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Ausgabe:

1967

Spalte:

850-852

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Mattmüller, Hanspeter

Titel/Untertitel:

Carl Hilty 1833 - 1909 1967

Rezensent:

Kupisch, Karl

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längeren Aufsatz über »Das Bischofsideal der Katholischen Reformation
" (75-117) geht Jedin der inneren Vorbereitung dieser
Wende nach. Wie zäh das Ringen um die Kardinalsreform war,
zeigt ein weiterer Aufsatz „Vorschläge und Entwürfe zur Kardinalsreform
" (118-147). In Trient wurden die Wünsche der Reformer
nicht wirklich erfüllt; erst unter Sixtus V. (1586) setzte
eine entscheidende Neuordnung ein (147). Die folgenden Aufsätze
beschäftigen sich unmittelbar mit der Geschichte des Konzils
von Trient und brauchen hier nicht referiert zu werden
(148 -223). Neue Gesichtspunkte bringt der Beitrag über „Die
Deutschen am Trienter Konzil 1551/52" (224-236). Jedin meint:
Als die Protestanten kamen, war die Kirchenspaltung bereits
irreparabel (236). Der Aufsatz „Kirchenreform und Konzilsgedanke
1550-1559" (237-263) gibt mit bemerkenswerter historischer
Nüchternheit und Ehrlichkeit zu, wie stark die Widerstände
gegen eine Reform waren: „Man hat zwanzig Jahre (sc.
seit dem Beginn des Pontifikats von Paul III.) von der Notwendigkeit
der Reform gesprochen, aber geschehen ist nichts" (252).
Unter anderem wirkten die verschiedenen Auffassungen von der
Aufgabe eines Konzils in den verschiedenen Lagern hemmend
auf die Durchführung einer Reform. Interessant ist auch die
verschiedene Auffassung der Theologen und der Kanonisten über
die „Kompositionen" der Datarie, zugespitzt in der Frage: „Kann
der Papst Simonie begehen?" (264-284). Zwei gelehrte SpezialStudien
handeln über Don Martin Perez de Ayala (285- 320) und
über „Juan de Avila als Kirchenreformer" (321-332). Ich verzichte
auf die weitere Aufzählung von Einzeltiteln, die sich meist
auf die letzte Konzilsperiode beziehen. In ihnen geht es um die
Vorgeschichte der Idee des Trienter Priesterseminars, der Re-
gularenrcform, um die Auseinandersetzung über die bischöfliche
Residenzpflicht, um das Dekret über die Bilderverehrung,
um die Reform der liturgischen Bücher und anderes mehr. Vermerkt
sei das Urteil: Luthers Klagen über den geistlichen Verfall
des Episkopats waren nicht grundlos (420). - Zwei interessante
Forschungsberichte sind die Aufsätze „Fata libellorum
im Quollenbestand des Konzils von Trient" (553-564) und „Das
Konzil von Trient in der Schau des 20. Jahrhunderts" (565-576).
Das Papsttum hat die Durchführung der Dekrete gefördert (574).
Eine klare lehrmäßige Abgrenzung gegen die Reformation war
eine historische Notwendigkeit. Das Tridentinum war „eine zeitgemäße
, aber auch zeitbedingte Antwort auf die Glaubensspal-
lung" (575). Daraus ergibt sich freilich die Frage: „Ist das Konzil
von Trient ein Hindernis der Wiedervereinigung?" (540-552;
Gastvorlesung in Löwen 1961). Dabei ist folgendes zu bedenken:
Trient war nicht die Ursache der Kirchenspaltung, sondern das
Siegel auf eine bereits bestehende Spaltung (541). Die Protestanten
waren zu allen drei Sitzungsperioden eingeladen worden.
Ihre ablehnende Haltung ist aber geschichtlich begreiflich (544f).
So konnte Trient kein Unionskonzil werden; der Kirchenbegriff
war hüben und drüben fundamental verschieden (546). Aber das
Tridentinum hat keine Definition des Kirchenbegriffes gegeben
(547). Es hat nirgends die Personen der Reformatoren namentlich
verurteilt (549). In der Rechtfertigungslehre hat sich in der
Zwischenzeit der Abstand verringert, auch in der Frage der
Messe, ja selbst in der Kirchenelhre (550 f). Die erhoffte Wiedervereinigung
steht sicher noch nicht unmittelbar bevor. Eine Revision
des Tridentinums ist unmöglich; denn die Gtaubensdc-
kretc eines ökumenischen Konzils mit päpstlicher Bestätigung
sind unfehlbar. „Sie sind nicht revisionsbedürftig; aber sie sind
ergänzungsfähig" (552).

