Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Titel/Untertitel:

Systematische Theologie

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

131

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 2

132

sehe Titel führt irre; denn es wird gerade nicht von Gott geredet
: das Reden von Gott wird aufgegeben, und dies ist klarer
und aufrichtiger, als unter den Namen „Gott" etwas anderes zu
subsumieren als das, was man eh und je unter Gott verstanden
hat. So ist auch der englische Titel des Buches von John A. T.
Robinson: Honest to God (d. h. wohl dem Sinne nach: wir
wollen aufrichtig überlegen, inwiefern man und ob man überhaupt
von Gott reden darf) zutreffender als der deutsche Titel:
Gott ist anders, der vielmehr lauten müßte: Gott ist nicht.1
v. Buren sagt mit Recht: „Wenn Aussagen über Gott .erschöpfend
und restlos' als Aussagen über den Menschen interpretiert
werden müssen, können sie nicht sinnvolle Aussagen über Gott
sein" (S. 8 3), und er stellt (mit Schubert M. Ogden) fest, daß
der nicht-objektive Gebrauch des Wortes Gott, wie er sich bei
Bultmann und seinen Schülern findet, sich der Verifikation entzieht
und daher sinnlos ist, so daß nicht nur der buchstäbliche,
sondern auch der qualifizierte Theismus, der Glaube an einen
übernatürlichen Gott, der Ursprung und Ziel der Welt darstelle
und in diese eingreife, abzulehnen sei (R. M. Hare, R. B. Braith-
waite), allerdings aus Gründen eines gestrigen Naturwissenschaft,
v. Buren redet von dem Evangelium säkular, nach der Abschaffung
Gottes, und von dem christlichen Glauben unter Toterklärung
des Gottes, an den der „Glaube glaubt". In dieser Hinsicht
bringt das Buch nicht viel Neues; es erscheint uns weder als „eines
der aufregendsten und beunruhigendsten Bücher" (John A.
T. Robinson), noch finden wir in ihm „souveräne Kenntnisse der
Theologiegeschichfe" (Umschlag) außer der englischen.

Jedoch mag die Übersetzung aus dem Englischen dadurch
gerechtfertigt sein, daß v. Buren die existentialtheologischen Linien
konsequent auszieht, eine klare allgemeinverständliche Sprache
spricht (wie denn ja die deutsche Theologie auf dem Umweg
über England und Amerika bei uns „unters Volk" kommt) und
daß er einige Besonderheiten, zumal in der Stellung zu Jesus, bietet
. Die „noch ungewohnte, aber bereits zwingende philosophische
Sprachanalyse" (Umschlag) besteht darin, daß die Aussagen
der Bibel und die Dogmen der Kirche „modern", unter Streichung
des Bezuges auf Gott ausgelegt werden. Der Zweck: dem
modernen, säkularen Menschen, bei dem die „metaphysischen"
und kosmologischen Aspekte verschwunden seien und alles aufs
Menschliche, Historische und Empirische beschränkt sei (eine Diagnose
, die wir anzweifeln, da z. B. eine Menge sekfenhafter, halb-
und pseudoreligiöser Versuche, ins Metaphysische vorzustoßen,
allenthalben blüht). Die Theologie, wenn sie ernstzunehmende
moderne Denkweise sein solle, müsse daher ihren Gehalt auf das
„Säkulare" reduzieren, wobei die Vergleiche mit der Reduktion
der Astrologie auf die Astronomie, der „Alchimie" auf die Chemie
und der metaphysischen Ideen und Absichten der mittelalterlichen
Malerei auf das „bloße" Kunstwerk in der Renaissance
etwas billig sind (S. 183).

Selbstverständlich (muß man sagen!) beginnt van Buren mit der
Feststellung Bonhoeffers, wir müßten in der Welt leben, als gäbe es
keinen Gott, und mit seiner Frage: Wie kann der Christ seinen Glauben
in säkularer Weise verstehen? Zur Erläuterung der Vergleich mit der
Wetterkarte und den Meteorologen, an die sich der Christ mit der
Frage über Wetterveränderung wende, statt „sie im Gebet vor den
Herrn zu bringen" (S. 8), und dem „Garten" im Dschungel ohne Gärtner
als Zeichen einer Beseitigung Gottes durch die Sprachanalyse (A.
Flew). Die einzelnen Kapitel, deren Inhalte oft ineinander übergehen,
handeln: Das christologische Anliegen, Das Bemühen um das Verständnis
, Analysen theologischer Sprache, Jesus von Nazareth, Der Sinn
des Evangeliums, Der Sinn der Christologie, Theologische Begriffsbestimmung
, Säkulares Christentum.

Mit Recht sieht v. Buren das Festhalten Bultmanns oder vielmehr
einiger seiner Schüler am historischen Jesus als Inkonsequenz an, da nur
authentische Existenz gemeint sei, die eine Belastung mit empirischer

') Vgl. W. Knevels in „Kirche und Mann", 17. Jahrg., Nr. 9. Und
in dem Buch: Die Wirklichkeit Gottes, ein Weg zur Überwindung der
Orthodoxie und des Existentialismus (2. A., Hamburg 1966, Furche-V.),
in dem die hier vertretene Position begründet ist: „Man sage nicht
Gott, wenn man Eigentlichkeit, Seinstiefe, Selbstverständnis, Mitmenschlichkeit
, das Zukünftige und so weiter meint. . . Man sage nicht Botschaft
. . ., wenn es nicht Botschaft von etwas und ... von jemandem
sein kann." (S. 263 bzw. 163 f.).

