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Ausgabe:

1967

Spalte:

59-62

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Köberle, Adolf

Titel/Untertitel:

Rechtfertigung, Glaube und neues Leben 1967

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 1

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des Horaz" mit dem auch für dieses Buch passenden horazischen
Motto: Quem rodunt omnes . . . Auf wen alle losschlagen, [der
hat vor mir Frieden]).

Überdenkt man die Kritik, die van L. hier übt, so — scheint es
uns — formuliert sie nicht so sehr einen Vorwurf als vielmehr ein
desiderium, das allen Theologen, zumal denen, die D. so hart zugesetzt
haben, zu denken geben sollte: es geht darum, das relative
Recht solcher Versuche wie des D.sehen zu bejahen und ein derartiges
philosophisch-theologisches Wagnis nicht demutlos von
vornherein zu verdammen.

Der Jesuitenpater gibt die „sources d'inspiration" an, aus
denen D.s Werk gespeist ist: Blondel, Husserl, Plotin, Sartre, Spinoza
, Merleau-Ponty, Hegel. Trotz dieser mannigfachen, gewiß
nicht gegenwartsscheuen Rezeptionen ist D. kein Eklektiker geworden
. Was ihm aber von all diesen Einflüssen her am tiefsten
zu eigen ist, ist seine Leidenschaft für Rationalität. Rationalität,
Vernunftgemäßheit sucht er auch im Christlichen aufzuspüren und
zu behaupten, und an diesem Punkt scheint er — nach dem glücklicherweise
nicht unfehlbaren kirchenamtlichen Urteil — über die
Stränge geschlagen zu sein. Freilich gerät D. in Gefahr (und diesen
Vorwurf kann ihm auch die wohlwollende Kritik des van L.
nicht ersparen), das Unabkünftige, schlechthin Singulare (irre-
ductibilite", unicite") der Person des Christus anzutasten.

Für den reformatorischen Theologen bestehen hier keine so
ernstlichen Fragen wie für den römischen, der seit je einer theo-
logia naturalis gehuldigt hat und für den als Sohn der Heiligen
Kirche der Gehorsam auch .soweit er Wisenschaftler ist, eine Rolle
spielt. So ist denn Christsein für D. „l'accomplissement de la
plus profonde aspiration de l'homme dans sa relation ä Dieu,
que revele la p h i 1 o s o p h i e". Ein Protestant, der im
Glauben darüber belehrt ist, was Erbsünde und ihre Folgen besagen
, könnte niemals so sprechen.

Gewiß finden sich bei D. — der Kritiker van L. sucht uns davon
zu überzeugen — „gleitende Synonyme", also changierende Begriffe
, unzutreffende Dilemmata, „Antezipationen", Schwanken zwischen
„intuition" und „expression"; aber sind das nicht Kleinigkeiten
angesichts des großen Wurfs seiner philosophischen Theologie
(oder theologischen Philosophie), seines kühnen Versuchs, ratio
und Glauben zu versöhnen, und ist es nicht tragisch, daß dieselbe
Kirche, die vom „rationabile obsequium" spricht und das natürliche
Gotterkennen als zwingendes Wissen ausgibt — wenn
anders wir das „certo" im „certo cognosci posse" des ersten
Vatikanums (Denz. 178 5) richtig verstehen —, also hier und sonst
überall in Glaubensdingen das „lumen naturale", die ratio, das
menschliche Denken — schon fast pelagianisch — legitimiert, daß
eüeri diese Kirche einen Denker verurteilt, der mit solchen Prinzipien
theologisch ernst macht? van L., der selbst eine Studie
über die Rationalität des Glaubens veröffentlicht hat (1958), war
schon der richtige Mann, Dumery, soweit es noch möglich war, zu
„retten".

Auf die subtilen Distinktionen seiner Kritik, überhaupt auf die umstrittene
Sache selbst (mit all ihren begrifflichen Finessen) können wir
hier aus Raummangel nicht eingehen; die Information über die Tatsache,
daß der Modernismus noch immer oder besser: immer wieder die katholische
Theologie „durchseucht", muß genügen. Die Anwürfe gegen Kardinal
Newman, der ebenfalls des Modernismus verdächtigt worden ist,
oder gegen Herman Schell, dessen Rehabilitation jetzt im Gange ist,
bleiben warnende und beschämende Beispiele.

Berlin Helmuth Burgert

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

K ö b e r 1 e , Adolf: Rechtfertigung, Glaube und neues Leben. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1965]. 198 S. 8°. Lw.
DM 14.80.

K. ist bereits vor 3 5 Jahren mit einer Arbeit über „Rechtfertigung
und Heiligung" hervorgetreten, die rasch drei Auflagen
erlebte und in das Französische, Englische und Japanische übersetzt
wurde. Von dieser früheren Arbeit ist nicht ein Satz stehen
geblieben, weil die vielen neuen Fragestellungen, die inzwischen
aufgetaucht sind und berücksichtigt werden mußten, eine völlige

Neufassung nötig machten. Darum wurde auch ein neuer Titel
gewählt, obwohl es der Sache nach unverändert um das Thema
„Rechtfertigung und Heiligung" geht.

