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Ausgabe:

1968

Spalte:

179-180

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gerstenberger, Erhard S.

Titel/Untertitel:

Wesen und Herkunft des apodiktischen Rechts 1968

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Seite 1

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die Gestalt des Nomaden Lot von Gen 13 und des Städters Lot
von Gen 19 in Beziehung zueinander getreten. Dem Jahwisten
kommt bei dieser Sicht das Verdienst zu, die Gefährdung der Ahnfrau
in Gen 12, 10 ff. und das Bittgespräch mit Jahwe in Gen 19
eingearbeitet zu haben; weiter ist ihm der Einschub der Kap. 15
und 16 zu danken und gelegentliche und einseitige Eingriffe in
die Grundschicht, die dem Ausgleich der Erzählungen oder ihrer
Theologisierung und Jahwesierung dienten.

Dem späteren Elohisten lagen nur die Überlieferungen von
Gen 15, einer Art geschichtlichem Credo, Gen 21 und 22, vor, die
er darbot. Andere Abrahamsüberlieferungen kannte er nicht. Der
Jehowist hat dann unter weiterem Ausgleich beide Quellen vereinigt
.

Soweit das Referat über die Ausführungen des Verfassers, der
wiederholt betont, daß seine an einem Teilausschnitt gewonnenen
Einsichten am ganzen nachgeprüft werden müßten. Man wird
fragen, ob die Grundschicht nicht zuweilen zu rigoros herausgearbeitet
worden ist. Muß der erste Erzähler so sorgfältig und stilistisch
vollkommen, ohne Stocken und ohne Auffüllung erzählt
haben, daß ihm die kürzeste Fassung, die aus der Wallfahrtsschicht
in Gen 22 herauszuschneiden ist, gelungen ist? Die von Hans
Schmidt und Paul Kahle veröffentlichten Volkserzählungen aus
Palästina sind nicht gerade Kronzeugen dafür. Waren für den Jahwisten
und Elohisten die älteren als Grundschicht herausgehobenen
Traditionen in so hohem Ansehen, daß ihr Wortlaut unter
allen Umständen erhalten bleiben mußte? War dann die Leistung
des Jahwisten nur die Zusammenfassung und Ausgestaltung ihm
vorliegender Überlieferungen? Welche Maßstäbe legte er bei der
Auswahl an? Etwa theologische oder, wie ich annehme, auch und
vielleicht mit Vorrang politische? Ist dem Elohisten das Werk des
Jahwisten nicht bekannt gewesen?

So könnte man weiter fragen. Aber der Verfasser hat mit seinen
kühnen, aber wohl unterbauten und mit Prägnanz und Vorsicht
vorgetragenen Thesen der Literaturkritik den wichtigen
Dienst erwiesen, sie wiederzuerwecken und mit neuen Impulsen
anzutreiben. Man wird seine Thesen überdenken und an anderen
Teilen des Pentatcuchs nachprüfen müssen und so für die Anregungen
danken, die diese gut geschriebene und gut ausgestattete
Abhandlung In reichem Maße gibt.

Erlangen Leonhard Rost

Gerstenberger, Erhard: Wesen und Herkunft des „Apodiktischen
Rechts". Neukirchen/Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
1965. VIII, 162 S. gr. 8° = Wissenschaftl. Monographien
z. Alten u. Neuen Testament, hrsg. v. G. Bornkamm u.
G. v. Rad, 20. DM 15,80; Lw. DM 18,80.

An A. Alts Hypothese von einem genuin israelitischen „apodiktischen
Recht" im Alten Testament ist in den letzten Jahren in zunehmendem
Maße von unterschiedlichen Positionen aus Kritik
geübt worden1, so daß eine gründliche und umfassende Neubearbeitung
der Beobachtungen und Voraussetzungen, von denen
Alt seinerzeit ausging, äußerst wünschenswert ist. E. Gerstenberger
hat dazu einen sehr beachtenswerten Beitrag geliefert, dessen Ergebnisse
in der Hauptsache folgende sind:

Das sogenannte „apodiktische Recht" ist eine Gattung, in der
die „Prohibitive überwiegen". Es handelt sich um „nichtkonditionale
, nichtrituelle, meist negativ und in direkter Anrede formulierte
und für das tägliche Leben normative Gebote" (S. 27). Die
quantitativ nicht sehr ins Gewicht fallenden positiven Elemente in
der „apodiktischen Rechtsforderung" sieht G. nicht als „gattungsfremd
" an (S. 46), wenn sie auch gelegentlich nachträgliche Erweiterungen
sein mögen. Er erkennt auch - sicher richtig - die Verwandtschaft
der Prohibitive mit weisheitlichen Mahnungen (S. 48 ff.,
61 ff.). In ihrer ursprünglichen Gestalt sind die Prohibitive meistens
Einzelgebote oder Gebotspaare, seltener Dreiergruppen.
Längere Reihen „lassen sich irgendwie auf kleinere Einheiten zurückführen
" (S. 88). Die Prohibitive sind nicht im Kult beheimatet;
auch ihre „Stilisierung als Jahwerede" ist „sekundär" (S. 60). Nur
ein kleiner Teil der Prohibitivgattung, die „Bundesbestimmungen",
hat seine Wurzel im Bundesschlufivorgang (S. 105). Die eigentliche

1 Eine kurze Literaturzusammenstellung bietet der Verfasser der vorliegenden
Studie in Anmerkung 1 auf Seite 23. Man vermifjt E. Hammershaimb, On the Ethics
of the Old Testament Prophets, SVT VII, 1960. S. 75 ff.

