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Ausgabe:

1967

Spalte:

873-874

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pfeffer, Karl Heinz

Titel/Untertitel:

Welt im Umbruch 1967

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Seite 1

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Pfeffer, Karl Heinz i Welt im Umbruch. Gesellschaftliche und
geistige Probleme in den Entwicklungsländern. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1966]. 258 S. gr. 8° —
Missionswissenschaftl. Forschungen, hrsg. v. d. Deutschen Gesellschaft
f. Missionswissenschaft, 4. Lw. DM 24.-.
In einem Sektionsbericht der Weltkonferenz „Kirche und Gesellschaft
" Genf Juli 1966 steht der Satz: „Die Sozialwissenschaften
und andere auf den Menschen ausgerichtete Wissenschaften
können der um Normen bemühten Theologie deshalb helfen,
weil Theologie in der Bibel und in der kirchlichen Tradition eine
auf das konkrete Sein des Menschen gerichtete Prophetie ist"
(zit. nach ÖPD Nr. 24/66 S. 9). Man wird über die hier gegebene
Definition von Theologie diskutieren können. Aber es lohnt sich,
das Buch des Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlers K. H. Pfeffer
als eine Hilfe für die Theologie anzunehmen. So ist es zweifellos
auch gemeint. Schon allein darin, aber natürlich auch in vielen
Einzelheiten - z. B. hinsichtlich seines Erscheinens kurz
vorher - steht es in engster Beziehung zu der genannten Welt-
konferenz.

Mit dem Untertitel zeigt der Verfasser an, da5 er nicht den
Anspruch erhebt, einen vollständigen Abri5 der Probleme des
„raschen sozialen Umbruchs" in den sogenannten „Entwicklungsländern
" zu geben. Trotzdem könnte man sein Werk, wenn so
etwas denkbar wäre, ein Lehrbuch des Umbruchs nennen. Denn
es ist ihm gelungen, die große Fülle und Mannigfaltigkeit der
Erscheinungen und Probleme in eine überzeugende und klare
Systematik zu bringen, ohne ihnen Gewalt anzutun. Bereits ein
Blick in das Inhaltsverzeichnis genügt, um den Gedankengang
und die Arbeitsmethode zu erkennen. In der Blickrichtung von
außen nach innen werden der politische, wirtschaftliche, technische
, soziale und der geistige und geistliche Umbruch in dieser
Reihenfolge - jeweils in vier Unterteilen - abgehandelt. Dabei
arbeitet Pfeffer vorwiegend phänomenologisch und historisch,
ohne die Frage nach den jeweiligen Quellen zu übersehen. Ihm
steht aus vielen Reisen und Forschungen eine umfassende Kenntnis
von Details und Entwicklungszusammenhängen zur Verfügung
, die vermutlich nicht sehr viele Leute anzubieten haben.
Darum ist das Buch an einigen Stellen geradezu aufregend. Es
tut wohl, daß sich der Verfasser sehr von vorschnellen Gencrali-
sierungen hütet und mit Urteilen verhältnismäßig zurückhaltend
ist. Er vermittelt eine globale Schau des Umbruchs, in der sich
jeder beteiligt weiß. Denn was heute in Asien, Afrika und Lateinamerika
geschieht, den Erdteilen, die man normalerweise als
die Kontinente der Entwicklungsländer bezeichnet, hat viele Wurzeln
, viele Parallelen und viele Auswirkungen, auch in Europa
und Amerika.

Eben das ist nach Ansicht des Verfassers vielen Christen noch
nicht oft genug gesagt worden. Als Christ fühlt er sich dem
Zeugnis der Kirchen und der Christen in allen Ländern verpflichtet
. Eine globale Schau des Umbruchs und das Wissen um In-
terdependenz der Menschen aller Erdteile in den politischen,
wirtschaftlichen, technischen, sozialen und geistigen, sowie geistlichen
Entwicklungen unserer Zeit sollen dazu helfen, das Zeugnis
neu zu formulieren, es in neuen Zusammenhängen zu sehen
und zu praktizieren oder gar - und das wird von Pfeffer mehrfach
herausgestellt - bußfertig umzudenken, um neue Wege und
Aufgaben der Christenheit zu entdecken, die ihr vor die Füße
gelegt sind. „Es ist die Aufgabe der Christen, die neue Lage, die
Situation des radikalen sozialen Umbruchs, .konkret' zu überdenken
" (S. 18). Wie das im einzelnen geschehen soll, wird jeweils
am Schluß eines Abschnittes ausgeführt.

Im VI. Kapitel des Buches werden sehr praktische Vorschläge
gemacht. Da wird von öffentlichen Erklärungen, sozialen und
diakonischen Einsätzen der Christen und ihrem missionarischen
Handeln gesprochen. Man kann das nur mit Freude lesen und
kräftig unterstreichen, selbst wenn man nur oder gerade wenn
man nur eine junge Kirche mit eigenen Augen gesehen hat.

