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Ausgabe:

1967

Spalte:

895-897

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Martini, Carlo Maria

Titel/Untertitel:

Il problema della recensionalità del codice B alla luce del papiro Bodmer XIV 1967

Rezensent:

Treu, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 12

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mann, Aubcrlen, Dorner sind zu nennen. (Unangenehm schroff
das Urteil des freilich erst Dreiundzwanzigjährigen über
Schleiermachcrs „Reden": „ein tief unchristliches Buch", Anm. 91;
auch später ist ihm Schl.s Theologie „ungenießbar", S. 41).
Teilweise haben sie K. bleibende Anregungen vermittelt, teilweise
hat sich K. in der Auseinandersetzung mit ihnen seinen
eigenen Standpunkt errungen, den S. in der Wendung zur
»Soterologie" und deren für K. charakteristischen Ausbau sieht.
Leider geht S. nicht auf die doch immerhin recht merkwürdige
Tatsache ein, dafj Tholuck in den vorgelegten Zitaten kaum eine
Rolle spielt. Demgegenüber kommt gut zum Ausdruck die starke
Wirkung Müllers auf K.s Entwicklung. Plastisch gibt K. in
einem Brief seinen Eindruck so wieder: „Tholuck der König
von Halle . . . Müller die Seele der Fakultät" (S. 37). Er bezeichnet
Müller als seinen besten Lehrer, sich selbst als „Gne-
sio-Julianer" (ebd.).

Methodisch ist die Arbeit straff angelegt, wobei S.s Unternehmen
dadurch erleichtert wurde, dafj sich K.s Beschäftigung
mit den genannten Hauptproblemen - jedenfalls nach den von
S. vorgelegten Belegen - in einem ziemlich exakten Nacheinander
auf die äußerlichen Perioden und Hauptstationen seines
Lebensganges bis 1869 verteilen läßt. Die handschriftlichen
Texte sind durchweg lückenlos und ohne Lesartenzweifel wiedergegeben
.

Lediglich aus hallescher Lokalkenntnis heraus sei ein geringfügiges
Verlesen berichtigt: Julius Müller ist nicht bei der
Fahrt „auf der Prisnitz" ins Wasser gestürzt, sondern beim
Ubersetzen „auf die Peißnitz", eine Saaleinsel; Anm. 68. Weiter
ist zu verbessern: S. 114 Brief an Witte vom 23. (nicht 29.) 12.,
vgl. S. 117 u. 118; Anm. 522 greift zurück auf Anm. 17 (nicht
13); Wilhelm Herrmann natürlich mit Doppel-r (Anm. 465).

S. betont, daß K. eine zu vielschichtige Größe darstelle, als
daß man ihn noch länger pauschal unter die Vermittlungstheologen
oder unter die Biblizisten einreihen dürfe. Gegenüber
der das ausgehende 19. Jhdt. beherrschenden Ritschlschen
Schule habe K. „eine vergessene theologische Richtung" (Überschrift
des Schlußkapitels S. 159) verkörpert, in der Versöhnung
und Rechtfertigung, Bibel und Christusglaube eine eigenständige
Verbindung eingingen. Angesichts heutiger Fragestellungen
gewinne aber auch K.s Ansatz wieder an Bedeutung.

Häufig verweist S. bei Personen und Begriffen auf die einschlägigen
Artikel in der 3. Auflage der RE und macht so darauf
aufmerksam, wie gewinnreich für die theologiegeschichtliche
Orientierung deren Lektüre auch heute sein kann. In
Anm. 46 seiner Einleitung schreibt S., es wäre reizvoll, den
Nachlaß K.s auch, noch unter anderen Gesichtspunkten zu untersuchen
, z. B. nach K.s Stellung zu den kirchenpolitischen, sozialen
und politischen Fragen seiner Zeit, wozu die Briefe eine
Fülle von Material böten. Möchte dieser sein Hinweis als Ansporn
für eine solch sicherlich lohnende Aufgabe dienen, und
möchte diese Aufgabe genau so sauber und gediegen durchgeführt
werden wie in S.s Arbeit.

Fischbnch üb. Dresden Bernt Satlow

BIBEL WISSENSCHAFT

Martini, Carlo M., S. L: II problema della recensionalitä del
codice B alla luce del papiro Bodmer XIV. Roma: Pontificio
Istituto Biblico 1966. XXIV, 192 S., gr. 8U = Analecta Biblica.
Investigationes scientificae in res biblicas 26. Lire 2.850.

Martinis Buch sollte jeder lesen, der sich für die Textkritik
des Neuen Testaments interessiert. Aber auch dem Fernerstehenden
kann es empfohlen werden. Es bietet in einer vorbildlich
klaren und durchdachten Methodik eine ebenso faßliche
wie gründliche Einführung in textkritisches Arbeiten. Es ist auf
der Höhe gegenwärtiger Forschung. Es führt zu Ergebnissen,
die zum Nachdenken zwingen. Wenn sie sich durchsetzen, kann
es zum Anfang eines neuen Kapitels in der Geschichte der neu-
testamentlichen Textkritik werden.

