Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

953-954

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Grelot, Pierre

Titel/Untertitel:

La Bible, parole de Dieu 1967

Rezensent:

Weiß, Konrad

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

968

erlegen. Schlciermachers Name wird in diesem Zusammenhang
nur erwähnt, Horst Stephan als einer genannt, der die Schwierigkeiten
erkannt hat. Das Verhältnis der Philosophie zur Dogmatik
wird nicht geprüft, obschon Grin Mitherausgeber der
„Revue de theologie et de Philosophie" ist. Die Auseinandersetzungen
, die Bultmann ausgelöst hat, werden nicht erwähnt. Grin
ist da unbeschwerter gegenüber dem Zeugnis von der Tat Gottes
. Die Neutestamentier, die ihm nahestehen, sind Fr. Leenhardt
in Genf und Pierre Bonnard in Lausanne. Jesus belehrt den reichen
Jüngling, daß es nur einen Guten. Gott, gibt, nicht ein Gutes
. So gibt es auch nur Gott in seiner Lebendigkeit selbst, den
in der Schrift bezeugten Gott, nicht ein gutes System, das Gott
einfängt. Der Thomismus selber, im Unterschied zur Reformation
, ist „christliches System". Die Gefahr wird aber nicht überwunden
, wie E. Grin zu meinen scheint, wenn die orthodoxe
Kirche vornehmlich Kirche des Johannes, die Kirche der Reformation
die des Paulus, die römische Kirche die des Petrus ist.
Dadurch würde das Systemdenken in der Dogmatik nicht überwunden
. Aber wir sagen damit etwas, was Grin im Grunde
schon weiß. Denn es ist eine wohl abgewogene Theologie, die
uns in diesem Sammelba-nd entgegentritt. E. Grin kann hören,
prüfen; davon legt auch dieser Band Zeugnis ab. E. Grin hat
keine Dogmatik und keine Ethik geschrieben; aber er gibt Wesentliches
zu erwägen gerade dem, dem die westschrweizerische
und französische Theologie fremder ist.

Bern Alfred de Quervain

C r e 1 o t, Pierre, Prof. La Bible Parole de Dieu. Introduction
theologique ä l'Etude de l'Ecriture Sainle. Pans-Tournai-
Rome-New York: Desclce [1965). XII, 418 S. 8° = Biblio-
theque de Theologie. Theologie Dogmatique, sous la Dir. de
P. Glorieux, A. Chavassae, Ch. Baumgartner, I, 5.

Das Buch will eine monographische Behandlung des sowohl
in den Manuels de theologie als auch in den Introductions
generales ä l'Ecriture Sainte figurierenden Kapitels De l'Ecriture
Sainte sein, wobei das Interesse G.'s jedoch den theologischen
Fragen, letztlich dem Problem der biblischen Hermeneutik, gilt.
Die Gegenstände der „niederen Kritik" erfahren daher eine Behandlung
nur insoweit, als sie für das theologische und herme-
neutische Problem von Interesse sind. Immerhin kommen auf
diese Weise auch solche Gegenstände wie die Sprache, die literarischen
Formen der Bibel und die Frage nach deren literarischen
Quellen, ihre Veknüpfung mit der zeitgenössischen Literatur
, Kultur und Gesellschaft und natürlich kanonsgeschicht-
lichc Fragen in ziemlicher Breite zur Sprache.

Der Aufbau der Darstellung in zwei Hauptteilen : 1) „L'Ecriture
Sainte" und 2) „L'Interpretation de L'Ecriture" besagt, da5
sich auf der Untersuchung des Wesens der Bibel (1) deren sachgemäßes
Verständnis (2) aufzubauen hat.

Ihren Impuls empfängt die Arbeit Grelots von dem in der
katholischen Theologie und Kirche mehr und mehr brennend
gewordenen Bibclproblcm - um nicht das Schlagwort von der
»katholischen Bibelbewegung" zu gebrauchen. Sie ist daher
für Idas ökumenische Gespräch und für die reformatorische
Theologie von bedeutendem Interesse. Zwar kann das Buch
von den einschlägigen Dokumenten und Verhandlungen des
Vatikanum II nur gerade noch in deren Anfängen Notiz nehmen
. Trotzdem wird deutlich, daß der Vf. sich von der konservativen
Haltung, die die Traditionen der Kirche als Quelle der
Wahrheit neben die Schrift stellt, lossagt. Hierfür sind auch
seine historischen Rückblicke (s. u.) auf die Geschichte der
katholischen Exegese und die einschlägigen päpstlichen Enzykliken
seit dem Tridentium aufschlußreich: Fesselung der Exegese
durch Dogma und Apologetik in der nachtridentischen
Aera bis zum Vatikanum I; Schlußpunkt dieser Entwicklung in
der Enzyklika Providentissimus Leos XIII. 1893; von da ab
allmähliche Gesundung der exegetischen Arbeit und deren offizielle
Anerkennung durch Pius XII. in Divino afflante Spiritu
1943.

