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Ausgabe:

1967

Spalte:

914-917

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lyon, Irénée de

Titel/Untertitel:

Contre les Hérésies ; Livre IV 1967

Rezensent:

Karpp, Heinrich

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durch den Mut zur historischen Rekonstruktion, der jeder exegetischen
Arbeit erst den großen Atem verleiht. P. geht von der
Umformung aus, die der genuin paulinische Leibgedankc im
Epheserbrief durch das Hervortreten neuer Motive (Haupt,
Wachstum, kosmischer Zusammenhang) erfahren hat. Wie ist
diese Umformung zu erklären? Antwort: durch die Auseinandersetzung
mit der in der frühen kleinasiatischen Gnosis beheimateten
Vorstellung vom himmlischen Leib bzw. vom himmlischen
Anthropos, deren älteste literarische Zeugnisse in der
Naassenerpredigt und in einigen hermetischen Traktaten vorliegen
. P. sieht im Verfasser des Eph. folgerichtig einen „schöpferischen
Paulusschüler" jüdischer Herkunft, der in den achtziger
Jahren in kritischer Weise an Vorstellungen und Begriffe einer
judaistisch gefärbten gnostischen Mysterientheologic anknüpft.

Nachdem P. den geschichtlichen Ort des Eph. in großen Linien
gekennzeichnet hat (11-32) - die gnostische Bewegung
wird als „unterbewußter Protest gegen die soziale und politische
Abhängigkeit" verstanden -, skizziert er den gegenwärtigen
Stand der Debatte um den religionsgeschichtlichen Hintergrund
des Leib-Christi-Motivs (34-40). P. folgt jenen Interpreten, die
den jüdischen Anteil an der Entstehung des vorchristlichen,
wenngleich erst späthellenistischen Anthropos-Mythus betonen.
Die Bestreitung jeder vorchristlichen Erlösergestalt wird mit
guten Gründen abgelehnt. Da sich nun die Eigenart des Leib-
Glieder-Gedankens im Eph. weder von Philo noch allein von
Paulus her erklären läßt, bietet sich in der Tat als Hintergrund
die gnostische Anthropos-Lehre der sog. G.-Schicht an,
deren Wurzeln nach P. bis in das erste christliche Jahrhundert
zurückreichen und die wahrscheinlich die Eph. 4,14 und 5,12ff.
angedeutete Irrlehre wesentlich geprägt hat. Der Verfasser des
Eph. hat den gnostischen Gedanken des himmlischen Leibes
ekklesiologisch-eschatologisch umgestaltet und damit den bereits
von Paulus aufgegriffenen hellenistischen Organismus-Gedanken
schöpferisch weiterentwickelt. Die Frage, wie weit er dabei
bereits von christlicher Tradition abhängig sein könnte,
wird leider trotz der erwähnten Parallele Kol. 2,19 nicht verfolgt
. Sicher llefje sich hier noch differenzieren.

Von besonderem Interesse ist sodann der Versuch, die gnostische
Gemeindefrömmigkeit, der sich der Eph. konfrontiert
sieht, durch die Rekonstruktion sog. „gnostischer Mysterien"
wcitcraufzuhellen (82-124). Das Fehlen direkter Polemik innerhalb
des Briefes verleiht allerdings den betr. Ausführungen
einen noch hypothetischeren Charakter als denen über den Einfluß
des Anthropos-Mythus. Immerhin läßt das unbestreitbare
Vorhandensein von Mysterienelementen schon in der ältesten
gnostischen Schicht die Existenz „gnostischer Mysterien" als
durchaus naheliegend erscheinen. An kultischen Elementen vermutet
P. hier asketische und gesetzliche Vorschriften, Rezitation
geheimer Oberlieferung, einen Weihevorgang im Rahmen eines
kultischen Mahles (Berauschung mit Wein, Erweckung in der
Ekstase), Paränese, hymnisches Dankopfei - insgesamt ein
Kult, der arm an Anschauung, dafür aber wesentlich auf Laien
zugeschnitten ist. P. bemüht sich nicht ohne Erfolg, Spuren der
Auseinandersetzung mit diesen gnostischen Mysterien innerhalb
des Eph. wiederzufinden. Hinter den hypothetischen Aufstellungen
steht die richtige Einsicht, daß alles Reden von „Gnosis"
nur dann gerechtfertigt ist, wenn es auch gelingt, ihre soziologische
Basis sichtbar zu machen.

Den Abschluß bilden einige prinzipielle Ausführungen zum
Thema „Der christliche Glaube und die Gnosis". Dem gnostischen
Individualismus und Spiritualismus wird die kosmische
Dimension der Christus-Botschaft entgegengestellt, die in der
Sendung der Kirche zu aktiver geschichtlicher Gestaltung
drängt (125-131). - Insgesamt zeigt die gehaltvolle Arbeit
einmal mehr, daß christliches Theologisieren seine Lebendigkeit
nur im gleichzeitigen Gespräch mit Tradition und Situation erweisen
kann.

