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Ausgabe:

1967

Spalte:

860-861

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fritzsche, Helmut

Titel/Untertitel:

Kierkegaards Kritik an der Christenheit 1967

Rezensent:

Gerdes, Hayo

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delt es sich um die ungewollte, spontane Sehergabe, die meist
als Last empfunden und darum leidend erduldet wird und die
anscheinend mehr bei Männern als bei Frauen auftritt. Daß das
Hauptverbreitungsgebiet 'Niedersachsen ist, -wußte man und
findet es neu bestätigt; auf den Atlaskarten tritt es überwältigend
hervor. Die Bezeichnung des Sehers als Spökenkieker ist
die häufigste. Die Aussagen über seine psychische und physische
Gesundheit schwanken. Nicht selten wird er mondsüchtig
genannt. Aber die Bearbeiterin bemerkt zu Recht, daß damit
auf den Zwang, nachts ans Fenster oder auf die Straße zu treten
, hingedeutet sein kann, der nichts mit Mondeinwirkung zu
tun hat. Nach anderen sind die Seher kränklich, blass, elend.
Andere halten tiefliegende blaue Augen mit besonderer Leuchtkraft
für signifikant. Während die einen ihre Intelligenz niedrig
bewerten („dumm und träumerisch", „manchmal Halbidioten
'), so die andern hoch („klüger als andere", „durchgeistigtes
Gesicht"). In der Regel gelten sie als fromm („stark religiös",
„treiben überlange religiöse Übungen"). Träume sollen in ihrem
Leben eine bedeutende Rolle spielen. Die Mehrzahl der Fragebogenbearbeiter
hebt inneren Zwang und Unruhe hervor („im
Augenblick ganz blaß und unruhig", „sind in den Zeiten aufgeregt
und müssen nachts hinaus"). Der Abb. 8 entnimmt man
leicht, daß unter den Inhalten der Vorgesichte Todesfälle an
erster Stelle stehen, an zweiter Brände. Die seltenen Vorgesichte
, die auf Krieg lauten, sind der Beeinflussung durch altüberlieferte
Weissagungen verdächtig. Die seherische Fähigkeit
- nicht jedem gegeben! - soll vom Geburtslermin abhängig
sein, besonders dem Sonntag (geboren während der Predigt, des
Hochamtes, beim Gebet des Vaterunsers, bei der Austeilung
des Segens). Besonders einflußreich soll der Zusammenfall von
Sonntag und Neumond u. ä. sein. Auch Donnerstag und Freitag
werden als wichtige Geburtstermine genannt, gelegentlich
die zwölfte Stunde, die Zeit des Zwielichts und Sonnenaufgangs
. Auch der Tauftermin spielt eine Rolle. Welche äußeren
Kennzeichen den Seher erkennen lassen sollen, macht Abb. 6
leicht deutlich. Beherrschend im Vordergrund steht das introvertierte
Verhalten, das im Blick, Aussehen und Wesen sich
ausdrückt. Genug der Einzelzüge! Es dürfte in weiten Teilen
Deutschlands keinen Geistlichen geben, dem Menschen unter
der Last des Zweiten Gesichtes nicht begegneten. Wenn er sachliche
und volkskundliche Belehrung sucht, möge er wissen, wohin
er greifen kann. - Vom Zweiten Gesicht wird mit Recht
die Wahrsagekunst unterschieden, die erlernt und überliefert
wird und die in der Hauptmasse die herumziehenden Zigeuner
ausüben. Über die Lebensform der Wahrsager und die Mittel
ihrer Kunst erfahren wir viel. Doch erreicht das seelsorgerlichc
Problem hier nicht entfernt die Bedeutung wie vor dem Zweiten
Gesicht.

Wie recht hat M. Zender, der Herausgeber des Werks, daran
getan, der „Neuen Folge" den Kommentar beizugeben! Was
wäre für uns das nackte Atlaswerk ohne den Kommentar!

Rostock Gottfried H o I « z

PHILOSOPHIE UND
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Helm er. Kell: Religion og kristendom hos Schleiermacher.
Med forord af Soren Holm. K0benhavn: Gyldendal 1965.
111 S. 8». Dan. Kr. 16.-.

Helmers Abhandlung ist im Zusammenhang mit seinem
„theologischen Amtsexamen" entstanden. Man hat dem Verf.
Respekt zu zollen. Er hat sich eindringlich mit Schleiermacher
und der Schleiermacher-Literatur befaßt, auch wenn das Literaturverzeichnis
nur eine geringe Zahl von Büchern anführt.
Der Begrenzung seiner Arbeit angesichts des (Spezialthcmas
„Religion und Christentum bei Schleiermacher" ist er sich bewußt
. Er erhebt für sein Buch „keinen Anspruch auf Vollständigkeit
in irgend einer Hinsicht", spricht aber die Hoffnung
aus, daß es dennoch „zum Verständnis von Schleiermachers
Theologie beitragen könne" s(S. 6). Das 'Hauptanliegen von

