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Ausgabe: | 1967 |
Spalte: | 843-846 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Littell, Franklin Hamlin |
Titel/Untertitel: | Das Selbstverständnis der Täufer 1967 |
Rezensent: | Mecenseffy, Grete |
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den, daß Gott gewisse Dinge nach den von ihm frei aufgestellten
Gesetzen tun kann, was er tatsächlich auch beschlossen hat
zu tun, nämlich de potentia ordinata. Andererseits kann Gott alles
, was keinen Widerspruch enthält, tun, ob er beschlossen hat,
es de potentia ordinata zu tun oder nicht, denn es gibt vieles,
was Gott, ohne es tun zu wollen, tun kann. Das letztere ist die
göttliche Kraft de potentia absoluta".
Damit soll ausgeschlossen werden, daß die Distinktion als
zwei parallele Ordnungen aufgefaßt wird, wonach Gott wechselweise
handelte. Neu ist der Gesichtspunkt des Verfassers, daß
Biel mit dieser Distinktion unterstreichen wollte, daß die Offenbarung
in historischen, nicht metaphysischen Kategorien aufgefaßt
werden sollte. De potentia ordinata gilt z. B., dafj nur
die Getauften in den Himmel kommen; aber de potentia absoluta
wäre es möglich, daß Gott einen Menschen auch ohne die
Taufe selig mache. Daraus kann der Schluß gezogen werden,
daß die tatsächliche, geoffenbarte Ordnung etwas Kontingentes
ist, d. h. historisch aufgefaßt werden muß. Die Dialektik zwischen
den beiden „Mächten" sollte also den Zweck haben, die
Menschen auf eine kontingente, in der Bibel gegebene Ordnung
hinzuweisen.
Die Definition der Begriffe potentia absoluta und potentia
ordinata scheint mir klar und einleuchtend zu sein. Dasselbe
kann aber nicht immer von der Anwendung dieses Gedankens
auf verschiedene Fragen der Theologie gesagt werden. So finde
ich es z. B. schwer zu verstehen, was mit der „Beeinflussung
des menschlichen Verstandes durch den Unterschied zwischen
potentia absoluta und potentia ordinata" gemeint wird (S. 43).
Man fragt sich auch, ob es ganz zutreffend ist, wenn diese
Dialektik auf das Verhältnis vom eingegossenen und erworbenen
Glauben (fides infusa und fides acqursita) angewandt wird.
Wenn Biel die fides acquisita als in sich hinreichend betrachtet
- mit der fides ex auditu Rom. 10 gleichstellt - ist dies nicht
nur eine Spekulation über das, was de potentia absoluta möglich
wäre, sondern eine Überlegung dessen, was tatsächlich in
den menschlichen Möglichkeiten liegt, wie es auch rational
gesehen möglich ist, Gott aus natürlichen Kräften vollkommen
zu lieben. (Vgl. S. 34 und S. 70ff.)
Das Verhältnis von Glaube und Vernunft im Nominalismus
sieht der Verfasser hauptsächlich als eine Harmonisierung. Er
meint sogar, „daß, ausgenommen in den eschatologischen Artikeln
, nirgends ein Anzeichen für die immer wieder behauptete
Trennung zwischen Glauben und Vernunft zu finden ist" (S. 79;
vgl. aber S. 53, wo von einer „für den menschlichen Verstand
unüberbrückbaren Kluft" zwischen Metaphysik und Theologie
geredet wird).
Mit großer Erwartung sieht der Leser auf die Fortsetzung
des Werkes, wo die Forschungsergebnisse für einen Vergleich
mit der Theologie der Reformation ausgenutzt werden sollen.
Schon wie das Werk jetzt vorliegt, scheint es gute Hilfe nicht
nur für das Studium des Spätmittelalters, sondern auch für das
Verständnis der Theologie Luthers bieten zu können. Trotz der
großen Unterschiede zwischen Nominalismus und Reformation
bilden doch die komplizierten Gedankengänge Biels in seinem
Collectorium ein wichtiges Stück der geistigen Welt, aus der
die reformatorischen Gedanken einmal hervorgewachsen sind.
Lund Bengt Hägglund
KTRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT
Li t teil, Franklin H.: Das Selbstverständnis der Täufer. Übers,
v. R. Großmann. Kassel: Oncken [1966]. 263 S. 8°. Lw. DM 22.-.
Das vorliegende Buch ist eine Übersetzung des Werkes „The
Anabaptist View of the Church", das nach einem ersten Druck
(Band VIII der Studies in Church History, 1952) in zweiter erweiterter
Auflage 1958 in Boston erschienen ist. Die Übersetzung
des amerikanischen Titels ins Deutsche ist meiner Ansicht nach
nicht zutreffend. Denn von dem Verfasser, der sich seit vielen
844
Jahren mit der Erforschung des Täufertums beschäftigt, wird
eine Seite der religiösen Schau dieser Gruppe besonders ins
Blickfeld der Betrachtung gerückt: ihre Lehre von der Kirche.