K. wendet sich an einen größeren Leserkreis, der auch Nicht-
theologen einschließt. Dem Theologen geläufige Fachausdrücke
und theologische Auseinandersetzungen mit differenzierten
Einzelauffassungen treten daher zurück, was der Fachwissenschaftler
bedauern, aber verstehen wird. Einige gute Literaturhinweise
am Ende des Buches sowie zahlreiche Bezugnahmen auf die
neueste Literatur im Text geben wichtige Hilfen für ein weiteres
Eindringen in den behandelten Fragenkomplex.

Das Buch ist in neun Hauptabschnitte gegliedert: Das Wesen
der Rechtfertigung — Rechtfertigung und Lebensvollzug — Einwände
gegen die Rechtfertigung — Verlebendigung der Rechtfertigung
in Verkündigung und Seelsorge — Von der Rechtfertigung
zur Heiligung — Das Wesen der Heiligung — Widerstand
und Beistand — Die Lebensbereiche der Heiligung — Das;
Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung. Diese Überschriften
sind ohne weiteres verständlich und geben bereits einen
guten Überblick über Aufbau und Gedankengang der Abhandlung
. Nur zu dem Stichwort „Widerstand und Beistand" muß
man vielleicht bemerken, daß hiermit im Anschluß an Schleiermacher
das Wesen der Erziehung bezeichnet werden soll. Im einzelnen
zeigt K. die Rechtfertigungsbotschaft in den Gleichnissen
Jesu und in der Paulinischen Verkündigung von Kreuz und Auferstehung
auf. Er grenzt sich gegen die katholische Sicht ab, bei
der er vor allem das Verfehlen der Heilsgewißheit kritisiert, und
stellt sich zu Luther und zum Luthertum, das er gegen die Vorwürfe
Holls u. a. in Schutz nimmt. Das „Allein aus Glauben"
versteht er in Abgrenzung gegen eine existentiale Interpretation
als Annahme des Zeugnisses von der Tat Gottes in Christus.
Dieses Zeugnis erreicht uns durch den Dienst der Kirche in den
„Gnadenmitteln", Wort, Taufe und Abendmahl, wobei sich K.
für die Kindertaufe gegen ihre neueren und älteren Kritiker erklärt
. Sehr eindrücklich ist der Hinweis, daß die Botschaft von
dem Gott, der die Ungerechten rechtfertigt, eine Gotteserkenntnis
einschließt, die sich weder mit L. Feuerbachs Illusionismus noch
mit Deismus noch mit Pantheismus noch mit einem legalistischen
Moralismus noch mit einer Deutung Gottes als „Tiefe unseres
Seins" oder als „Erscheinungsform zwischenmenschlicher Beziehungen
" begnügt.

Die Lehre von der Rechtfertigung wird in der altprotestantischen
Dogmatik im Kapitel von der Heilsaneignung behandelt.
Das ist nicht falsch, hat aber dazu beigetragen, das Ausmaß und
die Tragweite dieser Botschaft auf den einzelnen Akt des Glaubens
einzuschränken. Demgegenüber betont K. die Bedeutung des
Rechtfertigungsglaubens für den ganzen Lebensvollzug: im Gebet,
im Vorsehungsglauben, für Persönlichkeitsbildung, für die Vergebungsbereitschaft
, ohne die es ein gedeihliches Zusammenleben
der Menschen nicht gibt, für die Überwindung der Gesetzlichkeit,
für eine missionarische Gesinnung, für die helfende Tat gegenüber
dem Schuldiggewordenen, als letzter Halt für das ausweglose
Gewissen und in der Todesstunde.

Die Einwände gegen die Rechtfertigung sind sprachlicher,
exegetischer und systematisch-theologischer Art. Im Sprachlichen
ist K. bereit, neue Ausdrücke zu suchen und zu akzeptieren, gibt
aber zu bedenken, daß „Urworte der Christenheit, die eine lange
geschichtliche Wirkung hinter sich haben", „ihre Mächtigkeit in
den Tiefen der Menschheitsseele" behalten, „auch wenn neuzeitliches
Denken solche Worte ehrfurchtslos beiseite schieben
möchte" (S. 69). „Seien wir darum nicht zu ängstlich im Gebrauch
der biblischen Sprache, die von ihrer überzeitlichen Kraft und
Größe nichts eingebüßt hat!" (S. 70). In der Exegese weist K.
darauf hin, daß das Johannesevangelium mit seiner andersartigen
Sprache „voll ist vom Geschmack der Rechtfertigung" (S. 71),
daß Paulinische Christusmystik in der Rechtfertigung ihren Er-
möglichungsgrund sieht (S. 72), daß persönliches Heilsverlangen
(Rechtfertigung) und Reich-Gottes-Schau im Neuen Testament
nie gegeneinander ausgespielt werden (S. 73), daß kosmische
Christologie (Kolosserbrief!) und Rechtfertigung eng zusammengehören
(S. 74). Systematisch-theologisch hat vor allem P. Tillich