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Schleiermachers „lebenslanger philosophischer und theologischer
Arbeit" läßt sich ja in der Frage ausdrücken: „Was will das
sagen, daß das Christentum eine Religion ist, und welches Verhältnis
besteht zwischen dem Christentum und aller anderen
Religion?" (S. 7). Im wesentlichen stützt sich der Verf. auf
Schleiermachers Reden und Glaubenslehre, doch werden auch
die wichtigsten anderen Werke herangezogen. Als das Entscheid
dende in Schleiermachers Lösung des Problems stellt er heraus
, daß „die Absolutheit des Christentums nicht evolutioni-
stisch, sondern christologisch begründet wird. Warum ist das
Christentum die vollkommene Religion? Weil sein Stifter der
Erlöser ist, Christus" (S. 106). Wird in den ,Reden' der Mittlergedanke
als der tragende erkannt, so gilt das gleiche für
,Der christliche Glaube'. „Die christologische Frage ist das Zentrum
in Schleiermachers Denken. In den .Reden' konnten wir
Christus als den Deus revelatus bezeichnen, aber gleichzeitig
blieb Christus über die Geschichte erhöht. In .Der christliche
Glaube' ist Christus ein Mensch, der auf Erden wandelte. Können
wir immer Christus als Offenbarung Gottes bezeichnen?
Das (können wir. Der Unterschied .zwischen Schleiermachers
Auffassung von 1799 und von 1830 liegt nur in der philosophischen
Ausdrucksform. 1799 war Christus der einzige, in
welchem Immanenz und Transzendenz sich vereinigten, HncT
gerade dadurch war sein Leben eine Offenbarung. 1830 spricht
Schleiermacher nicht von der Vereinigung von Immanenz und
Transzendenz, aber von der Vereinigung des Bewußtseins von
beiden. Diese Vereinigung findet sich als ursprünglich nur bei
einem, bei Christus. In diesem Sinne ist Christus auch in ,Der
christliche Glaube' der Deus revelatus" (S. 106). - Von Interesse
sind die mancherlei Auseinandersetzungen mit der Schleiermacher
-Interpretation, z. B. von K. Barth, E. Brunner, F. Flük-
kinger, E. Hirsch, H. Hoffding, Hj. Lindroth, A. Nygren,
P. Seifert, H. Stephan, N. H. Soe. - Auf Einzelnes kann nicht
eingegangen werden. Es gibt eine Reihe von guten Urteilen
(dazu gehört m. E. die vom Vf. des öfteren betonte „somatische
Pädagogik" Schleiermachers). Es lassen sich aber auch
manche Fragen stellen (so z. B. zur Anwendung der Begriffe
des Deus absconditus und Deus revelatus auf Schleiermachers
Denken, oder (auch zum Einfluß von Händeis Messias auf
Schleiermachers .Reden', meint Helmcr doch, hier das „herme-
neutische Prinzip" gefunden zu haben, das den Schlüssel zum
Verständnis der .Reden' und zu Schleiermachers Intention mit
dieser Schrift bietet, S. 46). - Das Buch gliedert sich in die
zwölf Kapitel: 1. Das Verhältnis zur Aufklärung. 2. Das Wesen
der Religion in den .Reden'. 3. Die positiven Religionen.
4. Das Christentum. 5. Das Christentum und sein Verhältnis
zum Allgemein-Religiösen in den .Reden'. 6. Schleiermachers
Leben von 1800 bis 1834. 7. Die Grundzüge in der Philosophie
des älteren Schleiermacher. 8. Das Wesen der Religion in ,Der
christliche Glaube'. 9. Die historischen Religionen. 10. Das Christentum
In .Der christliche Glaube'. 11. Das Verhältnis des
Christentums zum Allgemein-Religiösen in .Der christliche
Glaube'. 12. Würdigung.

Berlin Horald K r u s k a

Fritzsche, Helmut: Kierkegaards Kritik an der Christenheit.

Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Stuttgart: Calwer Verlag
[1966]. 84 S. gr. 8° = Aufsätze u. Vorträge z. Theologie u.
Religionswissenschaft, hrsg. v. E. Schott u. H. Urner, 34.

Das Buch Fritzsches, unter Anregung durch Heinrich Vogel
entstanden, gehört zu den wenigen Arbeiten über Kierkegaard,
die sich rein sachlich um das Verständnis Kierkegaards bemühen
, ohne von vornherein eine bestimmte theologische Blickrichtung
geltend machen zu wollen. Fritzsche stellt Kierkegaards
Kritik an der Christenheit dar im umgreifenden Zusammenhang
von Kierkegaards Verständnis seines Zeitalters und
bezieht sie auf Kierkegaards „theologischen Grundgedanken"
der „Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus". Fritzsche zeigt, wie
aus Kierkegaards Verständnis des Zeitalters als dem der Reflexion
und Nivellierung, welches auf „objektive Sicherheiten
drängt und wagendes Handeln ausschließt und seinem Gc-

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 11