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Heimat der Prohibitive ist das Sippenethos. Als Beweismaterial
führt G. Jer. 35, 6 f. und Lev. 18 an (S. 110 ff.). Aus nachalttesta-
mentlicher Zeit treten noch Tob. 4, 2 ff., die Testamente der zwölf
Patriarchen, der Achikar-Romän, Pirqe Aboth und die neutesta-
mentlichen Haustafeln hinzu (S. 113).

Diese Hypothese wird vom Verf. noch weiter ausgebaut durch
einige ergänzende Erwägungen zur sozialen Struktur des alten
Israel: „Das Familienoberhaupt ist. .. als der Urheber und Garant
der das Sippenleben regulierenden Prohibitive und Gebote anzusehen
." „Die Prohibitive sind gewiß dem heranwachsenden jungen
Mann mitgegeben worden" (S. 116). Ähnlich verhält es sich mit
den verwandten Elementen in der Weisheitsüberlieferung. Der
Verf. unterscheidet hier zwischen „Weisungen" und „Sentenzen",
wobei die erstgenannte Gruppe den gleichen Herkunftsort der
mündlichen Unterweisung - meist durch den „Vater im Gespräch
mit dem Sohne" - hat wie die Prohibitive (S. 121, 136). Diese Auffassung
wird durch Anführung von Parallelen aus der Weisheitsüberlieferung
der altorientalischen Umwelt Israels unterstützt
(S. 130 ff.). Auch dort haben die Prohibitive ihren Lebenssitz nicht
in „staatlichen und kultischen Grofiorganisationen", sondern in der
„Sippenordnung" (S. 140).

Der weiteren Geschichte der Gattung in Israel widmet der Verf.
leider nur einige knappe Andeutungen. (Freilich gehört dies auch
nicht mehr unmittelbar zum Thema seiner Arbeit.) Danach ist das
prohibitive Sippenethos nach dem Eindringen der Israelstämme
in das Kulturland im Zuge der gesellschaftlichen Umgestaltung
vom Nomadentum zur städtischen Gesellschaft und schließlich zur
„staatlich-königlichen Ordnung" auf drei verschiedenen Bahnen
in die nunmehr schriftlich fixierten Rechts- und Weisheitsüberlie-
ferungen eingedrungen. Zunächst geschieht dies „anhangsweise"
in die nach kanaanäischem Vorbilde gestalteten Gesetzeskorpora,
dann im Bereich des Kultus in „Einzugstorot" und spezielle „Gebots
- und Verbotssammlungen", die als „Willensverkündigung der
Gottheit im Gottesdienst gebraucht wurden" (S. 143), und endlich
in die Überlieferungen des angesehenen Standes der „Weisen",
und zwar in einer Form, „die den Gepflogenheiten der weisheitlichen
Unterweisung entsprach" (S. 144).

Diese in den Grundzügen einleuchtende Auffassung von der
Heimat und der Entwicklung der Prohibitivgattung wird vom Verf.
mittels einer umsichtigen Analyse der alttestamcntlichen Gesetzeskorpora
erarbeitet und laufend gegen andere Hypothesen verteidigt
(S. 23 ff.). Von besonderem Interesse sind die Erörterung
über die „Intensität der Prohibitive" (S. 50 ff.) und die Diskussion
über die Prohibitive in den Bundesschlufiformeln (S. 89 ff.). Auch
ein Überblick zur Forschungsgeschichte fehlt nicht (S. 1-19). Allerdings
wird Gs. Studie sicherlich nicht ungeteilte Zustimmung finden
, wie bereits der Vorabdruck des Buches als Bonner Dissertation
im Jahre 1961 gezeigt hat. Dies liegt zum Teil daran, daß der Verf.
sehr weit in die ungewisse Vorgeschichte der Texte zurückgehen
muß. Nicht sicher entscheidbar ist auch die Frage, in welchem Umfange
in Sippen tradiertes Prohibitivmaterial kultisch gebunden
ist. Zumindest ist es fraglich, ob hinter dem Sippenethos allein die
Autorität des Sippenältesten steht. Aber trotz mancher zum Teil
unvermeidbarer Unsicherheiten ist es G. wenigstens gelungen, die
Bedeutung des alten, mündlich überlieferten Sippenethos für
Israel und seine Rechtstraditionen überzeugend herauszuarbeiten.

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

Westermann, Claus: Genesis, Lfg. 1. Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener Verlag d. Erziehungsvereins 11966]. 80 S. gr. 8°
= Biblischer Kommentar. Altes Testament, hrsg. v. M. Noth u.
H. W. Wolff, I, 1. DM 7,75.

Daß der letzte deutschsprachige Genesis-Kommentar der 1964
erschienene Nachdruck der 3. Auflage des Werkes von H. Gunkel
aus dem Jahre 1910 ist, läßt die Lücke erkennen, die in der deutschen
Kommentar-Literatur der Gegenwart bei einem der wichtigsten
biblischen Bücher besteht, und macht zugleich die großen
Erwartungen verständlich, die man allenthalben der W.sehen
Genesis-Auslegung entgegenbringt.

Die 1. Lfg. bietet einen Teil der „Einleitung zur Urgeschichte
Genesis 1-11", nämlich die §§ 1. „Die Urgeschichte im Pentatcuch
und ihre Vorgeschichte", 2. „Die aufzählenden Bestandteile in Gn
1-11" und 3. „Die erzählenden Bestandteile in Gn 1-11", zu denen
die Schöpfungserzählungen, die Erzählungen von Schuld und Strafe

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3