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Ausgabe:

1968

Spalte:

191-192

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Moeller, Bernd

Titel/Untertitel:

Spätmittelalter (= Die Kirche in ihrer Geschichte, Bd. 2, Lfg. H) 1968

Rezensent:

Löwe, Heinz

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KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, hrsg. v. K. D.
Schmidt und E. Wolf, Band 2, Lfg. H. (1. Teil): Spätmittelalter
. Von Bernd M o e 11 e r. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1966]. IV, 44 S. gr. 8°. DM 6,80.

Der vorliegende 1. Teil der Lfg. H des Handbuchs behandelt
die spätmittelalterliche Kirchengeschichte, und zwar mit Ausnahme
der geistigen Bewegungen von Renaissance und Humanismus, der
scholastischen Theologie und der christlichen Kunst, die im Rahmen
dieses Handbuches besonderer Darstellung vorbehalten sind.
Diese Aufspaltung der Themen und der Bearbeiter rechtfertigt sich
natürlich aus praktischen Gründen; immerhin muri Moeller, wenn
er Renaissance und Humanismus an den von H. Liebing zu behandelnden
2. Teil abtreten muß, auf geistige Bewegungen verzichten
, die er an anderer Stelle (vgl. seinen Artikel: Mittelalter,
RGG. 43, 1960, 1032 f.) zu jenen Hervorbringungen des Spätmittelalters
gerechnet hat, mit denen „Keime für neue, lebensvolle Entwicklungen
gelegt wurden". Da M. nicht nur die Geschichte der
kirchlichen Institutionen, sondern auch die der Frömmigkeit gibt,
wird viel darauf ankommen, wie sich Liebing an den von ihm gezogenen
Rahmen anschließt.

Das Spätmittelalter, wie M. es mit guten Gründen sieht, beginnt
nicht, wie etwa der entsprechende Abschnitt in Gebhardt-
Grundmanns Handbuch der deutschen Geschichte, mit dem Jahre
1198, sondern erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts, mit den
nach 1250 einsetzenden „allgemeinen Wandlungen" auf dem Felde
der Reichs- und Kirchen-, aber auch der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
. Es endet in der Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem
Ende der Reformkonzilien, und nur der am Schluß stehende „Überblick
über die Geschichte der Frömmigkeit im ausgehenden Mittelalter
" führt kurz „Von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Reformation
". Bei der Abgrenzung ebenso wie bei der Charakterisierung
des Spätmittelalters spürt man den Einfluß der Arbeiten Hermann
Heimpels; gegen andere Überlegungen zur Periodisierungs-
frage, wie sie seit Karl Heussi gegeben und erst kürzlich wieder
von H. Zimmermann angestellt worden sind (vgl. dens.. Das Problem
des Mittelalters in der Kirchengeschichtsschreibung des deutschen
Protestantismus, in: Geschichtswirklichkeit und Glaubensbewährung
. Festschrift für Bischof D. Dr. h. c. Friedrich Müller,
Stuttgart 1967, S. 108-129), hat M. seinen Standpunkt schon in
seinem oben zitierten Artikel ausführlich begründet; immerhin
bleibt die Frage, wieweit der Terminus „Spätmittelalter" das
Wesen dieser „gegensätzlichen Zeit" umschreiben kann, in der nach
M.s Urteil „Müdigkeit und junge, rohe Kraft" nebeneinanderstanden
und in Renaissance und Humanismus „ein neues Lebensgefühl"
ausbrach. Selbst diese Frage führt freilich zum Problem des „Mittelalters
" überhaupt, das aber weder in dem besprochenen Handbuch
noch in dieser Rezension zu diskutieren war bzw. ist.

Von einem Handbuch dieser Art ist in erster Linie präzise und
zuverlässige Information über Tatsachen und Probleme, Quellen
und Literatur zu erwarten. Diese Aufgabe hat M. in den durch
das Handbuch vorgegebenen Formen treffsicher gelöst: den einzelnen
Abschnitten sind Informationen über Quellen und Literatur
vorangestellt; ferner sind sie mit Fußnoten versehen, in denen
zu Einzelfragen mit Anführung von Quellen und Literatur kritisch
Stellung genommen wird. Dabei fehlt auf knapp 44 Druckseiten
nichts, was man billigerweise erwähnt zu sehen erwarten darf;
vielmehr ist es erstaunlich, wieviel auf diesem so knappen Raum
gesagt werden konnte. Es liegt im Wesen der Zeit, mit ihrer Einwirkung
von Religion und Kirche auf alle Lebensbereiche, begründet
, daß jede Seite des Buches den Profanhistoriker ebenso interessiert
wie den Theologen, und zwar nicht nur in den Abschnitten
über Papsttum, Schisma und Reformkonzilien, sondern gerade
auch über Orden, Missionen und Frömmigkeit. Andererseits verweist
M. auch auf die Gegenwartsbedeutung der damaligen Diskussion
über die Stellung von Papst und Konzil. Mit besonderer
Liebe schildert M. die Frömmigkeit des Spätmittelalters, und mit
Recht urteilt er, daß von Auflösungserscheinungen hier nicht die
Rede sein kann, daß vielmehr die „kirchliche Volksfrömmigkeit"
gerade „im späteren 15. Jahrhundert ein Höchstmaß an Intensität
erreicht" hat. Die vorhandenen, aber vielfach übertriebenen Mißstände
führten daher zu einem wachsenden „Mißverhältnis zwi-

