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Ausgabe:

1967

Spalte:

87-94

Autor/Hrsg.:

Goldammer, Kurt

Titel/Untertitel:

Der Beitrag Friedrich Heilers zur Methodologie der Religionswissenschaft 1967

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 19t>7 Nr. 2

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gelingt, und zwar für die Theologie als Ganzes. Wort und Glaube
: diese Relation ist unvollständig erfaßt, wenn nicht hier die
Verkündigungsfunktion der Kirche ins Blickfeld tritt'"', wobei
nach evangelischer Lehre die Kirche nie Grund des Glaubens sein
kann, sondern selbst unter das Wort gehört, aber zu ihm, in seinen
Dienst (Luther sprach von der Kirche als filia verbü).

3. Durch die Konzentration auf Wort und Glaube weiden
die Grenzen der Theologie erkennbar, sowohl hinsichtlich ihrer
Aussagekraft überhaupt wie auch im Blick auf die Notwendigkeit
kritischer Abgrenzung. Die doppelte Begrenztheit theologischer
Aussagen zeigt sich heute im Rahmen des Problems verantwortlicher
Rede von Gott: Wir empfinden die Unzulänglichkeit
überkommener Redeformen und die Notwendigkeit, neue
Wege zu gehen. Dabei stellt sich aber auch heraus, daß wir in der
Wahl der Gottesaussagen nicht unbeschränkt frei sind. Ein kritisches
Regulativ könnte „Wort und Glaube" sein: Nur was innerhalb
dieser Relation ausgesagt werden kann, ist verantwortliche
Rede von Gotr'".

4. Von daher eröffnet sich die Möglichkeit, „Wort und
Glaube" als ein Kriterium evangelischer Theologie zu akzeptieren
, nicht nur für die Dogmatik, sondern für alle Bereiche der
evangelischen Theologie. Jedenfalls wäre es denkbar, in jeder der

"'•') Hans Conzelmann hat das mit wünschenswerter Deutlichkeit
so formuliert: „Man kann die Begründung des Glaubens nicht außerhalb
der Kirche, der heutigen Predigt, ihrer Macht, Glauben zu stiften,
haben". (LM I, 1962 S. 497). Dieses Votum des Exegeten ist angesichts
vieler Nidit-Kirche-Tendenz heute besonders wichtig.

n) Das von Dorothee Solle vorgelegte „Kapitel Theologie nach
dem .Tode Gottes'" (Stellvertretung. Stuttgart 1965) zeichnet sich u. a.
durch ein beharrliches Absehen vom Zusammenhang von „Wort und
Glaube" aus. An seine Stelle ist Zeit und Erfahrung getreten, eine
schwer zu bestimmende Verknüpfung von Säkularismus und neuer
Erfahrungstheologie.

herkömmlichen Disziplinen (und an ihr Schema sind wir faktisch
gebunden, wenn wir unser Thema nicht abstrakt verhandeln wollen
) dieses Kriterium in die Grundlegung der jeweiligen Methode
aufzunehmen, ohne daß dabei auf die relative Selbständigkeit
des Faches verzichtet werden muß"7.

IV.

Abschließend ist festzustellen: Die Einheit der evangelischen
Theologie heute ist weder durch konfessionelle noch durch
wissenschaftliche Vorentscheidung gesichert. Die Entwicklung der
Theologie hat in unserer unmittelbaren Gegenwart zu einem Zustand
geführt, der die Frage unseres Themas zunächst unbeant-
wortbar erscheinen läßt. Der Verlauf unserer Überlegungen hat
jedoch gezeigt, daß es Elemente der Einheit gibt, die häufig
gerade dort wirken, wo oberflächlich betrachtet nur Auflösung
und Negation vermutet werden. Darüberhinaus gibt es Gesamtaspekte
für die Theologie, die nicht als Postulate, sondern als
Arbeitsgrundlage angesehen werden müssen. Am Zusammenhang
von Wort und Glaube wurde das hier ein Stück weit versucht,
ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, nur daß soviel klar
würde: In der Frage nach der Einheit der evangelischen Theologie
geht es nicht um Ausgliederung oder Rückstufung bestimmter
Teilbereiche, auch nicht um eine mehr oder weniger willkürliche
und einseitige Umverteilung der Aufgaben und Kompetenzen
, vielmehr um ein Stück theologischer Arbeit selber, die in
jeder Disziplin, von jedem Theologen getan werden sollte.