Leipiig OOnter Haufe

Ambrozic, Aloysius M.i Mark'e Concept of the Parable (CBQ

29, 1967 S. 220-227).
Arndt, Otfried: Zahlenmystik bei Philo - Spielerei oder

Schriftauslequng (ZRGG 19, 1967 S. 167-171).

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KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Irenee de Lyon: Contre les Heresies. Livre IV. Edition
critique d'apres les versions armenienne et latine, sous la
direction de A. Rousseau, avec la collaboration de B.
Hemmerdinger, L. Doutreleau, Ch. Mercier. I: Introduction,
Notes justificatives, Tables. II: Texte et Traduction. Paris: Les
Editions du Cerf 1965. 995 S. 8° = Sources Chretiennes, 100,
1 u. 2. ffr. 96.-.

Für die Kirchen- und Thcologiegeschichte des 2. Jahrhunderts
ist das Werk des Irenäus „Gegen die Häretiker" eine sehr
wichtige Quelle. Seine Benutzung ist aber dadurch erschwert,
daß es größtenteils nur durch alte Übersetzungen und Zitate
erhalten ist. Im Jahre 1952 hatte F. Sagnard, O. P., begonnen,
eine moderne kritische Ausgabe des Werkes zu veröffentlichen.
Er ließ den polemischen Teil, d. h. die Bücher MI, zunächst
beiseite und begann mit Buch III. Dessen Ausgabe (= Sources
Chretiennes 34) ist in ThLZ 1954, Nr. 7/8 besprochen worden.
Sagnard hatte auch die Bearbeitung des vierten Buches schon
weit gefördert, als er im Herbst 1957 starb. Es erwies sich als
unmöglich, seine offenbar recht persönlich geprägte Arbeit durch
einen anderen vollenden zu lassen. Eine Gruppe von vier Mitarbeitern
begann die Arbeit unter der Leitung von Adelin Rousseau
von vorn. Ihre Ausgabe des vierten Buches setzt die des
dritten Buches nicht geradlinig fort; vielmehr weichen Anlage
und Ausführung von der Arbeit Sagnards in vielem ab.

Diese Abweichung hat ihre guten Gründe. Die beiden letzten
Bücher Adv. haereses (IV-V) haben vor den anderen den Vorzug
, daß sie nicht nur in der alten lateinischen Übersetzung
erhalten sind, sondern auch in einer armenischen, die erst 1904
entdeckt worden ist. Da beide Übersetzungen vollständig und
sehr wörtlich sind und nicht voneinander abhängen, ergeben
sich für eine kritische Ausgabe der Bücher IV und V ganz andere
Möglichkeiten als für die anderen Bücher. Man kann nicht
nur die eine Übersetzung an der anderen auf die Richtigkeit
ihrer eigenen handschriftlichen Überlieferung nachprüfen, sondern
hat auch bessere Voraussetzungen, um hinter die Übersetzungen
auf das griechische Original selber zurückzuschließen.
Als Material stehen außer den zwei vollständigen Übersetzungen
ins Lateinische und Armenische noch 28 griechische Fragmente
zur Verfügung, die etwa 7 % des Textes ausmachen, und 4
kurze syrische Fragmente. Obwohl diese Bruchstücke aus der
indirekten Überlieferung der Katenen und Florilegien stammen,
in der sie mancherlei naheliegenden Veränderungen ausgesetzt
waren, sind sie doch von großer Bedeutung, wenn Abweichungen
der lateinischen und armenischen Übersetzung voneinander
sich nicht ohne weiteres als Fehler in der Überlieferung
erkennen lassen.

Aus diesem Zustand der vorhandenen Texte ergab sich die
Aufgabe der Herausgeber. Sie haben zwei Schritte in ihr streng
unterschieden: die kritische Ausgabe jedes einzelnen Zweiges
der Überlieferung für sich und die Auswertung für den Versuch
, das griechische Original wiederherzustellen. Diese richtige
Einsicht entspringt der strengen Methode, die für diese Ausgabe
bezeichnend ist und die wohl über Sagnard hinausgeht.

Eine unerwünschte äußere Folge der vorsichtigen und gründlichen
Arbeitsweise ist freilich der große Umfang der Ausgabe.
Ein Buch, für dessen deutsche Übersetzung in der Bibliothek
der Kirchenväter 150 Seiten genügen, beansprucht in der neuen
Ausgabe zwei Teilbände mit zusammen fast 1000 Seiten! Und
dabei hat man sich viel strenger auf die philologische Aufgabe
beschränkt als Sagnard, der in seiner Einführung zum dritten
Buche und in den Erläuterungen auch geschichtliche und theologische
Fragen behandelt hat.

Als Grundlage der Ausgabe dient nach wie vor die alte lateinische
Übersetzung. Während Sagnard diese noch der Zeit
des Irenäus zuweisen wollte, rechnen die Herausgeber jetzt mit
der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, was mehr einleuchtet.
Fortschritte bringt ihre Ausgabe nicht erst durch Heranziehung
der armenischen Übersetzung und der griechischen und syri-

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12