Es kann nur im Sinne dieses Umdenkungsprozesses sein,
wenn man die Ausführungen Pfeffers nun aber auch daraufhin
befragt, wo ihnen in besonderer Weise theologische Bedeutsamkeit
beizumessen ist. Das muß freilich sehr vorsichtig geschehen.
Aber an einigen Stellen wird man aufmerksam. Wenn Pfeffer
zum Beispiel die Säkularisierung nur als Möglichkeit ansehen

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möchte, die „den Weg zur Wahrheit öffnen helfen kann" (S. 209),
so hat er sich damit bewußt gegen alle Versuche gewendet, den
Prozeß der Säkularisierung des Lebens in den „Entwicklungsländern
" etwa in einen Kausalzusammenhang mit der christlichen
Verkündigung zu bringen, wie es van Leeuwen (The Christianity
in the World History) und andere tun. Pfeffer betrachtet ihn als
ein wertfreies Phänomen. Das ist zu begrüßen, nachdem wir
allzu lange an einer Haltung des religiösen Antisäkularismus
festgehalten haben. Aber muß man die Säkularisierung im Gegensatz
zu den Religionen Asiens nicht doch etwas differenzierter
sehen? Die Annahme, als sei der Kampf der Weltreligionen
gegen die Säkularisierung im Grunde schon zu gunsten der Säkularisierung
entschieden und das endgültige Ergebnis nur noch
eine Frage der Zeit (das die Tendenz auf S. 200 ff), wird von
manchem anderen Kenner der Situation bestritten. Was richtig
ist, wird man schwerlich jetzt schon entscheiden können. Aber
für die Christen bleibt doch wohl die Frage, ob sie sich einfach
nur auf die Seite der Säkularisierung stellen sollen oder ob ihr
Standpunkt gegenüber den nichtchristlichen Religionen nicht doch
noch anders definiert werden muß. Wahrscheinlich hat Pfeffer
nicht gemeint, daß christlicher Glaube und Säkularisierung einfach
Bundesgenossen sein sollten. Aber das Mißverständnis sollte
an dieser Stelle ausdrücklich abgewehrt sein.

Andererseits gilt es in diesem Zusammenhang, eine andere
Aussage des Buches zu beachten. Vorurteilsfreie Sicht der Phänomene
unserer Zeit und die nüchterne, realistische Einschätzung
der Entwicklungen und der Position der Christen in ihnen sowie
die historische Betrachtungsweise des Umbruchs in seiner ganzen
Vielfalt fordern eine Überprüfung des traditionellen Denkens
über die nichtchristlichen Religionen. Was Walter Freytag
und Hendrik Kraemer mit anderen vom Standort der dialektischen
Theologie her gefordert haben, ist die Konsequenz der
Betrachtungen und Ausführungen des Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlers
„Im Umbruch der Gegenwart erlebt der Mensch die Not der
Geschichte, und hier ist der Christ mit anderen solidarisch. Diese
Solidarität bezieht sich freilich ncht auf einen theologischen Synkretismus
oder auf eine labile Koexistenz, sondern auf eine echte
Identifizierung der fremden Not mit der eigenen. Man sollte
sich in seiner historischen Kapsel des eigenen Heils weniger
sicher sein und den anderen nicht im Brustton der Überzeugung,
sondern mit der Demut des Apostels Paulus (Rom 2, 12-14) ge-
genübc-rtreten, vielmehr sich mit ihnen zusammenstellen ... Das
Zeitalter der Mission ist dann keineswegs zu Ende, sondern es
beginnt erst. Die Mission erfolgt dann nicht von Europa und
Nordamerika nach Afrika, Asien und Lateinamerika, nicht von
den historischen Kirchen und ihren Teilorganisationen an die
Ungläubigen, nicht von den Wahrheitsbesitzern an die Unwissenden
, sondern vom Evangelium an die ganze Welt, der Religionen
einschließlich des historischen Christentums. Angesichts des Umbruchs
der Welt sind Kirchen und Gemeinden, Geistliche und
Laien aufgerufen, diesen Missionsauftrag - nicht vom „Wir"
zum „Euch", sondern vom Evangelium zu uns allen - ernst zu
nehmen und sich ihm unterzuordnen" (S. 251).

Die Grundtendenz des Buches ist ausgesprochen optimistisch,
obwohl dem Verfasser sehr wohl bewußt ist, welche Dämonie
z. B. der Technik innewohnen kann. Nicht so optimistisch scheint
er hinsichtlich der Bereitschaft der Kirchen zur Übernahme der
ihnen gestellten Aufgaben zu denken. Jedenfalls sind die positiven
Beispiele hierzu sehr selten. Leider wird man diese Kritik
als realistisch ansehen müssen. Die Fülle und Bedeutsamkeit
der Entscheidungen, die angesichts des raschen sozialen Umbruchs
auf die Kirchen in den Entwicklungsländern und damit
auch auf die Kirchen in den Industrielländern zukommen, sind
wahrhaft erdrückend. Es sieht so aus, als würden die Möglichkeiten
und Fähigkeiten der Kirchen weit überfordert. Aber gelade
mit dem Optimismus, der sich die Sache nicht zu leicht
macht - und auch mit der überlegenen Klarheit der Darstellung
- hat der Verfasser diesen Kirchen sicher einen sehr hilfreüche i
Dienst bei der Bewältigung der Gegenwart, in der für die Zukunft
viel zu entscheiden ist, geleistet. Wenn die Kirchen d( i
Huf aus der Ökumene, wie ihn „Kirche und Gesellschaft" artikuliert
hat, vornehmen wollen, ist so ein Buch wie das von
Pfeffer unbedingt wichtig.

Berlin Johannes Althausen

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1962 Nr. 11