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Ausgabe:

1967

Spalte:

947-949

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Loretz, Oswald

Titel/Untertitel:

Galilei und der Irrtum der Inquisition 1967

Rezensent:

Lell, Joachim

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947

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12

918

Ogiermann, Helmut: Causa prima. Metaphysische Gottesidee
und Kausaldenken (ThPh 42, 1967 S. 161-186).

P u n t e 1, L. B.: Die Trinitätslehre G. W. F. Hegels (ZKTh 89,
1967 S. 203-213).

Rasolo, L.: Science moyenne et Thomisme (Sciences Eccle-
siastiques XIX, 1967 S. 215-230).

Riesco, Jose: Führt die Philosophie Senecas zur göttlichen
Transzendenz? (FS 49, 1967 S. 80-109).

Schaefer, Alfred: Praxis. Zur Religionskritik von Karl Marx
(ZRGG 19, 1967 S. 127-139).

Steemann, Theodore: Psychologische und soziologische Aspekte
des modernen Atheismus (Concilium 3, 1967 S. 190-
196).

Teilhard de Chardin, Pierre: Der Mensch im Kosmos,
übers, v. O. Marbach. Berlin: Union Verlag (Lizenzausgabe der
C. H. Beck'schen Verlagsbuchhandlung München) [1966). 408 S.,
1 Porträt, 4 Abb. Beilage: Beiträge zur Deutung von Teilhard
de Chardin, Der Mensch im Kosmos v. O. Klohr, u. H. Trebs.
52 S. 8°. Lw. MDN 10.80.

T i c e, Terrence N.: Schleiermacher Bibliography, with Brief
Introductions, Annotations and Index. Princeton, N. J./NS:
Princeton Theological Seminary 1966. 168 S. gr. 8° = Princeton
Pamphlets, 12. 8 2.50.

NATURWISSENSCHAFT UND GLAUBE

Loretz, Oswald: Galilei und der Irrtum der Inquisition. Naturwissenschaft
- Wahrheit der Bibel - Kirche. Kevelaer:
Butzon & Bercker [1966]. 219 S. 8°. Kart. DM 14.80; Lw.
DM 16.80.

Der Titel des Buches verspricht eine historische Studie. Der
Galileikomplex, der nicht wenige Sitzungen des Zweiten Vatikanischen
Konzils beschattete, legte eine solche auch nahe. Doch
der junge Alttcstamentler in Münster greift tiefer und behandelt
kritisch das kirchliche Wahrheitsverständnis überhaupt,
unter dem es zu einem Galilei-Prozeß kommen mu5te. Der
Streit um die Frage Galileis: „Wie verhalten sich die Wahrheit
der Wissenschaft und ihre Autorität zum Wahrheitsanspruch und
der Autorität der Schrift?" (Kap. I) ist bis heute „noch im wesentlichen
unausgetragen", da „eine Anzahl von Theologen sich
im Grunde immer noch auf Seiten der Inquisition hält, obwohl
sie mit vollem Recht bestreitet, mit dieser Institution in irgendeinem
Sinne in Verbindung oder Sympathie zu stehen"
(38). Denn wenn auch die Theologie ihre Argumente gegen die
wissenschaftlichen Entwicklungen fallen ließ, so ist doch zu
fragen, „ob sie auch auf die Voraussetzungen verzichtet, die sie
damals widersprechen ließen" (38).

„Die Aporie der dogmatischen Theologie in der biblischen
Wahrheitsfrage* (Kap. II) liegt dogmatisch in der „Verknüpfung
von Inspiration und Irrtumslosigkeit" (42). In dieses System werden
auch Bibeltheologen und Dogmatiker wie Bea, Lohfink und
Rahner eingezeichnet, auch soweit sie mit ihren dogmatisch-
kirchlichen Prinzipien den metaphysischen Prinzipien der Moderne
von Descartes über Hegel zu Nietzsche verhaftet sind.
Die exegetische Frage muß von solchen europozentrischen Prämissen
aus notwendigerweise den semitisch-alttestamentlichen
Sprachgebrauch verfremden und mißverstehen. Das gilt auch
für die protestantische Exegese, die trotz lehramtlicher Freiheit
lange nicht zur „Eigenbegrifflichkeit der Wahrheit im semitischbiblischen
Bereich" (Kap. III) gefunden hat. Zu übermächtig
war die von der abendländischen Theologie rezipierte philosophische
Tradition geworden (54).

Vergleicht man den Wahrheitsbegriff des Alten Testaments,
den auch das Neue „im allgemeinen" beibehält (66), mit dem
abendländischen und seinen Wurzeln, so zeigt sich, wie tief
die Bedeutungen dieses theologischen Fundamentalbegriffes auseinanderklaffen
. Während das Alte Testament unter der Wahrheit
Gottes seine Treue, Zuverlässigkeit und Beständigkeit;
meint, mit der er sein Volk als sein Volk erhält, versteht das
Abendland unter Wahrheit Inerranz und unfehlbare Richtigkeit.