Die Meinung, daß die Täufer die erste Freikirche gegründet
haben, ist uns seit Fritz Blankes Feststellung geläufig (vgl.
„Zollikon 1525", Theol. Zeitschrift 8, 1952). Die Lösung von der
Staatskirche ist der eigentliche Grund der ersten Schwierigkeiten
in Zürich gewesen.
Im I. Kapitel, „Die Frage nach dem Wesen des Täufertums",
geht der Verfasser nach einer kurzen Schilderung der Entstehung
des „Radikalismus" in Wittenberg, Zürich, St. Gallen, Basel
auf den chiliastischen Typus der Bewegung ein, der in
Münster seinen besonderen Ausdruck gefunden hat (S. 53ff.).
Dann hebt er, was bis jetzt nicht häufig geschehen ist, die tolerante
Haltung des Landgrafen Philipp von Hessen hervor
(S. 61ff.), die zu jener Zeit eine vereinzelte Erscheinung war,
da die Täufer von katholischer wie evangelischer Seite als der
Ausrottung würdige Ketzer und Aufrührer verfolgt wurden. In
dem letzten Abschnitt dieses Kapitels wird auf die Idee des
Bundesvolkes hingewiesen, wie sie besonders in den mährischen
Gemeinschaften entwickelt wurde. Die huterischen Brüder
bezeichnen sich als das „echte Bundcsvolk". Dem norddeutschen
Täufertum hat Menno Simons die entscheidende Prägung gegeben
, der, gestützt auf die Lehren des Neuen Testamentes, die
Urkirche wiederherzustellen trachtete. Am Schlüsse des I. Kapitels
stellt der Verfasser fest, daß wir aufgrund neuen Quellenmaterials
manches frühere Urteil berichtigen können; dennoch
bliebe das Problem der Einordnung der einzelnen Gruppen
und die Frage nach dem eigentlichen Wesen des Täufertums
bestehen.
Im II. Kapitel „Der Sündenfall der Kirche" geht Litteil auf
das seiner Meinung nach wesentlichste Merkmal des Täufertums
, die Lehre von der Kirche, näher ein. Inmitten einer andersgläubigen
Gesellschaft versuchten sie, die wahre Kirche
nach apostolischem Vorbild wieder erstehen zu lassen. Diese
Auffassung schließt folgendes Geschichtsverständnis ein: das
Paradies der Vergangenheit, seine teilweise Wiederherstellung
in der Gegenwart, seine vollständige in der Zukunft (S. 82).
Der urtümliche, unverdorbene Mensch wird glorifiziert. Es erhebt
sich die Frage, ob das Studium an humanistischen Universitäten
, der Einfluß Erasmus' von Rotterdam oder Zwingiis hier
eingewirkt haben oder der schwärmerische Spiritualismus eines
Joachim von Fiore? Bei diesem tritt der Gedanke der Restitution
der Kirche auf. Primitivistische und eschatologische Gedanken
kehren im Täufertum ständig wieder. Mit der Erhebung
des Christentums zur Staatsreligion durch Konstantin sei die
verhängnisvolle Wendung eingetreten: die Kirche fiel von ihrem
Urbild ab. So lesen wir in der Chronik der huterischen Brüder
bei Wolkan und Zieglschmid (S. 102). Im Leben der täuferischen
Gemeinden sollte das goldene Zeitalter wiederkehren, das auf
völlige Gewaltlosigkeit gegründet war. Mit der Trennung von
Kirche und Staat fällt die Kindertaufe weg. die auch aus dem
Grunde verworfen wurde, weil dadurch die „Heiden" in die
Gemeinden gekommen seien. Das Vorbild für die Idealkirche
bilden die ersten vier Kapitel der Apostelgeschichte. Hier liegt
auch die Wurzel des Verzichtes auf das Privateigentum und
die Einführung der Kirchenzucht. Die Schilderung des Eusebius
von der Kirche unter dem Kreuz mag auf solche Vorstellungen
eingewirkt haben; Fall und Restitution der Kirche finden
sich bei David Joris, Bernt Rothmann und Sebastian Frank
(S. 117), die Auffasung, daß die apostolische Kirche die wahre
Kirche sei, bei Georg Witzel und Joh. Campanus. Daß die von
der Großen Kirche als Ketzer Gebrandmarkten die Gläubigen
in der Zerstreuung waren, kommt wiederholt zum Ausdruck
(S. 118). Luther setzte den Niedergang der Kirche mit den
Nachfolgern Gregors d. Großen an und ließ mit seiner Reformation
ein neues Zeitalter beginnen, die Täufer aber schlössen
die reformatorischen Kirchen in die Gefallene Kirche ein. Sie
zogen einen scharfen Trennungsstrich zwischen sich und allen
Staats- und Volkskirchen (S. 114). Wer hat den Gedanken der
Religionsfreiheit zum ersten Male ausgesprochen? War es Hans
Denck, wie der amerikanische Historiker Austin P. Evans meinte?
Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 11