"') Die gelegentlich (s. Anm. 6) geäußerte Forderung, theologische
Arbeit solle um der Fleischwerdung des Wortes willen grundsätzlich in
nidittheologtscher Methodik verfahren, sie habe lediglich externe
Axiome wie Offenbarung und Verkündigung, geht von einer Trennungs-
möglichkeit von Axiom und Methodik aus, die gerade nicht gegeben
ist (das gilt im übrigen nicht nur für die Theologie).

Der Beitrag Friedrich Heilers zur Methodologie der Religionswissenschaft

Von Kurt Goldammer, Marburg

Als um 1920 der Name Friedrich Heiler einen netten Vertreter
der noch wenig klar umrissenen Religionswissenschaft
klangvoll bezeichnete, war er bereits mit einer Fülle viel beachteter
größerer und kleinerer Untersuchungen zu besonderen und
allgemeinen Themen der Geschichte der Religionen, eingeschlossen
das Christentum, verbunden. Die universalen Aufgaben, die
sich der von Nathan Söderblom und von Rudolf Otto geförderte
junge Gelehrte stellte, lagen im Gebiete der Religionen Asiens
ebenso wie der christlichen Kirchen und Konfessionen des Ostens
und Westens, der phänomenologischen Konfessions- und Religionsvergleichung
und der Religionspsychologie, historischer,
praktischer und systematischer Fragestellungen zur Geschichte
und zum Wesen der Religion. Bei einer Persönlichkeit, die so
souverän aus der Fülle des Ganzen zu schöpfen und anschaulich
zu gestalten wußte wie er, wurde es in den problemgeladenen
zwanziger Jahren verständlicher Weise zunächst wenig beachtet,
daß im Hintergründe ihrer fesselnden Darstellungen und Analysen
durchaus ■ auch methodische und wissenschaftstheoretische
Erwägungen und eine gründliche
Besinnung auf die Aufgabe und auf die Leistungsmöglichkeit
ihres wissenschaftlichen Tuns
standen.

Bereits in seinem schnell berühmt gewordenen großen Buche
über „Das Gebet" (1. Auflage München 1918; 5. Auflage
München 1923) hat Heiler Überlegungen über „Aufgabe und
Methode der Religionswissenschaft" angestellt1, ehe er in die
Untersuchung der Quellenlage des Gebets eintrat, wobei inter-

Zum 75.Geburtstage F. Heilers am 30.Januar 1967

essanterweise seine Hauptgewährsmänner T r-o e 11 s c h (Wesen
der Religion und Religionswissenschaft, in „Die Kultur der
Gegenwart"), Wernlc (Einführung in das theologische Studium
), Söderblom (Studiet av religionen) und Curaont
(Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum) waren.
Nur zwei dieser Männer kann man als Religionshistoriker im
eigentlichen Sinne bezeichnen, während die beiden anderen
Namen in den Bereich der liberalen, „religionsgeschichtlich"
orientierten und interessierten Theologie der Zeit vor dem
Ersten Weltkriege gehören.

1. Was dabei sofort ins Auge fällt, ist das aus Fragen und
Bedürfnissen der Zeit und ihrer Religiosität zu verstehende
starke religionspsychologische Interesse.
Der junge Heiler tritt mit prinzipiell psychologischen Fragestellungen
und Erklärungsversuchen an die Religionsgeschichte
heran. Das hatte er bereits in seiner um die gleiche Zeit entstandenen
und als gedrucktes Heft Aufsehen erregenden
Münchener Probevorlesung über Luther getan, die nur äußerlich
geschichtlichen Charakter trug, in Wirklichkeit aber eine psychologisch
und typologisch religionsvergleichende Betrachtung war'.
Parallel dazu verfaßte Heiler die zu seiner Habilitationsschrift
ausgestaltete Untersuchung über „Die buddhistische Versenkung
", in der er (vornehmlich in den beiden ersten Abschnitten
und im Schlußkapitel) die Typen der Offenbarungsreligion
und der mystischen Religiosität herausarbeitete und in
stark psychologisch gewählter Perspektive mit einer deutlichen

l) Friedrich Heiler, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und
religionspsyologisdie Untersuchung. München °1923, &. 16—26.

'') Friedrich Heiler, Luthers religionsgeschichtlidie Bedeutung.
München 1918.