Während der alttestamentliche Gegensatz Wankelmütigkcit
(Hurerei) des Volkes meint, heißt der abendländische Irrtum
und Abfall von einer vorgegebenen Norm. Dieses biblische
Wahrheitsverständnis haben weder Galilei noch seine Gegner
erkannt. Dennoch liegt „die Tragik beider Parteien darin, „daß
jede von sich behauptete, allein die Wahrheit der Bibel zu
verteidigen" (70).

„Galileis Lehre über das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher
und biblischer Wahrheit" (Kap. IV) basiert auf Augustins
„Lehre von der gänzlichen Irrtumslosigkeit der Schrift" (96). Er
streitet sich mit seinen Gegnern nur um die Auslegung dieses
Prinzips. Da die Wahrheit unteilbar ist, muß eine Schriftstelle,
die der wahren naturwissenschaftlichen Erkenntnis widerspricht,
nach ihrem tieferen, dem Volke verborgenen Sinn befragt werden
(97). „Keine Kreatur vermag wahr oder falsch sein zu lassen
im Unterschied zu dem, was es seiner Natur nach ist. Wer
dagegen handelt, beraubt sich der eigenen Autorität und zukünftiger
Handlungsfreiheit" (98).

Der Irrtum der Inquisition (Kap. V) bestand in der Durchsetzung
desselben bibelfremden Wahrheitsverständnisses gegenüber
Galilei, der immerhin mit seiner Auslegung den Weg zu
zwei verschiedenen Wahrheitsbegriffen anbahnte. Ihm war klar,
„daß seine Gegner weder die Physik noch die Hl. Schrift
verstanden und deshalb irren mußten" (111). Denn sie dehnten
das Prinzip der absoluten Irrtumslosigkeit der Schrift auf die
Naturwissenschaft aus, obwohl diese sich „längst von der Bibel
und der Theologie völlig emanzipiert hatte" (106).

Nun geht Loretz dem Einfluß des naturwissenschaftlichen
Denkens auf das gegenwärtige Verständnis der biblischen Geschichtsschreibung
(Kap. VI) nach, um dann schließlich die alt-
testamentliche Exegese (von Rad) zu fragen, warum sie nicht
genügend deutlich gemacht habe, „von welchem Wahrheitsbegriff
die hebräische Geschichtsschreibung beherrscht wird?"
(118ff). Erst dann würde klar, daß auch „der Wahrheitsanspruch
der historisch-kritischen Methode einen anderen Wahrheits- und
Realitätsbegriff voraussetzt und deshalb auch notwendig zu
andern Ergebnissen als die biblischen Autoren gelangt" (134).
Ähnliches gilt auch für die NT-Forschung (Vöfltle).

„Erhebt man die Bibel zum Maßstab jeder menschlichen
Erkenntnis aufgrund theologischer oder politischer Motive gegen
den Sinn des göttlichen Wortes, dann kommt es zum Fall Galilei
" (140). „Rückt jedoch die naturwissenschaftliche Methode und
in deren Gefolge die historisch-kritische zum unumschränkten
Maßstab der Wahrheit und Wirklichkeit auf, dann bleibt für die
Bibel kein Raum mehr" (140). Das geschichtliche Verständnis
der Bibel wandelt sich jeweils nach dem historischen Denken
der Gegenwart (141). „Es steht somit die Frage an: wie muß
die Hl. Schrift in einer modernen, technisierten Industriegesellschaft
geschichtlich verstanden und ausgelegt werden, damit der
Mensch von ihrem Wahrheitsanspruch betroffen wird?" (142).

In seinem VII. Kapitel und einem Exkurs meint der Verf.
eine stillschweigende Revision der kirchlichen Haltung gegenüber
Galilei auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil feststellen
zu können. Die Konstitution Dei Verbum habe mit der nahezu
magischen „Fixierung der Theologie auf ihre eigene Theorie
der Verknüpfung der Inspiration mit der absoluten Irrtumslosigkeit
im Sinne der ,Sine ullo errorc' -Theorie gebrochen
und einen Weg zur Bibel selbst gewiesen" (150/197). Die Wahr
heit wird nicht mehr in wahren Sätzen lokalisiert (198/99).
Wenn auch die Lostrennung von der bisherigen Schulthcologie
noch langwierig sein wird (199), so habe die Kirche sich doch
„dafür geöffnet, den mit dem Fall Galilei aufgeworfenen Fragen
nun endlich und nach schmerzlicher Verspätung offen gegenüberzutreten
und von der Schrift her eine Antwort zu suchen
" (208). Und eben hier liegt „Galileis bleibende Herausforderung
an die Kirche" (Kap. VIII), daß die Frage nach der
Wahrheit nicht mehr zur Ruhe kommen darf. Schon der Begriff
„theologische Wahrheit" (Fries) ist „kaum mit dem semitischbiblischen
zur Deckung" zu bringen und legt die Frage nahe,
ob damit „nicht die Hl. Schrift bedingungslos dem Gesetz der
Philosophie unterworfen wird" (175), während sie doch „ein