Instruktiv ist der Vergleich der Geschäftsordnungen des Tridentinums
und des Vatikanum I (577 - 588). Der letzte Aufsatz
bringt als Vorausschau (1962) auf das 2. Vatikanische Konzil
eine historische Ubersicht über die verschiedenen Typen von
Konzilien: 1. Die acht altkirchlichen Konzilien. 2. Die päpstlichen
Konzilien des hohen Mittelalters. 3. Die „konziliaristischen" Konzilien
im 15. Jahrhundert. 4. Das Trienter Konzil, das im Gegensatz
zum 3. Typus steht, aber bestimmte Wesenszüge der
beiden ersten aufgreift. Demgegenüber stellte das Vatikanum I
keinen neuen Typus dar, wenn auch eine Reihe neuer Züge an

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ihm festzustellen sind. Die Anpassung der Seelsorge an die veränderten
sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse des 19.
Jahrhunderts hat das Vatikanum I nicht vollzogen. An diesem
I'unkt und in der Lehre von der Kirche sind dem Vatikanum II
große Aufgaben gestellt; „wird es einen kühnen Schritt nach
vorwärts wagen?" (602). Ein ökumenisches Konzil, so meint Jedin
, kann zwar nicht „im eigentlichen Sinn des Wortes scheitern",
„wohl aber an seinem Ziele... vorbeifahren" (603). Der Glaube
aber weifj: „Es wird vom Heiligen Geist geleitet sein" (603). Mit
diesem Ausblick in die Zukunft enden die hier zusammengefaß-
ten historischen Studien.

Wir haben schon eingangs unserem Respekt vor der gewaltigen
gelehrten Leistung Ausdruck verliehen, die in diesen beiden
Bänden vor uns sichtbar wird. Vor allem ist die enorme
Quellenkenntnis zu bewundern. Jedin beherrscht die Sekundärliteratur
, aber er gründet sein Urteil durchgängig auf eigene
Forschung. Er gehört zu den heute seltener gewordenen Kirchenhistorikern
, die den Ruf „ad fontes" in umfassender Weise
verwirklichen. Er hat dabei sicherlich die Mühsale, aber auch
die Entdeckerfreuden dieses Tuns reichlich erlebt. Es geht ihm,
wie den klassischen Historikern seit Ranke, um die Erforschung
der Tatsachen, auch der minutiösen Einzelheiten. Dafj er trotzdem
die großen Zusammenhänge nicht aus dem Auge verliert
und nicht in einem falschen Positivismus endet, haben wir bereits
vermerkt. Daß dieser Historiker zugleich katholischer Theologe
ist, wird dem Leser nicht entgehen und ist in unserem
Referat an verschiedenen Stellen sichtbar geworden; ich zitiere
dafür noch den Satz: Die Geschichte der Kirche ist „die Verwirklichung
des Gottesreiches auf Erden" (I, 457). Auffallend
ist auch, wie wenige protestantische Autoren zitiert werden5:
das mag freilich auch zum Teil mit der langen Abwesenheit des
Verfassers von Deutschland zusammenhängen. Vermutlich ist
das Interesse am reformatorischen Christentum bei Jedin erst
im letzten Jahrzehnt infolge der veränderten konfessionellen
Situation stärker geworden. Aber umgekehrt muß der protestantische
Kirchenhistoriker mit Beschämung feststellen, was ihm
iiier an Neuland entgegentritt, das für ihn doch weitgehend
terra incognita gewesen war. Mit der Vertiefung in das Lebenswerk
von Jedin ist uns eine Aufgabe gestellt, an der wir noch
lange zu arbeiten haben werden. Dann erst wird die ökumenische
Bedeutung dieser abseits von den theologischen Tagesmoden
geleisteten historischen Forschung voll sichtbar werden.
Möge es Jedin vergönnt sein, seine groß angelegte Geschichte
des Konzils von Trient und seine anderen Arbeitsvorhaben zum
geplanten Abschluß zu bringen! Mit diesem Wunsche verbinden
wir den Dank für das bereits vor uns liegende imponierende
Lebenswerk dieses Gelehrten.

Erlangen Walther v. Loewenich

5) Vgl. dafür das Register Band II, 604-624: in ihm findet sich z. B. nicht
einmal der Name von Hanns Rückertl

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Mattmüller, Hanspeter: Carl Hilty 1833-1909. Basel-Stuttgart
: Hclbing & Lichtenhahn 1966. VII, 312 S. gr. 8° = Basler
Beiträge zur Geschichtswissenschaft, hrsg. v. E. Bonjour u
W. Kaegi, 100. DM 25.-; Lw. DM 32.-.

Was waren das noch für halkyonische Zeiten, als Pastoren
ihren Konfirmanden aus Hiltys „Glück" vorlasen, Lehrer ihren
reiferen Schülern „Lesen und Reden" empfahlen oder in christlichen
Erholungsheimen die zwei Bände „Für schlaflose Nächte'
vorzufinden waren. Das ist wohl endgültig vorbei. Die heutigr
Generation kennt kaum den Namen, geschweige denn die Bü-
cher des Schweizer Essayisten. Das ist kein Wunder. Denn jene
mittlere bürgerliche Bildungsschicht, die Hilty, namentlich in
Deutschland, mit seinen milden, ethisch-religiösen Schriften anzusprechen
vermochte, besteht im Grunde nicht mehr. Die Tcn-

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 11