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Ausgabe:

1967

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

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Seite 1

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Mitteln (S. 174) ist damit fallengelassen. Die Trennung von
Wort und Geist erfährt hier gefährliche Konsequenzen, die es
erforderlich machen, sich mit Hilfe anderer Thcologumena von
den Täufergruppen abzugrenzen.

Von seinem Schema aus bekommt Bucer nun auch Raum für
seine Tropologie: „Im Grunde ist die Durchführung der herme-
neutischen Regel denkbar einfach. Man braucht ja nur das wegzunehmen
, was unter die Kategorie des ,externum' fällt (.Ort,
Zeit, Person, Reihenfolge u. dgl.') was also mit der allgemeinen
Tendenz der Frömmigkeit, die den Glauben und die Liebe
im Auge hat, nicht notwendig zusammengehört. Zurück bleibt
dann der .nucleus pietatis', der jede historische Situation in gleicher
Verbindlichkeit betrifft . . . Das letzte Ziel ist immer die'
sachgemäße Erneuerung des Gebotes für die Gegenwart" (S. 180).
Müller sieht in diesem Sachverhalt eine Anlehnung des Humanisten
an die platonischen Kategorien, weil das „Geistliche" im
Sinne Bucers „doch der Idee nicht unähnlich zu sein'' scheint,
„da es sich in bunter Vie'gestaltigkeit mit dem ,externum'
verbinden kann, das man dann nur eben wieder abstreifen
muß, um das ewig Gültige und Verbindliche in der Religion
au erhalten" (S. 181).

So kommt Müller zu dem Schlufj, daß Bucer als dem „Mann
der zweiten Generation" (S. 239) aus Gründen seiner wissenschaftlichen
Vergangenheit ein eklektischer Zug eigen ist (S. 235),
der reformatorisches Schriftprinzip), Prädestination, Humanismus
und auch Spiritualismus auf seine Weise vereinigen
möchte. „Die Eigenart von Bucers Hermeneutik und Exegese
liegt in der Art der Rezeption sowie in der Ausgestaltung der
von Humanismus und Reformation übernommenen Ansätze. Sie
läßt sich dahin zusammenfassen, daß der Straßburger Theologe
von seinem Offenbarungsverständnis aus sowohl die humanistische
als auch die reformatorischc Position verschärft hat"
(S. 242).

An den letzten Satz Müllers mag eine kritische Frage an-
knüjpfen. Bedeutete Verschärfung nach beiden Seiten nicht eben
auch Abbrechen der Spitze, besonders was den reformatorischen
Teil der Problematik angeht? Genügen die aus reformatorischer
Theologie entnommenen Absicherungen zur Verhinderung der
Spiritualismus bei Bucer? Seine Theologie ist nach mehreren
Seiten hin offen; das war ihre Chance und gleichzeitig ihre
Gefahr!

Man könnte sich an wichtigen Stellen noch eingehendere exegetische
Proben bzw. Beweise für die Thesen Müllers wünschen.
Vielleicht sind hier Quellenauszüqe aus Gründen des zu begrenzenden
Buchumfanges fortgefallen, die die Dissertation von
1955 noch geboten hat (s. Vorwort).

Der Verf. weist ausdrücklich darauf hin, dafj er bewufjt auf
die Zitation zeitgenössischer reformatorischer Theologen verzichtet
hat. Das bezieht sich auch auf die Tradition und auf die
humanistischen Lehrer für den Bucerschen Eklektizismus. Die
Konfrontation mit Luther (über gelegentliche quellenmäßig nicht
belegte Hinweise hinaus) könnte für die Optik des theologischen
Ansatzes Bucers Wirkungsvolles beigetragen haben. Schon
eine anmerkungsweise Gegenüberstellung würde manche Profilierung
noch sichtbarer gemacht haben.

Müller hat auf der ganzen Linie den Straßburger Reformator
zu Wort kommen lassen, und das in übersichtlicher, einprägsamer
Weise. Er schickt damit die Rcformationshistoriker
an die Arbeit, diesen Gcspiächsbeitrag zur innerreformatori-
schen Kontroverse aufzunehmen und mit anderen Ausprägun
gen reformatorischer Theologie zu vergleichen. Dafür sei dem
zu früh aus der eigenen Weiterarbeit Abgerufenen herzlich gedankt
!

Berlin Joochim R o g g e

Jedin., Hubert: Wo sah die vortridentinische Kirche die Lehrdifferenzen
mit Luther? (Catholica 21, 1967 S. 85-100).

926

Peters, Albrecht Ulrich: Das Christuszeugnis Luthers (aus:
Jesusbilder in theol. Sicht, hrsg. von Karlheinz Deschner, München
, List Verlag, 1966 S. 261-298).

