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Ausgabe:

1967

Spalte:

861-862

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hübner, Eberhard

Titel/Untertitel:

Evangelische Theologie in unserer Zeit 1967

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 11

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danken der „Gleichzeitigkeit", die unter Abbau aller objektiven
Sicherheiten den Charakter des Glaubens als objektives Wagnis
sicherstellt, Kierkegaards Kritik an der bestehenden Christenheit
notwendig erwächst. Denn die bestehende Christenheit
nimmt nach Kierkegaard in naiver Selbstverständlichkeit an
den Tendenzen des Zeitalters teil und verrät eben damit das
Christentum des Neuen Testaments.

Auf die zahlreichen treffenden Einzelbeobachtungen Fritz-
sches und seine sich in dem Buch zeigende umfassende Sachkenntnis
kann hier nur hingewiesen werden.

Fragwürdig, aber auch des Fragens würdig erscheinen mir
Fritzsches Ausführungen über die Bedeutung von Kierkegaards
Kritik „heute". Er meint, daß Kierkegaard ein „positives Verhältnis
zwischen Christus und der Welt als Schöpfung Gottes"
nicht „sichtbar werden lasse" und daß er deshalb keine Antwort
„auf die Frage nach dem konkreten Inhalt der Nachfolge"
geben könne. Meines Erachtens kann man Kierkegaard diesen
Vorwurf nur aufgrund einer naiven Schöpfungstheologie machen
. Ebensowenig scheint mir stichhaltig zu sein die These,
dafj ein wesentlicher Teil der Kirchenkritik Kierkegaards erledigt
sei, weil die Kirche inzwischen im „nachkonstantinischen
Zeitalter" sei. Mit diesem unüberlegten Schlagwort wird gegenwärtig
viel Mißbrauch getrieben. Kierkegaard dürfte doch wohl
- entgegen Fritzsche - der Meinung sein, daß gerade auch im
Zeitalter der Nivellierung und Reflexion die Christenheit die
Frage nach der Existenzwahrheit überhören kann.

Kiel Hayo G e r d e s

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Hübner, Eberhardi Evangelische Theologie in unserer Zeit.
Ein Leitfaden. Bremen: Schünemann [1966]. 470 S. 8". Lw.
DM 19.80.

Dieses Buch erfüllt recht gut die Aufgabe einer Theologiegeschichte
der Gegenwart. Es zeichnet die Entwicklung der
evangelischen Theologie etwa seit der Jahrhundertwende un4
bietet für die unmittelbare Gegenwart einen Forschungsbericht,
der jedem theologischen Fachvertreter wie auch dem dem Studium
Entwachsenen den Horizont weiten kann. Dem Studenten
dürfte freilich das Buch mehr zum Nachschlagen und für gezielte
Kontext-Informationen von Nutzen sein, da viele Partien,
wie etwa das Referat über Karl Barths Kirchliche Dogmatik
(S. 99-147), als bloßer „Leitfaden" zu umfangreich bzw. komprimiert
sind, als Facheinführung indes u. E. zu formal anmuten
. Allerdings liegt dem Buch „eine Vorlesung vor Studenten
einer Pädagogischen Hochschule zugrunde" (S. 13); in der
Komplettierung zur Drucklegung scheint aber doch etwas anderes
daraus geworden zu sein. Gewifj nicht zum Nachteil;
denn was entstanden ist, eine provisorische Theologiegeschichte
der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, ist vielleicht wichtiger,
da es Einführungen in das Studium der Theologie nebst Kurzinformationen
über ihre Disziplinen hinreichend gibt. Auch mehr
unter diesem Aspekt wird man die Zusammenstellung von „Dokumenten
" (auf 177 Seiten in 69 Abschnitten bzw. Abschnittgruppen
Zitate aus Werken und Schriften im Text genannter
und besprochener Theologen) als interessantes Beleg- und Quellenmaterial
begrüßen (ein Anfänger sollte weniges ganz lesen).
Ein dem noch angefügter Anhang „Namen und wichtige Begriffe
" wird den Besitzer des Buches immer wieder zum Nachschlagen
reizen.