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sehen den Ansprüchen und Erwartungen der Gläubigen und den
Leistungen der offiziellen Kirche". In diesen „Voraussetzungen"
- nicht „Ursachen" - der Reformation findet M. die Erklärung
dafür, „daß aus dem Zeitalter der höchsten Steigerung der Kirchlichkeit
das Zeitalter der ,Glaubensspaltung' unmittelbar hervorging
". Wenn auch hier bei der Erörterung der „Voraussetzungen"
der Reformation die deutschen Verhältnisse im Vordergrund stehen,
so umfaßt der Blick des Verf. neben der Papst- und Konziliengeschichte
keineswegs nur die deutsche, sondern auch die süd-
und westeuropäische Kirchengeschichte. Freilich würde man wünschen
, daß ihm - ohne Beeinträchtigung der früheren Epochen -
mehr Raum gegeben wäre, um sein Wissen ausführlicher, als es
geschehen konnte, auszubreiten. Aber der Verf. hat die ihm gestellte
Aufgabe, die breit strömende Fülle spätmittelalterlichen
Quellenmaterials kurz und präzis zusammenzufassen, so gut gelöst
, daß dieser Wunsch hinter dem Dank für das Gebotene zurücktreten
darf.

Tübingen Heinz Löwe

Otto, Stephan: Die Funktion des Bildbegriffes in der Theologie
des 12. Jahrhunderts. Münster/W.: Aschendorff [1963]. XXXI,
315 S. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte der Philosophie u. Theologie
d. Mittelalters, Texte und Untersuchungen, hrsg. v. M.
Schmaus. Bd. XL, H. 1. Kart. DM 35,-.

Die Münchener Habilitationsschrift von St. Otto befaßt sich mit
der Imago-dei-Vorstellung und damit den Problemen einer theologischen
, von Gen. 1, 26 f. ausgehenden Anthropologie. Mag die
Einschränkung des Untersuchungsfeldes auf die Theologie des
12. Jahrhunderts angesichts der Stoffülle einfach ein Gebot der
Notwendigkeit, aber auch wissenschaftlicher Zeitökonomie sein, so
überzeugt sie gerade durch ihre thematische Konzentration wie
auch dadurch, daß sie das minutiöse Detail nicht vernachlässigt.

Letzteres ist im Hinblick auf die frühscholastischen Quellenverhältnisse
und vor allem die Tatsache, daß ungedrucktes Material
ausgewertet werden muß, eigentlich selbstverständliche Forderung
. Anläßlich dieser Rezension nehme ich aber die Gelegenheit
zum Hinweis wahr, daß gerade von dem frühscholastischen
Forscher ein vermehrtes Ethos wissenschaftlicher Akribie verlangt
wird. Seitdem A. M. Landgraf als reife Frucht seiner lebenslänglichen
Handschriftenforschung mit der „Dogmengeschichte der
Frühscholastik" I, 1-IV, 2, Regensburg 1952-1956, gezeigt hat,
wie stark diese von den monastischen Bräuchen theologischer
Schulung geprägt worden ist, hat der heutige Forscher eine weit
spezialisiertere Kenntnis der Quellen sich zu erwerben als frühere
Generationen. Mit Kenntnis der seit eh und je bekannten, großen
Autoren ist es nicht mehr getan. Auch die anonymen Sammelwerke
einer transsubjektiven Gelehrsamkeit, sei es nun der
Quaestionenliteratur, der Sentenzenkommentierung oder der Summen
, wollen befragt sein. Noch heute umgibt sie an den abseitigen
Orten oder Handschriftenabteilungen ihrer Thesaurierung
eine gewisse Anonymität. Nur dem Sachkundigen bekannt, werden
sie kaum je in modernen Publikationen dem wissenschaftlichen
Publikum vorgeführt werden können. Dieses sieht sich vielmehr
auf die Handschriftenkunde der Experten angewiesen und muß
dankbar sein, wenn möglichst viel aus den ihm nicht zugänglichen
Quellen zitiert wird, wie O. es in seinen Untersuchungen tut. Der
Rezensent, dem die schuldige Nachprüfung solcher Zitate an den
Originalen nicht möglich ist, fühlt sich aber schon dadurch entlastet
, daß ein „Verzeichnis der ungedruckten Quellen" (S. XV) ihm
zumindest theoretisch den Einblick in ein Spiel mit verdeckten
Karten, wenn ich das so formulieren darf, gestattet. Ja, schon die
periphere Beobachtung, daß sich wenige Druckfehler in einer
Studie zur Frühscholastik finden (einziges Beispiel S. 31 A. 23: statt
„Ivo" muß es „Candidus" heißen; S. 181 A. 13 „Unterscheidung",
nicht „Unterscheido"; S. 304 Z. 8 „Anangni", nicht „Amangni" sind
Druck teuf eleien), läßt ihn Vertrauen in die wissenschaftliche Zuverlässigkeit
des Autors gewinnen. Solches Vertrauen läßt sich nur
dadurch rechtfertigen, daß der Appell an das wissenschaftliche
Ethos ausgesprochen wird.

Doch worum geht es St. Otto in seinen Untersuchungen? Letztlich
will er einen Verständnisbeitrag zu einer einschneidenden
Entwicklungsphase der mittelalterlichen Dogmengeschichte leisten.
Es geht um den Übergang von der frühscholastischen Theologie

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3