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Ausgabe:

1967

Spalte:

949-951

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Iwand, Hans Joachim

Titel/Untertitel:

Nachgelassene Werke 1967

Rezensent:

Søe, Niels H.

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direktes Verhältnis zu Gott" impliziert (179). Wenn die Wahrheit
Gottes Jesus Christus ist, dann geht es „letztlich nicht urr,
die Entscheidung zwischen Wissenschaft und Bibel, -sondern um
die zwischen Tod und Leben, zwischen Dunkelheit und Licht,
zwischen Wahrheit und Lüge" (180).

Eine kritische Auseinandersetzung mit Loretz, besonders was
seine Fragen an die historisch-kritische Methode einerseits und
die Befreiung der Theologie durch das Zweite Vatikanum andererseits
anbelangt, überschreitet die Möglichkeit einer Vorstellung
. Immerhin schneidet dieses konzentrierte, mit reichem
Apparat auch aus der protestantischen Forschung versehene
Werk hermeneutische Probleme an, die nun nicht mehr nur
den Protestantismus bedrängen. Läf)t sich „biblische" Wahrheit
in die heutigen Verstehensmöglichkeitcn übersetzen, ohne deren
Denkvoraussetzungen an die Texte selbst heranzutragen? Diese.
Frage kann nicht mehr länger „konfess;onell" angeganger,
werden.

Binsheim Joachim Lei!

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Iwand, Hans Joachimi Nachgelassene Werke, hrsg. v. H.
Gollwitzer, W. Kreck, K. G. Steck, E. Wolf. IV.
Bd.: Gesetz und Evangelium, hrsg. v. W. Kreck. München:
Kaiser 1964. 451 S. 8°. Lw. DM 24.-.

Dieser Band besteht aus zwei Teilen. Die erste Hälfte enthält
eine von Iwand selbst wohl durchgesehene Nachschrift der
Vorlesung „Gesetz und Evangelium", die er im Sommer 1937 im
Predigerseminar Bloestan (Ostpreußen) und in Jordan (Neumark)
gehalten hat. Die zweite Hälfte enthält Teile aus späteren Vorlesungen
, vor allem ziemlich vollständig das Kollog „Gesetz und
Evangelium, Einführung in die Theologie der Reformatoren",
das im Wintersemester 1950/51 in Göttingen gehalten wurde.
Dieses Kolleg behandelt das Problem bei Luther, Melanchthon
und Calvin, während die erste Hälfte eigentlich nur darauf aus
ist, Luther richtig zu verstehen, immer doch so, daß der Leser
spürt, wie brennend engagiert an den Problemen der Verfasser
ist, und wie es ihm dämm geht, direkt oder indirekt in die damalige
Lage hineinzureden. Nicht umsonst lautet der allererste
Satz: „Das Wissen um Gesetz und Evangelium gehört zur rechten
Predigt."

Es ist überaus schwer, einen echten Eindruck von dem übergroßen
Reichtum dieses Bandes in einer Besprechung zu vermitteln
. Zeitbedingte Studien und Ausführungen? Gewiß. Besonders
in der ersten Hälfte spürt man die damalige Lage, den Kampf
der Bekennenden Kirche. Und die Zeit läuft schnell. „Die neue
Generation wird anders, ganz anders sein", klagt Iwand in einem
seiner letzten Briefe (14.10.51) an seinen ehemaligen Lehrer
Rudolf Hermann. Die spätere Entwicklung hat dieses bewahrheitet
. Aber eben deshalb scheint mir dieser Band so überaus
reich und wertvoll. Die Fragen, um die es Iwand ging, sind
wahrhaftig nicht veraltet. Und vielleicht ist es besonders wichtig
, hier einen Theologen zu hören, der sich zwar immer mehr
an Karl Barths Theologie herangezogen fühlte und doch nie
seine Auffassung von Evangelium und Gesetz ganz mitvollziehen
konnte In seiner Jugend war er gerade von Rudolf Hermann
tief in Luther hineingeführt worden; er wollte bei Luther
bleiben, und das heißt hier sowieso: bei der Reihenfolge „Gesetz
und Evangelium". Die Frage ist dann aber: Wie hat er Luther
verstanden? Was sagt ihm in der Lage seiner Kirche der Reformator
?

Die alle Ausführungen tragende Grundeinstellung ist die eindeutige
Christozentrizität des Ganzen. Schon am Anfang wird
eingehämmert, daß der Sinn des Gesetzes nur von Christus her
zu verstehen ist (S. 20). Das Gesetz wirkt Sündenerkenntnis, ja
aber wahrhaftig nicht, wie die philosophische Ethik, der Idealismus
oder auch die Oxfordgruppenbewegung meinen, dadurch,
daß Einzelsünden aufgedeckt werden, nein - aber das Gesetz
zeigt auf Christus hin. Es führt in die wahre Buße, wo wir nicht
auf unsere etwaige Verbesserung, sondern allein auf Christus

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schauen. „Dieser Sünder, der Buße tut, ist nicht mehr unter dem
Gesetz, sondern unter der Gnade" (S. 26). „Das Gesetz sagt: Ich
bin nicht das Ganze, darum entscheidet sich nicht an mir, wie es
um dich steht. Ich weise über mich hinaus. An Christus entscheidet
es sich, wie es um dich steht" (S. 55).