Zur Gliederung der eigentlichen Darlegungen des Buches:
„Evangelische Theologie in unserer Zeit" (S. 15-252) kurz folgendes
. Ein erstes Kapitel behandelt „die evangelische Theologie
am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts",
«in zweites „die Neuorientierung der evangelischen Theologie
nach dem Ersten Weltkrieg"; ein drittes konfrontiert „Barths
.Kirchliche Dogmatik' und Bultmanns Programm einer ,Ent-
mythologisierung' des Neuen Testaments". Das vierte Kapitel
betrifft, unter Nennung vieler Namen, „Alt- und Ncutcstament-
liche Wissenschaft, Kirchengcschichte und Praktische Theologie

nach dem Ersten Weltkrieg", dem als fünftes etwas Entsprechendes
für „die gegenwärtige Lage in der evangelischen Theologie
" folgt. Ein kurzer „Rückblick" hebt noch einmal die bestimmenden
„Linien" der gekennzeichneten Entwicklung hervor:
besonders das Sichdurchsetzen der historischen Kritik mit dem
Ergebnis der „phänomenologischen Nichtaufweisbarkeit dessen,
was die Bibel als Offenbarung Gottes bezeugt" (S. 248) (trotz
neuerlicher Ansätze, die hierhinter zurückgehen, womit wohl
Pannenberg gemeint ist), ferner „das Ringen um den Inhalt
der biblischen Botschaft unter den Bedingungen des wissenschaftlichen
Denkens der Gegenwart" (S. 249) sowie das Durchhalten
der biblischen Substanz unter diesen Bedingungen, was
zugleich eine Kontroverse darüber, was eigentlich diese Substanz
ist, darstellt; nicht zuletzt wird die Wiederentdeckung
der Kirchlichkeit der Theologie als bestimmendes Moment der
gegenwärtigen Theologie - wenngleich auch nicht vollkommen
unangefochten - genannt.

Natürlich, ja zum Glück, ist die Darstellung standpunktbezogen
(S. 13); aber damit hat das Buch Profil. Es ist Karl
Barth (zum 80. Geburtstag) gewidmet, und man spürt immer
wieder das Unbehagen des Verfassers über das Aufkommen so
vieler vergangen gewähnter Standpunkte, womit „die Oberwindung
des /Neuprojtestantismus, die der theologische Umbruch
nach dem Ersten Weltkrieg erreichen wollte, nicht erreicht
wurde" und was bedeutet, daß man „stellenweise mit
verändertem Vokabular" da wieder ankommt, von wo man
„aufgebrochen" war (S. 246). Paul Tillich (verhältnismäßig kurz
im II. Kapitel besprochen und nicht etwa im Kapitel über die
gegenwärtige Lage, als vielleicht d i e Alternative zu Barths
Dogmatik so attraktiv, erneut herausgestellt s. S. 82) scheint
dem Verf. wohl etwas fremd, während er die Existenztheologen
als Widerpart zu den „offenbarungsdialektischen" (ein übrigens
häufiges Schema der Einordnung) ausgezeichnet versteht und
relativ Berechtigtes an ihnen anerkennt.

Fehlendes zu beanstanden, wäre natürlich ganz ungerecht
(und manches würde sich in die gezeichneten Linien auch gar
nicht einordnen lassen), und es würde die Mühe verkennen,
die ein solches Buch gekostet haben wird, wie es vielleicht nur
ein theologischer Lehrer an einer pädagogischen Hochschule
(Dortmund), der „für Theologie" bestellt das Ganze im Auge
behalten muß, schreiben kann. Und man muß dankbar sein,
daß eine solche Ortientierungshilfe, in deren Wesen es liegt,
es nicht allen (wie auch etwa Barth-Schülern und Lutheranern)
gleichermaßen recht machen zu können, gewagt wurde und
nun vorliegt.

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Nörenberg, Klaus-Dieter: Analogia Imaginis. Der Symbol-
begriff in der Theologie Paul Tillichs. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus G. Mohn [1966]. 232 S. gr. 8''. Lw. DM 19.80.

Ein spürbarer Einfluß auf die theologische Wissenschaft in
Deutschland ist dem Werk Paul Tillichs bisher versagt geblieben
. Die Fragestellungen sind immer noch durch die Nachwirkungen
der Theologie Karl Barths und Rudolf Bultmanns
geprägt. Hingegen erfreuen sich die Arbeiten Tillichs gerade
unter der jüngeren Generation eines breiten Interesses, weil in
ihnen der Ansatz für die Überwindung falscher Alternativen erblickt
wird. Zeugnis dafür sind die zahlreichen Dissertationen
- u. a. von W. Hartmann, C. Rhein und R. Glöckner - über
Tillich. Aber die Weite seines Problemhorizontes und der Reichtum
seiner Gedanken verdienen es darüber hinaus, in das allgemeine
theologische Bewußtsein bestimmend einzugehen.

Die Reihe der Studien zur Theologie Tillichs hat nun jüngst
eine Ergänzung erfahren durch eine Hamburger Dissertation
von Klaus-Dieter Nörenberg, die dem „Symbolbegriff in der
Theologie Paul Tillichs" gewidmet ist. Dieser Untertitel gibt
den Gegenstand der Untersuchung sachgemäßer wieder als der
lateinische Haupttitel: Analogia Imaginis. Tillich verwendet diesen
Ausdruck nur einmal (173); er stellt also nicht einen Grundbegriff
seiner Theologie dar.