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Ausgabe:

1967

Spalte:

846-850

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Jedin, Hubert

Titel/Untertitel:

Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte 1967

Rezensent:

Loewenich, Walther

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 11

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(S. 104f. u. 239). Die Messe wird von den Täufern verworfen,
nicht wegen des Prunkes und der Formelhaftigkeit, sondern weil
sie die reale Gegenwart Christi im Abendmahl leugneten und es
als Gedächtnis- und Bundesmahl auffaßten (S. 109). Diese Meinung
teilten sie mit Zwingli und anderen radikalen Gruppen.

Das III. Kapitel „Die Wiederherstellung der rechten Kirche"
stellt unter Wiederholung von manchem, was schon früher gesagt
wurde, die Kennzeichen dieser Kirche zusammen: 1. Taufe
der Gläubigen und ihre dogmatische Begründung bei Hans Hut,
Peter Riedemann und Peter Walpot (S. 126ff.); 2. die Gemeindezucht
, die auf Matth. 18, 15-17, zurückgeht und bei Hubmaier
völlig ausgebildet ist (S. 133f.); 3. der Aufbau der Gemeinde
und die Absonderung von der Welt; 4. die Gütergemeinschaft;
5. das Herrenmahl; 6. das Verhalten gegenüber der Obrigkeit,
passiver Gehorsam, Gewaltlosigkeit.

Das IV. Kapitel ist dem Missionsbefehl gewidmet. Darüber
liegt nun für den oberdeutschen Raum eine ausführliche Arbeit
von Wolfgang Schaufele vor: „Das missionarische Bewußtsein
und Wirken der Täufer" (21. Band der Beiträge zur Geschichte
und Lehre der reformierten Kirche, 1966). Im Gegensatz zu den
reformatorischen Kirchen steht der Missionsbefehl im Mittelpunkt
des täuferischen Zeugnisses. Der Befehl galt allen Gliedern
der Kirche, auch den Laien; in der späteren Zeit waren
auch die predigenden Ältesten Laien; aber nur die bedeutendsten
sind zu jenen Helden der Mission emporgewachsen, die im
Zeugnis des Blutes als Märtyrer über ihre Verfolger triumphierten
. Dazu gehörten in der Frühzeit Georg Blaurock (S. 177), Michael
Sattler und die auf der sogenannten Märtyrersynode im
August 1527 von Hans Hut ausgesandten Prediger, von denen
viele den Märtyrertod starben. Wie weit bei der Erfüllung
missionarischer Aufgaben chiliastische Gedanken eine Rolle spielten
, läßt sich kaum sagen; daß sie durch Huts Predigten in
die Gemeinden getragen wurden, ist zweifellos (S. 188ff.). Nicht
nur das missionarische Streben trieb viele Täufer von ihrem
Wohnort, sondern auch die harte Verfolgung. Manchmal zogen
die Frauen mit den Männern fort, oder sie zogen ihnen nach,
oftmals blieben sie mit den Kindern zurück. Es gab nur einen
Ort im südlichen Deutschland, wo ihnen ein Überleben in Gruppen
ermöglicht war, nämlich das zu den habsburgischen Erblinden
gehörige Mähren. Auf den hutenschen Bruderhöfen
wurde die Aussendung der Missionare durch die Gemeinde
planmäßig entwickelt.

Das letzte Kapitel des Buches, das in der ersten Bearbeitung
des Stoffes am Anfang steht, behandelt den Wandel der
Beurteilung der Täufer in der Kirchengeschichtsschreibung; es
bezieht sich, wie dies der Herkunft des Verfassers entspricht,
zunächst auf amerikanische Literatur, dann wird der geläufige
Weg von der völligen Verdammnis der Täufer durch die Reformatoren
über ihnen wohlgesinnte Historiker wie Sebastian
Frank, Gottfried Arnold, Ludwig Keller, C. A. Cornelius, Ernst
Trocltsch - um nur einige Namen zu nennen - bis in unsere
Zeit verfolgt, in der die Forschung durch die Herausgabe der
Quellen neue Ausgangspunkte gewonnen hat.

Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß hier ein ausgezeichneter
Kenner der Materie spricht. Davon legt auch das 25 Seiten
umfassende Schrifttumsverzeichnis Zeugnis ab, auf das sich die
zahlreichen Anmerkungen beziehen. Behandelt Jst allerdings
nicht das gesamte, sondern im wesentlichen das süddeutsche
Täufertum.

