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Ausgabe:

1968

Spalte:

194-195

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Pollet, J. V.

Titel/Untertitel:

Martin Bucer 1968

Rezensent:

Moeller, Bernd

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3

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zur hochscholastischen. Dieses vielbehandelte Thema will er sozusagen
mit Hilfe der Sonde des Bildbegriffes von innen her erhellen
. Während die übliche geistesgcschichtliche Analyse der
Theologiegeschichte des 12. Jahrhunderts den Einflufi neuer Geistesströmungen
(Averroismus, Aristotelismus) und damit exogene
Geschichtsfaktoren für den Wandel von Frühscholastik zur Hochscholastik
verantwortlich macht, stellt sich dieser für den Autor
als ein endogener Mutationsprozeß dar. Das wird an der frühscholastischen
Rezeption der augustinischen Trinitätslehre entwickelt
. Als sogenannte „Trinitätspsychologie" (M. Schmaus) stellt
sie den Gedanken der „imago Dei in anima" bzw. „in nomine" in
den Mittelpunkt ihres theologischen Denkens. Solche überliefc-
rungsgeschichtlich bedingte Verbindung des Bildbegriffes mit dem
altchristlichen Kirchenvater hatte zur Folge, daß auch die Imago-
Vorstellung bzw. die von ihr beherrschte Anthropologie in die
Auseinandersetzungen zwischen einer mehr konservativ an Augustin
orientierten Theologie und deren Kritikern, die stärker von
Boethius beeinflußt waren, hineingezogen wurde. Dabei bezogen
die frühen Schulen der sog. Frühscholastik (Schule des Anselm v. Laon,
des Petrus Abaelardus) und auch die Viktorinerschule eine Position,
die in „Bewahrung und Deutung" der Imagolehre noch von dem
patristischen Erbe lebte. Daß hier sich augustinisches mit pseudodionysischem
Gedankengut, vor allem im Kreis der Viktoriner
(dann aber auch bei Bonaventura) verbinden konnte, hängt mit
dem ihnen gemeinsamen neuplatonischen Hindergrund zusammen.
Hingegen schuf Gilbert von Poitiers mit seiner Kritik an der
psychologischen Trinitätslehre Augustins eine neue Situation. Nicht
zufällig erfolgte sie in seinem Kommentar zu Boethius' De trini-
tate. Der von Gilbert vertretene Bildgedanke erwächst aus einer
Ontologie, die mit Begriffen wie Form, Materie und Subsistenz
arbeitet. Ihre aristotelischen Fermente sind unverkennbar. Solche
Kritik an Augustin und seiner Imagolehre lebte dann innerhalb
der Porretanerschule fort, während nur ein Simon von Tournai
den Versuch unternahm, unter Preisgabe des augustinischen
Exemplarismus Augustin selber und Boethius auf einen Nenner
zu bringen. Um so mehr mußte bei den Porretanern der Imago-
begriff ins Zwielicht geraten, zu einer theologischen Aufgabe der
Deutung und Erklärung werden. Vor allem bahnte sich im porre-
tanischen Schulumkrcis die Rezeption aristotelischer Denkkategorien
an. Dies fand in Thomas v. Aquino bzw. dem hochscholastischen
Thomismus seine Vollendung und sollte dazu führen, daß
die Hochscholastik in der Analogie-Formel den ihrem theologischen
Denken sachgemäßen Ausdruck fand.

Der hochscholastischc Analogiebegriff der Dominikaner erweist
also nach O. als sichtbares Fanal, daß hier die bildliche Denkweise
der patristischen Antike endgültig verloren ist. Den positiven
Gegenbeweis hierfür bieten ihm die monastischen Theologen des
12. Jahrhunderts (Rupert v. Deutz, Bernhard v. Clairvaux, Wilhelm
v. St. Thierry, Hugo v. Amiens, Aclred v. Ricvaulx u. a. m. bis hin
zu Joachim v. Fiorc). Sie erfreuen sich noch eines ungebrochenen
Verhältnisses zur patristischen Tradition. Aus ihrem patristisch-
neuplalonisch gefärbten Milieu erwuchs die franziskanische Theologie
der Hochscholastik, die dem Bildbegriff nicht nur seine zentrale
Funktion für ihre heilsgcschichtlich orientierte Theologie beließ
, sondern auch ihrerseits wieder dogmengcschichllich darin
wirksam werden sollte.

Nicht unerwähnt bleibe, daß die Untersuchungen O.s, die letztlich
darauf hinauslaufen, die Schwelle zwischen Frühscholastik
und Hochscholastik abzubauen, für sich systematisch-theologische
Aktualität beanspruchen. Das wird in der Einleitung hervorgehoben
. Sie bedauert, daß der Bildgedankc in der heutigen Dogmatik
keine systcmbildcndc Aufgabe mehr erfülle. Gefordert wird daher
eine Erneuerung der Bildtheologie unter kritischer Auseinandersetzung
mit der Dogmengeschichte. Wie weit der Verf. sich
hier vorwagt, beleuchtet sein Satz: „Auf jeden Fall wissen wir
heute, daß die ökonomische Trinitätslehre der griechischen Kirchenväter
schriftgemäßer ist als die Spekulationen des hl. Augustinus
, die auf dem Gedanken von der ,imago Dei in anima hu-
mana' aufruht" (S. 7). Ob ihm darin katholische und protestantische
Dogmatikcr folgen können, bleibe dahingestellt. Auf jeden Fall
bezeugen seine Untersuchungen, daß theologisches Engagement
keine Minderung historischer Akribie und Intensität zu bedeuten
braucht. Im Gegenteil, gerade in der Art, wie der Verf. unmittelbar
aus den Quellen schöpft, sorgsam zu jeder von ihnen die

einschlägigen Forschungsarbeiten benutzt, wirkt er recht überzeugend
. Mag auch seine Monographie auf den ersten Blick hin
als eine Spezialuntersuchung wirken, so eignet sie sich doch ausgezeichnet
als Einführung in die heute recht intensive, zugleich
aber auch recht diffizile Erforschung der Frühscholastik.

