katholische Erbe
im Protestantismus und nährten die ökumenische Hoffnung auf
eine Vereinigung von Protestantismus, römischem Katholizismus
und Orthodoxy. Sic stellten eine hochkirchlich-sakramentale Konzeption
der erwecklichen, individualistischen und sektiererischen
geistigen Erscheinung der herrschenden Frömmigkeit gegenüber.
Ihre theologische Position erarbeiteten sie in zahlreichen Auseinandersetzungen
mit ihren Opponenten. Sie machten sich dabei, wie
die hier veröffentlichten Beiträge zeigen, auch fremde Gedanken zu
eigen, so solche von J. A. Möhler, R. L Wilberforce u. a. Ferner versuchten
Schaff und Nevin, mit der Lehre von Schrift und Tradition
Methoden und Konzeptionen besonders Hegels und Schleiermachers
zu verbinden. So kommen deutsche evangelische Theologen bei ihnen
zu Wort wie K. Ullmann, R. Rothe, K. T. A. Liebner und der Däne
Martensen. Die stärkste formale Auseinandersetzung hatte Nevin
mit I. A. Dorncr in seinem Beitrag: „Die Bedeutung des Protestantismus
in der ökumenischen Christenheit. Antwort an Prof. Dorner."

Das Buch beginnt mit einer umfangreichen Einleitung, welche
sich mit der Mercersburg Theologie und ihren beiden Hauptvertretern
Schaff und Nevin beschäftigt, es folgen Auszüge aus ihren
Schriften. Diese geben einen guten Einblick in das theologische
Schaffen der beiden und regen an, sich mit der Mercersburg Theologie
zu beschäftigen. Eine intensivere Beschäftigung mit ihr wird
vor allem dann möglich sein, wenn die sechsbändige Ausgabe (bisher
zwei Bände erschienen) durch die United Church Press vorliegt
. Darüber hinaus harren eine ansehnliche Zahl von Briefen
und Manuskripte der beiden Führer der Mcrccrsburg-Bewegung
der Veröffentlichung.

Der „evangelical catholicism" von Mercersburg hat in der Liturgie
, wie sie sich unter Schaffs Einfluß entwickelte, tiefgehenden
Einfluß gehabt, der bis heute lokal bedingt sich fortsetzt.

Das Buch ist der erste Band einer Library of Protestant Thought,
welche weiten akademischen Kreisen einen Einblick geben will,
wie die protestantische Welt seit der Reformation dachte und
redete. Insbesondere ist der vorliegende Band für die deutsche
Kirchengeschichtc wichtig, weil er daran erinnert, daft ein Ableger
deutscher evangelischer Theologie in der Mitte des 19. Jahrhunderts
in den USA kräftige Wurzeln zu schlagen vermochte.

Berlin Walter Deliui

May, Georg: Mit Katholiken zu besetzende Professuren an der
Universität Breslau von 1811-1945 (ZSavRG 84. Bd. 1967 S. 155-
272).

Müller, Gerhard i Die unbefleckte Empfängnis Mariens im Urteil
päpstlicher Ratgeber 1848-1852 (ZKG 78, 1967 S. 300-339).

Reinhardt, Rudolf: Die Reichskirchenpolitik Papst Klemens' XII.
(1730-1740). Das Motu proprio „Quamquam invaluerit" vom
5. Januar 1731 (ZKG 78, 1967 S. 271-299).

202

Schicketanz, Peter: Der Pietismus als Frage an die Gegenwart
. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1967]. 40 S. gr. 8° = Aufsätze
u. Vorträge zur Theologie u. Religionswissenschaft, hrsg. v.
E. Schott u. H. Urner, 40. M 2,10.

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Das Erbe der Reformation in katholischer Sicht. Studien zur ökumenischen
Begegnung mit dem Protestantismus. Wien: Herder
[1963). 140 S. 8° = Ruf und Antwort, Schriftenreihe des Cartell-
verbandes der kath. öst. Studentenverbindungen, des Cartellver-
bandes der kath. deutschen Studentenverbindungen und des
Schweiz. Studentenvereins, 4. Kart. öS 42,-; DM/sfr. 7,-.