Und entsprechend wird die verhängnisvolle Fehlentwicklung
bei Melanchthon durch die Tatsache charakterisiert, „daß hier der
Nomos aus seinem Bezogensein zum Logos gelöst ist. Das Gesetz
ist nicht primär" auf Christus bezogen, sondern auf den
Menschen, und zwar auf den Menschen ganz allgemein, auf die
gentes! Hier tritt der Bruch innerhalb der Offenbarung ein, so
daß eigentlich nur das Evangelium „der Offenbarung seine Universalität
verdankt, während das Gesotz seiner Universalität seine
göttliche Herkunft zu verdanken hat" (S. 346). Und so hat dann
i'iich Iwand eine klar christozentrische Auffassung der Schöpfung.
Wir sind von der Schöpfung her für Christus bestimmt, dazu
bestimmt, „in ihm zu werden, was wir nicht sind". Die Menschheit
ist zu begreifen „aus der Zuordnung von Adam und Christus
" (S. 159). Die Theologie entwickelt deshalb die Anthropologie
„von Christus her" (S. 55). Und Christi Werk bedeutet nicht
eine Wiederherstellung des durch den Sündenfall verlorengegangenen
Urstandes, sondern eine neue Kreatur. „Wenn du wissen
willst, was es heißt, daß Gott der Schöpfer ist, dann mußt
du auf Jesus Christus sehen" (S. 105).

Das heißt aber selbstverständlich nicht, daß Christus nun,
schön idealistisch, verherrlicht werde als der eine Mensch der
Gattung, der wirklich rein war, ein Ideal, das geglückt ist; „denn
damit würde nicht Gottes, sondern der Menschen Ehre verherrlicht
" (S. 98). Überhaupt gilt es, daß „eine historische Betrachtung
des Lebens Jesu" eine „Betrachtung aus dem Unglauben" wäre
(S. 95). Der Tod Jesu Christi ist ein stellvertretendes Leiden und
somit Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in unzertrennbarer
Einheit. Und es gibt „keinen Maßstab, um diese Stellvertretung
auf ihr Recht oder auf ihr Unrecht zu prüfen. Dann
würde ja der Mensch über Gott urteilen" (S. 104).

Aber nun die Verbindung zwischen Rechtfertigung und Heiligung
? Iwand wendet sich gegen die traditionelle Auffassung,
daß wir in Dankbarkeit gegen Gott das Gute tun könnten. Dann
wären wir ja sowieso Gott gegenüber frei. Auch können wir
nicht, wie es Barth gelegentlich tat, sagen, daß „wir in der
Kraft Gottes für ihn und sein Gebot und seinen Willen in der
Welt demonstrieren könnten" (S. 132). „Das Gebot Gottes erfüllen
heißt dann einfach, sich bewahren lassen von der Gerechtigkeit
Gottes, sich halten an die Gerechtigkeit Gottes" (S. 132). Das
bedeutet aber nicht, daß Gottes Gesetz nur in die Welt des Fleisches
gehöre. „Wir sollen uns abwenden von dem Fleisch, aber
wir sollen uns hinwenden zum Gesetz" (S. 153). „Das Gebot Gottes
bewahrt uns bei Gott" (S. 133). Darum heißt es: „Werde, was
du von Gott bist! Oder um es genauer zu sagen: Was du nach
Gottes Wort bist, das kannst du nur haben als ein Werdender,
du bist gerecht, aber du kannst deine Gerechtigkeit nur haben
im Kimpf gegen die Sünde" (S. 162). Deshalb unterstreicht Iwand,
daß die Heiligung „die Vorbereitung auf die Wiederkunft des
Herrn" ist, nicht zu denken ohne die Parusie des Herrn (S. 131).

Hiermit hängt eng zusammen, daß Iwand den Unterschied
zwischen Kirche und Volk unterstreicht. Gerade in der heutigen
Welt, nicht am wenigsten in einem relativ geschützten Land wie
Dänemark, ist es überaus wichtig zu beachten, was Iwand zu
dieser Frage sagt: „Der Versuch, die Grenze zwischen Kirche und
Welt aufzuheben, stammt von unten her, vom Satan" (S. 223).
Der Versuch, Kirche und Volk zusammenfallen zu lassen, bedeutet
die Ohnmacht der Kirche in diesem Volk, denn damit
fällt die Unterscheidung zwischen Kirche und Welt weg" (S. 188).
Und gerade heute, wo man die Säkularisierung als vollgültige
Konsequenz der lutherischen Lehre vom Weltreich freudig bejaht
, müssen wir auf Iwand hören, wenn er sagt: „Die Säkularisation
als der Preis für die Identität von Kirche und Volk ist
zu hoch, als daß die Kirche ihn bezahlen könnte" (S. 188).

Deshalb wendet Iwand sich auch gegen diejenigen, welche
meinen, „die Kirche sei nichts Kontinuierliches, die Kirche sei
je und dann in dieser Heimlichkeit des im Glauben aufgenom-

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12