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Ausgabe:

1967

Spalte:

929-931

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Dipper, Theodor

Titel/Untertitel:

Die Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg 1933 - 1945 1967

Rezensent:

Meier, Kurt

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Band vorbehalten sein, den thcologiegeschichtlichen Ort Fran-
ckes noch näher zu umrei5en. Man darf diesem abschließenden
Bande mit Spannung entgegensehen.

Rostock Gert Hoendln

Dipper, Theodor: Die Evangelische 3ekennlniigeineinichaft
in Württemberg 1933-1945. Ein Beitrag zur Geschichte des
Kirchenkamples im Dritten Reich. Göttingen: Vandenhoeek &
Ruprecht 1966. 294 S. gr. 8° = Arbeiten z. Geschichte d. Kirchenkampfes
, hrsg. v. K. D. Schmidtf in Verb. m. H. Brünette
u. E. Wolf, 17. DM 26.-.

Um die Gesenitgeschichte des cv. Kirchenkampfes im Dritten
Reich wissenschaftlich zu erfassen, ist eine gründliche Kenntnis
der Vorgänge in den einzelnen Landeskirchen erforderlich.
Die territorialgeschichtlichen Publikationen, die für diesen Zeitabschnitt
der neuesten Kirchengcschichte erarbeitet werden bzw.
bereits erschienen sind, tragen dem Anliegen, das Gesamtbild
kritisch-objektiv zu erfassen, insoweit Rechnung, wie sie den
spezifischen Spannungsreichtum und die Differenziertheit des
lokalen Geschehens möglichst adäquat wiedergeben. Der vorlic
gc-nde Band 17 der „Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes
" will bewußt „einer Gesamtdarstellung der Geschichte der
Württembergischen Landeskirche während der Herrschaft des
Nationalsozialismus nicht vorgreifen" (S. 16), sondern beschränkt
sich darauf, den Weg der dortigen Bekenntnisgemeinschaft
unter Führung des Landesbruderratcs (-=LBR) nachzuzeichnen
. Der Verfasser - als Vorsitzender des LBR an den
Kämpfen maßgebend beteiligt - konzentriert die Darstellung
stark auf die spannungsgeladenen Auseinandersetzungen innerhalb
der württembergischen Bekenntniskräfte. Wenn man
von der kurzen „Vorgeschichte" (S. 17-23), die über die „Entstehung
der Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaften" 1930
und über den 1927 gegründeten pfarrbruderschaftlichen „Freudenstädter
Kreis" orientiert, einmal absieht, umspannt der zeitliche
Rahmen die Jahre von 1933 bis Anfang 1939. Der termi-
nus ad quem wird damit gerechtfertigt, „daß bis dahin alle
grundsätzlichen Entscheidungen im wesentlichen gefallen waren
" (S. 287).

Die württembergische Bekenntnisgemeinschaft 'stand dem
Kirchenregiment des Landesbischofs Wurm zwar kritisch gegenüber
, lehnte manche seiner Entscheidungen ab (so z. B. den Anschluß
der Landeskirche an den Lutherrat) oder fand sie bedenklich
, ließ es aber in keiner Phase der Entwicklung zum
Bruch kommen. So wehrte sich der LBR auch, dem Drängen der
Thcol. Sozietät (Hermann Diem u. a.) zu entsprechen und -
gegebenenfalls auch gegen Wurm und seine Stuttgarter Ober-
kirchenratsbehörde - kirchenregimentliche Funktionen zu übernehmen
. Anders die Theologische Sozietät: sie lehnte es z. B.
Anfang 1936 ab, sich einer Protestaktion gegen die beabsichtigte
Einsetzung eines paritätisch zusammengesetzten Landeskirchenausschusses
anzuschließen, da Bischof Wurm durch die
faktische Anerkennung des Reichskirchenausschusses das Anliegen
der Bekennenden Kirche preisgegeben habe, folglich also
kein Anlaß bestehe, sein Kirchenregiment zu stützen. Ein erneutes
Zusammengehen von LBR und Sozietät Herbst 1937
scheiterte bereits nach Jahresfrist.

Es ist ein Vorzug des Buches, daß es auf ungute Polemik
verzichtet, ohne die Schärfe der Gegensätze zu verwischen. Vielmehr
ermöglicht die vielfach ungekürzte Wiedergabe entsprechender
Erklärungen, Protokolle und Korrespondenzen die Erfassung
von Motiven auch der Gegenseite. Im übrigen wird
deutlich, daß die Konsequenz notrechtlicher Praktiken aus den
theologischen Prämissen von Barmen nicht nur von den Kir-
chenl e i t u n g e n der sog. intakten iLutherischen '.Landeskirchen
abgelehnt wurde. Es wies vielmehr auch die württ. Bekenntnisgemeinschaft
, die durch ihren LBR die Legitimität der
sukzessiven lutherischen Zusammenschlüsse energisch bestritt und
um Festigung des Kontaktes zur 2. Vorläufigen Kirchenleitung
bemüht blieb, das Ansinnen der Sozietät, die Kirchenleitung
Wurm dem kirchenregimentlichen Handeln der Bekenntnisge-