Das Buch, für welches kein Herausgeber verantwortlich zeichnet
, besteht aus vier Beiträgen. Sie alle stammen aus der Anfangszeit
der Konzilsverhandlungen und spiegeln die damalige geistige
und theologische Lage in einer lehrreichen und eindrucksvollen
Weise wider, so daft die Lektüre des Buches auch heute noch von
Wert ist. Aus den vier Beiträgen kann hier nur das Wichtigste
hervorgehoben werden.

Otto K a r r e r handelt „Über die aufiertheologischen Faktoren
der Glaubensspaltung" (S. 7-28). Er stellt zunächst das geschichtliche
Erbe mit seinen religiösen und psychologischen Folgen
dar und schildert in einem zweiten Abschnitt die heutige Situation
in den Ursprungsländern der abendländischen Glaubensspaltung.
Unter die aufiertheologischen Faktoren rechnet er solche „geschichtlicher
, politischer, individual- und kollektivpsychologischer, soziologischer
Natur und solche des praktischen religiösen Lebens" (S. 8).

Gegenüber der oft gehörten These, daft ein früher stattfindendes
Konzil die Spaltung des 16. Jahrhunderts hätte aufhalten können
, ist er mit Recht skeptisch, „da in jener Zeit alles auf Teilung,
Trennung, wachsende Isolation abgestellt war" (S. 14). Damals sei
der nationale und persönliche Individualismus entstanden. Gegenideen
, wie z. B. das Denken des Cusaners, seien zwar schon vorhanden
gewesen, hätten aber, nach einem allgemeinen geschichtlichen
Gesetz, erst allmählich zum Zuge kommen können. In der
Neuzeit hat sich die Lage nach K. vollkommen verändert. „Die
konfessionalistischen .Gefühle' jedoch sind teils dieselben geblieben
wie früher, teils haben sie einem verwaschenen Indifferentismus
Platz gemacht, der einer echten Einheit ebenso den Weg verbaut
wie ressentimentgeladene Abneigung" (S. 17). Einen bloßen
Opportunismus hält K. nicht für einen brauchbaren Einigungsgrund
(S. 18).

Im Blick auf eine Annäherung oder Wiedervereinigung der
Konfessionen macht er vor allem die Forderung geltend, daß beide
Teile die Ausdrücke und Wendungen, die zu festen Formeln geworden
sind, nach Sinn und Umgrenzung genau erklären. Für den
katholischen Sprachgebrauch gelte dies für Ausdrücke wie „alleinseligmachende
Kirche", „päpstliche Unfehlbarkeit" u. a., weil sie
von den Evangelischen sehr mißverstanden werden und weil sie
ihnen nicht einfach als zu schluckende Brocken vorzusetzen sind,
wenn überhaupt ein sinnvolles Gespräch zustande kommen soll.
Die Evangelischen müßten ihrerseits vor allem wegen der reformatorischen
Exklusivformeln „sich von uns fragen lassen" (S. 23).
Fraglich ist mir, ob uns mit der von K. zitierten These wirklich
geholfen ist, derzufolge „aus der Konzentration auf das Evangelium
, um die es der Reformation ging, später eine Reduktion des
Evangeliums wurde. .., die zum Teil zu einem bedenklichen
Minimalismus und Substanzschwund im Protestantismus führte"
(S. 27 Anm. 32). Denn auf eine solche knappe Formel läfit sich die
Entwicklung des Protestantismus von der Reformation zur Neuzeit
eben doch nicht bringen.

Rolf W e i b e 1 behandelt in seinem Beitrag „Theologische Kontroversfragen
", und zwar zur geschichtlichen Gestalt der Kirche,
zum ökumenischen Gespräch und zur ökumenischen Arbeit (S. 29
bis 68). Seiner Abhandlung dürfte ein besonderes Gewicht zukommen
. Zwar steht ihm fest, daß alle Erneuerungen (durch das
Konzil und sonst) im Rahmen und auf der Grundlage des Katholizismus
ihre Verwirklichung finden müssen (S. 29); das hindert
ihn aber nicht, das Gespräch zwischen den beiden Partnern ernsthaft
aufzunehmen. Er betont, daß der Katholizismus eine glaubwürdigere
Darstellung der Amt-Gemeinde-Struktur nötig habe,

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3