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Ausgabe:

1967

Spalte:

912-913

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pokorný, Petr

Titel/Untertitel:

Der Epheserbrief und die Gnosis 1967

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12

912

indessen zu Recht, daß nicht die Mannigfaltigkeit, sondern die
Übereinstimmung mit dem Schema das eigentlich Bemerkenswerte
sei (S. 70). Darüber hinaus zeigt er, daß bereits in verschiedenen
Texten des ATs die unterschiedlichen Variationen des
Grundschemas vorgebildet sind.

Sodann unterzieht der Verf. zwei spezielle Motive des „Schemas
", das Erdbeben-Motiv und das des Aufruhrs und Angriffs
der Heiden, einer genaueren Prüfung um darzutun, daß die mit
dem „pattern" überkommenen Motive im einzelnen entfaltet
und aktualisiert werden in interpretierender Aufnahme alttesta-
mentlicher Aussagen, die in der Regel mittels Motivassosiation
und über Stichworte gefunden und miteinander verbunden werden
. Schließlich analysiert er eine Reihe seiner Perikopen insgesamt
unter dem Gesichtspunkt, wie in ihnen das (relativ fest
vorgegebene) Schema der Endereignisse entfaltet wird in direkter
Anlehnung an Aussagen des Alten Testaments, in einer Art
Midrasch. Nur für IV. Esra (6, 13-28) meint H., daß die Ausführung
des apokalyptischen Schemas primär nicht vom AT
her gestaltet ist, sondern von einer selbständig gewordenen
apokalyptischen Tradition, die allerdings ihrerseits wieder überlagert
ist mit einer, Schicht neu aus dem AT gewonnenen Materials
(S. 136 f.).

In Teil II wendet H. sich dem neutestamentlichen Text zu
und erprobt an ihm die in Teil I befolgte Methode. So untersucht
er in Kap. V (S. 145-177) die eschatologische Rede bei
Mk und Mt in ihrer Beziehung zum AT mit dem Ergebnis, daß
die wesentlichen Teile der Rede, nämlich Mk 13, 5b-8. 14-27 /
Mt 24, 4b-8. 15-25. 29-31, „have as their foundation an ex-
position or meditation based on texts in Daniel about the last
things, especially 7,8-27; 8,9-26; 9,24-27; 11,21-12,13 and to
some extent 2,31-45" (S. 167). Dafj diese Teile gleichwohl nicht
jüdischen Ursprungs sind, ergibt sich für H. vornehmlich daraus
, daß sie von ihrem Ursprung her mit paränetischen Elementen
fest verbunden sind, ein Tatbestand, der in jüdischapokalyptischen
Texten ungewöhnlich („uncommon") sei. Nur
einige Details dieser Partien werden nach H. im Laufe der
Uberlieferung hinzugefügt worden sein.

In Kap. VI (S. 178-205) bemüht sich H. nachzuweisen, dafj
PI in I. und II. Thess. sich bei seinen eschatologischen Belehrungen
auf eine iForm dieser ^apokalyptischen Rede beruft,
die für ihn autoritative nagädooig ist, die auf Jesus selbst zurückgeht
(I. Thess. 4,15), und die er bereits bei seiner Missionspredigt
vorgetragen hat. So muß schon einige Jahre vor
50 wenigstens ein gewichtiger Teil der Rede als Jesus-Rede
bekannt gewesen sein.

Kap. VTI (S. 206-252) versucht, auf Grund der exegetischen
Ergebnisse die Linien des Werdens der Rede von ihrer Entstehung
bis zu ihrer Gestaltung in den Evangelien nachzuzeichnen
und geschichtlich verständlich zu machen. Ihr „midraschi-
seher Kern* liegt vor in Mk 13, 5b-S. 12-16.19-22.24-27
(über die Zugehörigkeit von 8b u. 15a sind freilich Zweifel
möglich, 6 wird ursprünglich einen anderen Wortlaut gehabt
haben). „This ,midrash' had its Sitz im Leben in early Christian
teaching" (S. 236). Jedoch war er nicht starr im Wortlaut
festgelegt, sondern wurde der jeweiligen Situation der Gemeinde
entsprechend angewendet. Zu einem frühen Zeitpunkt
sind ihm einige Jesus-Logien über die Wachsamkeit angesichts
des nahen Endes angefügt worden. Ferner ist die Antichrist-
Erwartung aktualisiert sowie die Voraussage der Verfolgung
der Gemeinde (Mk 13, 9-11) aus der Erfahrung der eigenen
Geschichte eingefügt worden. In der lukanischen Form, die
nach H. z. T. (ab V. 12) auf einer besonderen, von dem endgültigen
Mk-Text unabhängigen, aber sekundären Version des
„Midrasch" beruht, ist die Enderwartung verbunden mit dem
Fall von Jerusalem. Die innere Verbindung zwischen der apokalyptischen
Erwartung und dem Fall des Tempels bezeugt
aber auch der Rahmen bei Mk, 13, 1-4.28-32. Die endgültige
Mt-Form weist nach H. Spuren der Entstehung im schriftgelehrten
Milieu auf; die endgültige Lk-Form schiebt das Ende
hinaus.