Stadtland-Neumann, Hiltrud: Evangelische Radikalismen
in der Sicht Calvins. Sein Verständnis der Bergpredigt und der
Aussendungsrede (Matth. 10). Neukirchen: Neukirchen er Verlag
d. Erziehungsvereins 1966. 156 S. 8° = Beiträge z. Geschichte
u. Lehre d. Reformierten Kirche, hrsg. v. P. Jacobs,
W. Kreck, G. W. Locher u. O. Weber, 24. DM 21.80; Lw. DM
23.80.

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Pcschke, Erhard: Studien zur Theologie August Hermann
Franckes. II. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1966]. 224 S. 8°.
Lw. MDN 10,50.

Bereits bei der Besprechung des ersten Bandes (ThLZ 1965,
Sp. 922-25) wurde festgestellt, daß die Untersuchung der Theologie
A. H. Franckes eine wesentliche Lücke schließt; das gilt
sowohl für die Geschichte der Theologie wie auch für die Geschichte
des Pietismus. Während der erste Band weithin auf
Franckes Predigten beruhte, wendet sich der nun vorgelegte
2. Band den akademischen Lehrschriften und Vorlesungen zu.
Es geht um zwei große und eng miteinander verknüpfte Bereiche
: um das Verständnis der Heiligen Schrift (Teil 3,
S. 13-126) sowie um das Studium der Theologie (Teil 4,
S. 127-224). Die große Aktualität beider Problemkreise liegt
auf der Hand. Peschke hat aber der Versuchung widerstanden,
„mit einer gegenwartsnahen Fragestellung und mit modernen
theologischen Begriffen an die Quellen heranzugehen" (S. 5). Er
bevorzugt vielmehr „eine wortgebundene, mit zahlreichen Belegen
versehene Darstellung", um den Leser möglichst nahe an
den Text heranzuführen und eine Überfremdung der Quellen
nach Kräften zu vermeiden" (S. 5). Man wird eindeutig feststellen
müssen, daß der Autor sein Ziel erreicht hat. Wir werden
intensiv hineingeführt in die Texte und die Denkweise
A. H. Franckes. Die Bedeutung seiner Formulierungen für unsere
Gegenwart wird deswegen nicht geringer, wenn sie meist
unausgesprochen bleibt.

Die Erörterungen über die Heilige Schrift geschehen unter
einem zweifachen Gesichtspunkt. Zunächst werden Feststellungen
getroffen „Zur Entwicklung der Hermeneutik" (Teil A,
S. 15-54), denen dann die „Grundzüge der Hermeneutik"
(Teil B, S. 54-126) folgen. Der Autor sieht die Gefahr, daß auf
diese Weise „mancher Gedanke in seinem Gcstaltwandel mehrfach
berührt wird" (S. 14); doch ist es ihm gelungen. „Überschneidungen
der verschiedenen Ideenkomplexe auf das Notwendigste
" zu beschränken (S. 14). Tatsächlich muß man wohl
primär von einer weithin gleichbleibenden Spannung in Franckes
Theologie ausgehen, die dazu noch sekundär mit einer
gewissen historischen Akzentverschiebung einhergeht. Beide Linien
sind von P. behutsam herausgearbeitet worden.

Als erste Quelle zur Entwicklung der Hermeneutik wurde
die Manuductio ad lectionem Scripturae Sacrae von 1693 untersucht
. Sie will kein hermeneutisches Lehrbuch sein, sondern
es handelt sich um Vorlesungen, um „eine erste allgemeine
praktische Anleitung für die Studenten" (S. 15/16). Francke legte
das Schale-Kern-Schema zugrunde. Historische, grammatische
und analytische Arbeit an der Schrift gehören zur Schale, die
exegetische, dogmatische, porismatische und praktische Lektüre
;'agegen zum Bereich des Kerns. „Schale und Kern, sensus lit-
terae und sensus litteralis, außen und innen werden formal im
lutherischen Sinn einander zugeordnet, während das spiritua'i-
stische Element des Schale-Kern-Gedankens dabei ganz zurücktritt
" (S. 32). Auch von subjektiven Voraussetzungen für das
rechte Verständnis der Schrift ist mehrfach die Rede, doch betont
P. die „Tatsache, daß diese subjektive Tendenz durch die
sachlich-objektive Verwendung des Schale-Kern-Gedankens in
der Manuductio überdeckt wird" (S. 33). Uni so deutlicher wird
später die Akzentverschiebung bei Francke erkennbar: „In den

Theologische Litcraturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12