Kausalität nicht verträgt (S. 6lf.). Er selbst aber sieht im Kerygma
nicht nur eine Aufforderung, die existentialistische Frage zu hören, sondern
eine Antwort und eine Auskunft, eine Mitteilung, daß etwas geschehen
sei (S. 67f.).

v. Buren will das Evangelium zwar ohne Mythos, d. h.
ohne Gott auslegen2, aber nicht ohne Jesus, und zwar nicht als
Jesuologie, sondern als Christologie, da der Schlüssel zum Verständnis
Jesu und des Glaubens bei Ostern liege (siehe S. 182f.
u. a.). Der Osterglaube ist aber nichts anderes als eine neu aufgebrochene
Lebensauffassung und -haltung (way of life): „Es
ging ein Licht auf" (S. 124); die Jünger fingen an, an seiner
Freiheit teilzuhaben; „dieses Stück Geschichte nahm mich in
Beschlag" (S. 132); Jesu Freiheit ist ansteckend gewesen; der
Glaube bekennt mit dem Satz „Herr ist Jesus", daß die neue
Perspektive von ihrer früheren Bekanntschaft mit Jesus als einem
freien Menschen abhängig war (S. 13 5); kurz gesagt: durch
Jesus erhalten wir ein neues Lebensrezept. Das ist van Burens
Christologie, die an die Stelle der Theologie tritt: das, was man
Gott nannte, fällt nun mit dem Menschen Jesus zusammen. Die
menschliche Natur Jesu ist sein freies Menschentum, die göttliche
Natur Christi die ansteckende Kraft seiner Freiheit. Die
christlichen Glaubensaussagen sind daher als Aussagen zu interpretieren
, welche eine besondere Weise, die Welt, andere Menschen
, sich selbst und die einer solchen Perspektive angemessene
Lebenshaltung zu sehen, ausdrücken, beschreiben oder kommentieren
. Die Norm der christlichen Perspektive ist die Reihe von
Geschehnissen, die vom N. T. bezeugt werden und deren Kern
Leben, Tod und Auferstehung Jesu bilden (S. 145 f.). Im einzelnen
nimmt sich das etwa so aus:

Vorsehung: Ausdruck für die Unerbittlichkeit, mit der der Christ
von seiner Perspektive ergriffen ist (S. 165). Rechtfertigung: ein neues
Selbstverständnis auf Grund des Verständnisses Jesu (S. 168). Glaube:
die dankbare Anerkennung der Befreiung und des Befreiers. Liebe: die
Betätigung dieser Freiheit im Dienst des Nächsten (S. 168f.). Kirche:
die Leute, die an jener Freiheit Anteil haben und sich deren Ursprungs
bewußt sind. Taufe: Darstellung des dramatischen Wechsels zwischen der
vergangenen Gebundenheit und gegenwärtigen Freiheit (S. 171). Fürbitte
: für den Mitmenschen etwas zu tun, oder wenn man nichts Konstruktives
für ihn tun kann, die Situation „überdenken" (S. 174f.).
Dankgebet und Anbetung: Ausdruck der Freude des Menschen darüber,
daß die Welt besteht und er besteht und daß seine historische Perspektive
ihm die Möglichkeit gibt, sich selbst und die Welt zu verstehen
(S. 176). Mission: Der Weg der Liebe, auf dem der Christ sich befindet,
der Weg zum Nächsten (nicht der Versuch, andere zu Christen zu machen
, S. 177).

Daß diese Deutung des christlichen Glaubens nicht „sektiererhaft
" ist, können wir bestätigen, allerdings nur in dem Sinn,
daß sie überhaupt nicht christlich, weil nicht gottesgläubig ist.
Daß für van Burens säkulares Christentum die ganze Tradition
des Glaubens in Anspruch genommen werden könne, müssen wir
aufs schärfste bestreiten (S. 18 5). Von der Freiheit des Menschen
und nicht von der Herrlichkeit Gottes zu reden oder zu behaupten
, zwischen beiden bestehe kein Unterschied, ist ein existential-
theologischer Nonsens.

2) Vgl. die Besprechung von Barthel und Ricoeur durch den Rezensenten
in ThLZ 90. Jahrg., 1965, Nr. 11. Sp. 854—860.

Berlin Wilhelm Knevels

Hoßfeld, P.: Die Stellung der christlichen Religion in der marxistischen
Anthropologie von Ernst Bloch (ThGl 56, 1966 S. 486—501).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

W o 1 f, Ernst: Peregrinatio. II: Studien zur reformatorischen Thelogie.
zum Kirchenrecht und zur Sozialethik. München: Kaiser 1965. 358 S.
gr. 8°. DM 24.-; Lw. DM 28.-.

Ernst Wolf legt hier einen zweiten Band seiner Gesammelten
Aufsätze vor, der zum Teil ältere Arbeiten enthält. In den
Aufsätzen, in denen er sich mit der Theologie der Lu'ther-
Renaissance auseinandersetzt, bewährt sich seine bekannte
Meisterschaft der präzisen Erfassung des Wesentlichen und zugleich
die Fähigkeit, das aktuelle Anliegen für che Gegenwart
herauszuarbeiten. In seiner Liifher-Redc von 1946 „Luthers