Das Buch wird abgeschlossen durch ein sehr ausführliches
Literaturverzeichnis (S. 253-286; die Anm. weisen aus, daß H.
wirklich eine immense Literatur verarbeitet hat), ein Autorenregister
(S. 287-291) und ein Stellenregister (S. 292-299; NT-
Stellen nur in Auswahl).

Läßt man sich auf die Methode von H. ein, so ist seinen
Ausführungen Stringenz nicht abzusprechen. Er ist sich darüber
im klaren, daß er seine Texte analysiert „by methods which
are in part new" (S. 14). Das Neue an seinem methodischen
Vorgehen besteht darin, daß er nicht nur direkte Anführungen
aus dem AT und einzelne oder auch kombinierte Anspielungen
auf Aussagen des ATs von den Voraussetzungen der zeitgenössischen
jüdischen Exegese her verstehen will, sondern daß
er in sich geschlossene Aussagenzusammenhänge, denen ein
relativ festes „pattern" zugrundeliegt, in ihrer Einzelgestaltung
als Midrasch zu alttestamentlichen Aussagen erklärt, wobei darüberhinaus
auch das „pattern" aus dem AT gewonnen sein soll.
Nun ist es natürlich unbestreitbar, daß die apokalyptischen
Texte stark von alttestamentlicher Terminologie bestimmt sind
und auch ganze Aussagenzusammenhänge des ATs interpretierend
in ihnen aufgenommen werden; es ist gut, daß H. darauf
nachdrücklich aufmerksam macht und damit die gelegentlich
übersehene oder unterschätzte enge Verbindung zwischen der
apokalyptischen Literatur und dem AT sichtbar werden läßt.
Indessen ist doch zu dem Vorgehen von H. zu fragen, ob
wirklich alle alttestamentlichen Anspielungen in diesen Texten
exegetisch (im Sinne der zeitgenössischen jüdischen Exegese)
aufeinander bezogen sind, oder ob es sich dabei nicht weithin
einerseits um viel losere Assoziationen, andererseits aber um
traditionelle apokalyptische Ausdrucksweisen handelt, deren
Herkunft den einzelnen Verf. gar nicht mehr bewußt gewesen
zu sein braucht (wie H. es für IV. Esra z. T. zugesteht). Vollends
bedenklich ist aber, wenn man mit Hilfe der Annahme,
einem apokalyptischen Text läge ein zusammenhängender Midrasch
zugrunde, literarkritische Urteile begründet oder gar
für verschiedene Texte eine gemeinsame Abhängigkeit postuliert
, weil sie verwandte Midraschim zu den gleichen Texten
des ATs sein sollen, wie H. es für Mk 13 par und I.II.Thess.
versucht. Dafür dürfte die angewandte Methode denn doch
wohl (noch) nicht sicher genug sein. Jedenfalls kann man sich
des Eindrucks nicht erwehren, daß das Auffinden von alttestamentlichen
Bezügen und ihre Einordnung in einen „exegetischen
" Zusammenhang weithin nur Möglichkeiten aufzeigt und
gelegentlich sogar willkürlich ist. Ich notiere als ein Beispiel,
das freilich recht weit in diese Richtung geht (S. 163 f.):
Mk 13, 19.20 soll durchgehend von Dan 12,1 abhängig sein;
die Wendung am Anfang von Mk 13,20 erklärt sich aus der
Lesung von n» 1U Dan 12,1 als ym. „We then have a sen-
tence which reads VPHn PJfl SHIJ. which means -. ,onc who
cuts short that time'! If we so wish we may conjure up a
subject and an article from nvrro and get; "n "n smsri (D f*P
Yahweh is he who shortens that time" (S. 164). Möglich ist
natürlich alles.

Man wird abwarten müssen, ob die weitere Arbeit auf
diesem methodischen Wege, der ja bei der Untersuchung der
alttestamentlichen Zitate z. B. durchaus seine Fruchtbarkeit bewiesen
hat, solche Kriterien entwickeln wiröj, 'daß wirklich
sichere oder doch genügend wahrscheinliche Ergebnisse damit
erzielt werden können. Allerdings wird man H. und der Schule,
der er verpflichtet ist, nicht bestreiten können, daß auch die
Formgeschichte nicht nur mit sicheren Voraussetzungen arbeitet.

Greifswald Traugott H o I t z

Pokorny, Petr: Der Epheserbrief und die Gnosis. Die Bedeutung
des Haupt-Glieder-Gedankens in der entstehenden Kirche.
Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1965]. 153 S. 8°. Kart.
MDN 7.80.

Der Verfasser bezeichnet die vorliegende Studie selbst als
„Versuch, der vor allem dem weiteren Gespräch dienen soll".
Es muß festgestellt werden, daß dieser Versuch ernsthafte Beachtung
verdient. Er besticht ebenso durch präzise Fragestellung
, methodische Klarheit und treffende Formulierungen wie