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meinschaft zu unterwerfen, mit dem bezeichnenden Hinweis auf
eine „Wertung" der Banner Bekenntnissynode zurück, die der
LBR nicht akzeptieren könne. Der LBR wies darauf hin, „dafj
grundsätzliche Entscheidungen über die Lehre eine andere Dig-
nität besitzen als Entscheidungen über die Ordnung der
Kirche" (S. 182) und konstatierte: „Ein Konsensus über die Einheit
von Lehre, Ordnung und Amt in der Bekennenden Kirche
ist in Wirklichkeit nie erreicht worden". Während die Sozietät
Barmen als „kirchenbildendes Faktum" (S. 176) auffaßte und
darum der Kirchenleitung Wurm die kirchenregimentliche Legitimität
bestritt, da diese „Barmen" zwar „persönlich", nicht aber
kirchenoffiziell verantworte und die Landeskirche nicht an Barmen
gebunden wisse, lehnte es der LBR auf Grund anderen
Verständnisses ab, mit seinem als Dienst geweiteten geistlichen
Handeln in die kirchenleitenden Befugnisse des württ. Oberkirchenrates
einzugreifen (S. 182). Das auch sonst in der Bekennenden
Kirche beobachtbare Bestreben, an den Restbeständen
positiven Rechts festzuhalten, um so Lebens- und Betäti-
qungsraum der Kirche zu sichern, war auch der württ. Bekenntnisgemeinschaft
eigen, die es - hierin mit Wurm übereinstimmend
- vermied, die gewiß stark angeschlagenen landeskirchliche
Rechtsposition durch notrechtliche Attacken vollends
zu desavouieren und die württ. Landeskirche angesichts
der bedrohlichen Machinationen der NS-Kirchenpolitik einer gefährlichen
Rechtskrise auszusetzen. Dem LBR schien das theologisch
-kirchliche Leitbild der Sozietät nur eine weitergehende
gefährliche Aufspaltung der Bekennenden Kirche zu fördern,
zumal den BK-Kräften außerhalb Württembergs nicht damit geholfen
war, daß die ohnehin nicht homogene württ. Bekenntnisgemeinschaft
in sich zerbrach. Für die weitgehende Differenziertheit
der kirchlichen Kräfte war es charakteristisch, daß
der LBR bei seinem Bemühen, den Zeugnischarakter und kirchlichen
Orientierungswert der Barmer Theologischen Erklärung
wie der Bekenntnissynode überhaupt von notrechtlichen Konsequenzen
für das eigene Kirchengebiet zu unterscheiden, nicht
nur auf den heftigen Widerspruch der Sozietät stieß, die dieses
Verfahren für theologisch illegitim hielt; der LBR mußte vielmehr
auch die ganz anders geartete Kritik „aus Kreisen des
früheren Liberalismus hinnehmen, dem d'e landeskirchliche Organisation
unter Führung des Landesbischofs als ausreichend zur
Abwehr kirchenfremder Einflüsse und Eingriffe und die theologische
Erklärung von Barmen als ungeeignet zur Bewältigung
der in der Gegenwart gestellten Aufgaben erschien*
(S. 185). Andererseits machte die Sozietät 1937 darauf aufmerksam
, „daß es erstaunlicherweise immer noch Pfarrer gibt, die
meinen, man könne die Wahrheiten von Barmen unterschreiben
und zugleich Mitglied bei den DC sein" (S. 177). Auch dem
Verständnis der kirchlichen „Mitte" dienen Erörterungen des
Verfassers, die sich an die Darstellung des Versuchs, die Neuordnung
der Kirche auf dem Wege über ein Simultaneum mit
den Deutschen Christen vorzunehmen, anschließen. Die alte
These von der Mitte als dem „Ort der Unentschiedenen" wird
nicht strapaziert, vielmehr darauf hingewiesen, daß es unter
den Pfarrern der „Mitte" durchaus „viele Prediger mit einer
klaren und bei gegebenem Anlaß sehr deutlichen Verkündigung
" gegeben habe und daß die „Grenze zwischen Kirche und
Nichtkirche . . . nicht auf der Scheidelinie zwischen der BK
und der Mitte" verlief (S. 280). Schwache und Hilflose seien nicht
nur in der Mitte zu suchen gewesen: .Die Zustimmenden und
die Ablehnenden waren bei einem neuen Bekenntnisfall oft
recht überraschend verteilt" (S. 283). Diese Erkenntnis ließ die
württ. Bekenntnisgemeinschaft offen sein für tragbare Versuche
einer „Frontverbreiterung", wie sie schließlich im Jahre 1942
im „kirchlichen Einigungswerk" Bischof Wurms Gestalt gewannen
.

Der in gefälliger Diktion geschriebene Bericht, der keineswegs
auf die Darstellung dramatischer Ereignisse verzichtet, an
ihnen aber sogleich die Haltung der sehr komplexen Bekenntniskräfte
in Württemberg in ihrem spannungsvollen Gegenüber
und Miteinander in allen Wandlungen dieser entscheidungsreichen
Jahre verdeutlicht, läßt klarere Konturen ebenso wie
feine Nuancen im Geschichtsbild vom Kirchenkampf in dieser

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12