Auf dem Hintergrund dieser geschichtlichen und zeitgenössischen
Problematik stellt das Buch die zentrale Frage nach

964

dem Verhältnis der Tradition, d. h. der einen apostolischen
Tradition, zur Schrift und macht die durch Verwechslung der
Größen La Tradition und les traditions immer wieder entstandene
verhängnisvolle Fehlentwicklung sichtbar.

Grelots Lösung der Frage ist in summa diese:

1) Am Anfang steht nicht die Schrift, sondern die den Aposteln
gegebene Tradition und die von ihnen gegründete Kirche,
die vom Heiligen Geist durchpulst ist.

2) Die Schriftwerdung dieser Tradition gründet sich auf ein
besonderes, unter den urchristlichen Geistesgaben hervorzuhebendes
Charisma und auf die damit begnadeten Charismatiker.

3) Damit hat die grundsätzlich auf die Verkündigung an alle
Welt zielende Schrift aber eine besondere Zuordnung zur Kirche,
in der allein die Tradition, der Geist und die Charismen, auf
denen die Schrift basiert, beheimatet sind.

4) Daraus ergeben sich die entsprechenden Konsequenzen
für eine sachgemäße Interpretation der Schrift. Unbeschadet des
Rechtes und der Unumgänglichkeit der historisch-kritischen Exegese
kann auf Grund der Prämissen nur ein aus dem Geist
und Leben der Kirche gespeistes Schriftverständnis die Tiefen
der in ihr angelegten göttlichen Geheimnisse ausloten und offenbar
machen.

5) Zu den wesentlichen Strukturelementen der Kirche gehören
aber neben der Schrift auch die Amter und die Sakramente.
Nur in ihrer Dreiheit und Gesamtheit ist die permanence effec-
tive de la tradition apostolique garantiert.

6) Will man also zum sens plenier (sensus plenior) der Schrift
vordringen, so ist das nur durch ihren rapport auf das so
charakterisierte, ständig vom Hl. Geist geleitete volle Leben
der Kirche möglich.

7) Von dieser Kirche, die die Apostel gründeten, gilt, auch
nachdem sie ihren Weg ohne diese weitergehen mußte: cette
figlise n'a pas change de nature. Dans la tradition ecclesiastique
le depöt apostolique a continue de se transmettre fidelement
grace aux struetures mises en place des l'oi-igine (S. 326).

Das Bemühen des Vfs. um einen Kurs, der zwischen der
Scylla des reformatorischen Sola-Scriptura-Prinzips und der
Charybdis der nachtridentinischen These von den zwei Quellen
der Wahrheit, Schrift und Tradition(en), hindurchzusteuern gestattet
, ist offensichtlich. Die Befürchtung, daß bei der Praktizierung
seiner Prinzipien das Schifflein des Exegeten doch in
den charybdischen Strudel gerät, wird sich jedoch schwer unterdrücken
lassen.

Mit dem Gesagten ist die aktuelle Thematik des Buches,
noch keineswegs jedoch der gesamte Untersuchungsgang, der
zahlreiche bibeltheologische Einzelprobleme intensiv und mit
bemerkenswerter Methodik verfolgt, dargestellt. Seine einzelnen
Themen sind in einem zehn Seiten (!) umfassenden Som-
maire am Schluß des Buches zusammengestellt. Aus dieser Fülle
der Gegenstände, denen sich die vielverzweigte Darstellung -
immer wieder auf Seiten- und Nebenprobleme abbiegend -
zuwendet, wird erklärlich, daß für den Leser der Gedankenfaden
nicht immer leicht erkennbar und festzuhalten ist. Das
auch deshalb, weil sich der Vf. den Weg zur aktuellen Problematik
der einzelnen Themen vielfach durch historische
Aufrisse bahnt, an denen die jeweils richtige und falsche Behandlung
des Gegenstandes einsichtig werden soll. Letztlich
dienen solche ^historischen Spaziergänge aber dazu, das zu
unterbauen, was dem Vf. als Ziel des von ihm herausgearbeiteten
Bibelverständnisscs vorschwebt: Die Wiedervereinigung
der im Laufe einer geschichtlichen Fehlentwicklung auscinander-
gefallenen und einander beeinträchtigenden Disziplinen der
Exegese, der Dogmatik, der Apologetik und der Pastoraltheologie
.

Kein Zweifel, daß er sich damit wie schon mit seinem vorangegangenen
Buch: Sens chretien de L'Ancien Testament ein
Verdienst um die Lösung dieses nicht nur die katholische Theologie
bedrängenden Problems erworben hat.

Rostock Xonrad W elB

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12