Die Folgerungen aus Martinis Untersuchung: B, der Codex

Vaticanus, trotz aller Papyrusfunde noch immer unsere wichtigste
Bibelhandschrift, bietet nicht eine überarbeitete Textform
von der Wende vom 3. zum 4. Jh., sonden einen unrezensierten
Text mindestens vom Ende des 2. Jh. Zu diesem Ergebnis führt
der Vergleich von B mit dem Papyrus Bodmer XIV des Lukas-
Evangeliums (P75), der um 200 geschrieben wurde. Die nahe
Verwandtschaft beider Handschriften war schon nach der Erstpublikation
durch den verewigten V. Martin und R. Kasser im
Jahre 1961 bemerkt worden. Die detaillierte Studie M.s zeigt
nun, daß B. nicht direkt von P75 herzuleiten ist, beide aber
einen gemeinsamen Archetyp haben müssen, mit dem wir also
noch hinter P7"' zurück und damit ins 2. Jh. kommen. Vor allem
ergibt sich aber, daß die Unterschiede zwischen B und P7R von
zufälliger und sporadischer Art sind, wie sie sich im Laufe der
Weitergabe der Texte ganz natürlich ergeben, keinesfalls aber
die Tätigkeit eines systematisch arbeilenden Editors bezeugen.
Damit entfällt der Begriff der .Rezension', ob man sich darunter
nun einen stufenweisen Überarbeitungsprozeß vorstellt oder das
Wirken einer einzelnen Persönlichkeit wie des Hesychius, nach
dem Soden seinen ,H-Text' benannt hat. Denn in P75 haben wir
ja grundsätzlich denselben Text aus einer Zeit, die vor Origenes
und damit vor aller uns noch faßbaren gelehrten Arbeit am
Bibeltext liegt. Damit sind wir natürlich noch nicht beim Urtext
- M. betont das mit Recht -, aber zumindest zeitlich gesehen
sind wir ihm um die Hälfte nähergerückt, und sachlich
brauchen wir nicht mehr damit zu rechnen, daß schon die .älteste
erreichbare Textgestalt', um Sodens zugleich bescheidenen
und stolzen Titel aufzunehmen, uns nur in einer systematischen
Überarbeitung vorliegt. An P75 bestätigt sich allerdings zugleich
eine Erkenntnis, die die klassische Philologie in zunehmender
Klarheit aus den Papvri profaner Autoren gewonnen hat, daß
nämlich die wirklich gewichtigen Textvarianten sehr alt zu sein
pflegen. Das bedeutet aber, daß wir ihre Qualität durch historisch
-genealogische Eliminierung der sekundären Lesarten letztlich
nicht zureichend bestimmen können, sondern auf das von
G. D. Kilpatrick befürwortete Abwägen jeder einzelnen Lesart
auf ihr spezifisches Gewicht zurückgreifen müssen, trotz der
bedenkenswerten Einwände, die M. gegen einen Skeptizismus
vorbringt, der die Textgeschichte vernachlässigt. Hier wie so oft
kommt es nicht auf das Ausspielen einer Methode gegen die
andere an, sondern auf die kombinierte Anwendung aller Methoden
unter ständiger Abwägung ihrer Vorzüge und Grenzen.

Das Verdienst von M.s Arbeit liegt zu einem großen Teil
darin, daß er sich eine prägnant umgrenzte Frage stellt, sie
systematisch von allen Seiten hc beleuchtet und dabei sich und
dem Leser stets Rechenschaft gibt, welche Bedeutung die jeweilige
Teilantwort im Rahmen des Ganzen hat. So ist es nicht
nur belehrend, sondern auch ein Vergnügen, seinem Weg zu
folgen.

Nach einer kurzen Einführung und einer vorzüglichen Spe-i
zialbibliographie gibt Kap. I den hislorischen Hintergrund: Codex
B, die wechselvolle Geschichte seiner Kollationen und Editionen
(wir erfahren, daß eine neue Ausgabe in Farbdruck vorbereitet
wird) und seiner Beurteilung bis, bei und nach West-
cott und Hort, bis hin zu den Reaktionen auf die Veröffentlichung
von P7r'. Hervorzuheben ist hier die klare Charakterisierung
dessen, was Westcott und Hort unter .neutralem' Text
verstanden: nicht eine höhere Instanz über den Parteien, sondern
ein Text ohne erkennbare spezifische Bearbeitung - und
M.s eigenes Resultat ist praktisch eine Rückkehr zu dieser Position
auf einer höheren Ebene, auch wenn er das selbst nicht so
ausdrücklich formuliert. Überhaupt ist Kap. I eine Geschichte
der neutestamentlichen Textforschung in nuce, die zugleich in
die allgemeine Problematik und in die aktuelle Einzelarbcit
einführt. Kap. II stellt dann P. Bodmer XIV vor, gibt eine Gesamtkollation
mit B (diese Liste ist mit den 9 weiteren in
einem praktischen Anhang zusammengefaßt) und scheidet gleich
die offenkundigen Versehen von P75 wie von B aus, da sie sich
für den Vergleich als belanglos erweisen. Sodann werden die
Korrekturen in P75 untersucht: sie tendieren bemerkenswert
stark nach B hin. Die allgemeine Bewertung der Kollation zei-