Einige Bemerkungen seien gestattet: zum Datum der ersten
Taufe am 21. Jänner 1525 auf S. 32 ist vielleicht doch ein
Fragezeichen zu setzen; bei Schilderung der Zürcher Entwicklung
auf S. 38 würde man die Erwähnung des Vollzugs des
ersten Todesurteils an Felix Mantz am 5. Jänner 1527 erwarten;
den Antitrinitarier und Spiritualisten Hetzer schreiben wir besser
mit Umlaut „Hätzer"; im Deutschen ist „huterische" Gemeinden
besser als „hutterische" j daß Hans Hut .Tausende" getauft
hat, ist unwahrscheinlich (S. 163, 191); die Wiedertäufer- bzw.
Täufer-Akten sind nicht vom „Archiv für Reformationsge-
fichichte", sondern vom „Verein für Reformationsgeschichte" herausgegeben
. Es ist gewiß nicht leicht für einen Anderssprachigen
oder für den mit dem Stoffe nicht vertrauten Übersetzer,
sich in den mannigfachen Bezeichnungen zurechtzufinden. Dies
tut jedoch der wertvollen Untersuchung keinen Abbruch.

Wien Grete Mecenseffy

J e d i n , Hubert: Kirche des Glaubens - Kirche der Geschichte.

Ausgewählte Aufsätze und Vorträge. I: Kirchengeschichtsschreibung
. Italien und das Papsttum. Deutschland, Abendland und
Weltkirche. II: Konzil und Kirchenreform. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1966. 508 S. u. 624 S. gr. 8°. Lw. DM 140.-.

Nachdem die wissenschaftliche Welt 1965 des 65. Geburtstages
von Hubert Jedin gedacht hat1, legt nun der Jubilar ein zweibändiges
Sammelwerk vor mit über 60 seiner Studien und. Vorträge
, die zum Teil bisher schwer erreichbar waren, da H. Jedin
während der nationalsozialistischen Zeit vielfach nur in fremden
Sprachen oder in entlegeneren Zeitschriften veröffentlichen
konnte. Aber auch für die Zeit nach 1945 erscheint eine Zusammenfassung
der angesichts der internationalen Gellung des Gelehrten
weit gestreuten wissenschaftlichen Äußerungen als höchst
wünschenswert2. Der teils freiwillige, teils unfreiwillige jahrelange
Aufenthalt in Rom hat Jedin in hervorragendem, ja beneidenswertem
Maße Gelegenheit gegeben, als Historiker unmittelbar
aus den Quellen zu schöpfen und zu dem Forscher zu
werden, als der er heute vor uns steht. Die beiden Bände vermitteln
einen imponierenden Eindruck von der ■überragenden
Gelehrsamkeit, dem Weitblick und der gewissenhaften Zuverlässigkeit
dieses Historikers von Format.

Eine angemessene Besprechung dieses Sammelwerkes ist freilich
ein nahezu unmögliches Unternehmen. Ein genaues Eingehen
auf die ganze Fülle der Einzelbeiträge erscheint als undurchführbar
. Bei nicht wenigen der vorgelegten Untersuchungen
wird es überdies unter den deutschen evangelischen Kirchenhistorikern
kaum einen geben, der für die Beurteilung der
verwerteten archivalischen Quellen als kompetent erscheinen
könnte. Der Verfasser dieser Anzeige muß es unumwunden zugeben
, daß er dazu nicht imstande ist. Er kann nur dankbar
bekennen, daß man durch das Studium dieser Aufsätze unendlich
viel Neues lernen kann und daß durchweg der Eindruck
höchster methodischer Akribie und Zuverlässigkeit entsteht. Wir
referieren zunächst auszugsweise, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit
erheben zu wollen.

Die Beiträge in Band I sind nach den im Untertitel genannten
drei Themenkreisen geordnet.

Im 1. Teil äußert sich Jedin in mehreren Aufsätzen über allgemeine
Prinzipien der Kirchengeschichtsschreibung. Die strenge
historische Methode erscheint als selbstverständliche, unaufgeb-
bare Voraussetzung. Die Historie darf aber nicht im Positivismus
enden (14). Die Spannung zwischen der Denkweise des
Historikers und des Systematikers ist unvermeidlich, aber sie
braucht nicht unfruchtbar zu bleiben (15). Die Spezialforschung
ist unumgänglich, aber auch die Synthese ist notwendig (17).
Die Kirchengeschichte hat es mit Tatsachen nicht mit theologischen
Spekulationen zu tun; der Historiker soll nicht richten,
aber er darf und muß werten (26). Das besagt aber wiederum
nicht, daß sich die Kirchenhistorie auf das „Aktuelle" beschränken
kann (30). In der geschichtlichen Entwicklung gibt es keine
unabänderlichen Notwendigkeiten, sondern sie ist kontingent

(31) . Bei der Frage nach der „historischen Schuld" ist auch immer
das „Recht des Bestehenden" zu bedenken (33). Trotzdem ist in
gewissem Sinn die Kirchengeschichte „das Gewissen der Kirche"

(32) . Ist Kirchengeschichte Heilsgeschichte? (37). In der Zeit vor
dem ersten Weltkrieg erschien die völlige Säkularisierung der
Kirchengeschichte als das Ideal. In der Gegenwart ist eine gc-

') Vgl. dazu die stattliche Festgabe „Reformata reformanda", hrsg.. v. Erwin
Iserloh u. K. Repgen. 2 Bände, Münster 1965.

') Genauer äußert sich Jedin selbst darüber im Vorwort zu Band I, S. 5-7.