Göllingen Carl Andresen

Grotz, H.: Die Zeit Papst Hadrians II. (867-872) und der Anfang
des photianischen Schismas im Spiegel der Geschichtsliteratur
(1880-1966) (ZKTh 90, 1968 S. 40-60).

Heimpel, Hermann: Der Benediktiner und Kanonist Nikolaus
Vener aus Gmünd. Vorbericht zur Geschichte einer deutschen
Juristenfamilie des 14. und 15. Jahrhunderts (ZSavRG 84. Bd.
1967 S. 46-76).

Leclercq, Jean: Un temoin de la devotion medievale envers
S. Pierre et les Apötres (Gregorianum 49, 1968 S. 134-154).

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

P o 11 e t, J. V., Dr., O. P.: Martin Bucer. Etudes sur la correspon-
dance avec de nombreux textes inedits. I. et II. Paris: Presses
Universitaires de France 1958/62. XI, 356 S., 8 Taf. u. XII, 614 S.
m. 7 Abb. i. Text, 16 Taf. gr. 8°. I: NF 28.-; II: NF 80.-1

Es handelt sich hier um ein höchst merkwürdiges und durchaus
beachtliches Werk. Um mit der größten Merkwürdigkeit zu
beginnen: Verfasser dieser ausgedehnten Sammlung historischer
und theologischer Studien zur Geschichte Bucers ist ein französischer
Dominikaner, das Buch erscheint „cum superiorum permissu"
im führenden wissenschaftlichen Verlag Frankreichs; doch hat in
dem Werk weder das fremde Bekenntnis noch die fremde Nationalität
des Verfassers (wenn man von der Sprache absieht) wesentliche
Spuren hinterlassen. Es zeugt vielmehr von staunenswerter
Vertrautheit mit der deutschen Reformationsgeschichte, abgelegenste
Texte und lokalgeschichtliche und biographische specialis-
sima sind einbezogen, die Literaturkenntnis des Verfassers ist
enorm und reicht bis zu evangelischen Gemeindeblättern und
maschinegeschriebenen Dissertationen. Und von katholischen Voraussetzungen
oder Tendenzen ist so gut wie nichts zu bemerken.
Das Werk ist ein bedeutsames Gegenstück zu der seither erschienenen
Zwingli-Biographie desselben Verfassers (vgl. diese Zs. 91,
Sp. 55 ff.), es übertrifft sie im wissenschaftlichen Gewicht.

Die beiden Bände stehen allerdings nicht auf demselben
Niveau. Der erste besteht aus locker zusammengefügten Einzelabschnitten
und hat sein eigentliches Ziel darin, eine Reihe von
Bucer stammender oder ihn betreffender Texte bekanntzumachen,
die zum Teil bisher unbekannt, zum Teil unveröffentlicht oder
fragmentarisch oder fehlerhaft veröffentlicht waren. Der wissenschaftliche
Wert der einzelnen Kapitel ist ungleich. Auf weite
Strecken, in den den Abendmahlsstreit der 1530er Jahre behandelnden
Teilen, wandelt man präzis auf den Spuren Walther Köhlers
, die Differenz mancher der dargebotenen Textfassungen zu
den schon bekannten ist gering (die Luther-Briefe!), anderes ist
ohne viel wissenschaftliches Interesse. Dagegen liest man die bisher
unveröffentlichte Sammlung von Briefen zum Basler Korandruck
von 1542 (Nr. 25-28) mit Gewinn, der Abdruck der Dokumente
aus dem Umkreis der Confessio Tetrapolitana erscheint
dankenswert, der christologische Traktat des Schwenckfeldianers
Augustin Bader, nach Pollet „joyau de notre collection", ergänzt
den freilich bereits überreichlichen Bestand derartiger Texte, den
wir besitzen. Immerhin kann man sich beim Studium dieses Bandes
den Einwand nicht versagen, daß es etwas ärgerlich ist, in
einer solchen Sammlung von „Rosinen" der zur selben Zeit in Angriff
genommenen Gesamtausgabe der Werke Bucers und zumal
der darin vorgesehenen Edition des Briefwechsels, die, wie der
Verfasser weiß, zum Zeitpunkt des Erscheinens seines Buches bereits
weit fortgeschritten war, Konkurrenz gemacht zu sehen.

Die Bedenken sowohl gegen die Originalität wie gegen die
Zweckmäßigkeit des Werkes müssen freilich angesichts des zweiten
Bandes weitgehend verstummen. Nur der dritte und letzte
Teil ähnelt hier dem ersten Band, der Abdruck des bekannten Gut-

1 Die Verspätung dieser Anzeige hat der Rezensent nur zum Teil zu verantworten.