Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

58-59

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Luijk, Henk van

Titel/Untertitel:

Philosophie du fait chrétien 1967

Rezensent:

Burgert, Helmuth

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 1 58

57

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

S o I o w j o w , Wladimir: Drei Gespräche. Deutsch von Erich Müller-
K a m p. Hamburg-München: Ellcrmann 1961. 310 S. kl. 8° = Kleine
russische Bibliothek, hrsg. v. J. v. Gucnthcr. Lw. DM 12.80.

In der von Johannes von Guenthcr herausgegebenen, in
Form und Ausstattung sehr ansprechenden „Kleinen Russischen
Bibliothek" sind außer zahlreichen belletristischen Werken drei
Bände aus dem Bereich der russischen Religionsphilosophie erschienen
. Der erste enthält eins der bekanntesten Werke dieser
„Bewegung": Solovjevs „Drei Gespräche über Krieg, Fortschritt
und das Ende der Weltgeschichte mit Einschluß einer kurzen Erzählung
vom Antichrist". (Ich kann nicht verstehen, warum
Müllcr-Kamp, ebenso wie andere Herausgeber dieses Werkes,
den schönen und dem Inhalt voll angemessenen Titel willkürlich
kürzt und damit verstümmelt. Nirgends im Buch, auch nicht im
Nachwort, finde ich den vollständigen Titel.)

Die vorliegende Ausgabe ist der nur leicht überarbeitete
Abdruck einer früher schon zwei Mal (1947 und 1949) in anderen
Verlagen veröffentlichten Ausgabe dieses Werkes durch
Müller-Kamp, — eine Tatsache, die nirgends im Buch erwähnt
wird und doch eigentlich Erwähnung verdiente.

Schade, daß Müllcr-Kamp auf eine sorgfältige Überprüfung
seiner älteren Übersetzung verzichtet hat: es wäre so mancher
Fehler auszumerzen, so manche unglückliche Wendung zu verbessern
gewesen. Statt dessen habe ich schon auf der ersten von
mir überprüften Seite einen neuen sinnentstellenden Fehler gefunden
(S. 26). Eine ausführliche Arbeit über den Text der „Drei
Gespräche", die ich 1959 in der „Welt der Slaven" veröffentlicht
habe, hat der Übersetzer nicht benutzt. So ist diese Ausgabe der
„Drei Gespräche" in keiner Weise ein Fortschritt.

Tübingen Ludolf M ül 1 c r

Rosanow, Wassilij: Solitaria. Ausgewählte Schriften. Deutsch von
H. Stammler. Hamburg-München: H. Ellermann 1963. 323 S. kl.
8° = Kleine russische Bibliothek, hrsg. v. J. v. Guenther. Lw.
DM 17.80.

Rozanow (1856—1919) war ein höchst eigenwilliger, origi-
gincllcr, zu Extremen und Paradoxen neigender Denker, dazu ein
glänzender Stilist, als solcher mit Nietzsche zu vergleichen, wie
dieser besonders den Aphorismus liebend, aber lebenswärmer,
blutvollcr als Nietzsche. Ähnlich wie dieser verwarf er (wenigstens
zeitweise) das Christentum, weil es zu wenig imstande sei,
die „Pravda": die Wahrheit, das Recht, die Gerechtigkeit des
natürlichen Lebens zu begreifen. Er liebte das Alte Testament
mehr als das Neue; am meisten aus der ganzen Bibel das Hohe
Lied. Er konnte sagen, in einem Stier, der eine Kuh deckt, sei
weit mehr Theologie als in den Geistlichen Akademien. Aber es
ging ihm eben doch um die Theologie. Er liebte Gott in
der ekstatischen Lebensbcjahung. Und er liebte doch auch den
„allersüßcstcn Jesus", der ihm herrlicher war als alles in der Welt,
gegen den selbst ein Gogol nur leeres Stroh sei.

Starke Wirkungen sind in den Jahren von 1890 bis 1920
von Rozanov ausgegangen, auf viele Gebiete des russischen
Geisfeslebens. Der vorliegende Auswahlband zeigt, daß Rozanov
uns auch heute noch zu erschüttern vermag. Ein einleitender
Essay des Übersetzers führt in Leben und Denken des seltsamen
Mannes ein. Die Übersetzung habe ich nicht prüfen können;
Originalausgaben der Werke Rozanovs sind bei uns selten.

Tübingen Ludolf Müller

Schestow, Lew: Spekulation und Offenbarung. Essays und kritische
Betrachtungen. Deutsch von H. R u o f f. Hamburg-München: H. Ellermann
1963. 457 S. kl. 8° = Kleine russische Bibliothek, hrsg. v.
J. v. Guenther. Lw. DM 22.80.

Sestov, geboren 1866 in einer jüdischen Familie in Kiev, gestorben
1938 in Paris, ist leidenschaftlicher Irrationalst. Er steht
der dialektischen Theologie nahe, bekämpft alle Versuche, Vernunft
und Offenbarung auszusöhnen, ist Gegner aller „Rationalisten
" von Aristoteles bis zu Hegel und Solovjcv. Er sieht und

interpretiert vieles falsch (gerade bei Solovjev), aber die Kraft
und Leidenschaft seines Denkens und Schreibens reißt mit, auch
wo er zum Widerstand herausfordert.

Der hier vorgelegte Band enthält eine Reihe von Essays.
Der längste, „Spekulation und Offenbarung", der dem Sammelband
den Titel gegeben hat, ist der Auseinandersetzung mit
Solovjev gewidmet. Die andern, ungleichmäßig nach Breite und
Tiefe, behandeln Rozanov, Fedorov, Tolstoj, Dostojevskij,
Kierkegaard, Berdjajev, Husserl und andere. Ein Essay Berd-
jajevs über Sestov (die beiden waren befreundet) ist dem Buch
vorangestellt. Die deutsche Übersetzung habe ich nicht im Original
prüfen können.

Tübingen Ludolf Müller

Baacke, Dieter: Die alte und die neue Welt. Zu einigen Gedichten

Bert Brechts (DtPfBl 66, 1966 S. 582—585).
Burckhardt, Carl J.: Begegnung mit Paul Claudel (Universitas 21,

1966 S. 347—3 50).
Göhl er, Hulda: Franz Kafkas Prozeß in der Sicht seiner Sclbst-

aussagen (ThZ 22, 1966 S. 415—439).
Pick, John: Gerard Manley Hopkins. Priest and Poet. 2»<1 ed. London

— New York — Toronto: Oxford Univcrsity Press 1966. XU, 169 S.,

1 Taf. 8° = Oxford Paperbacks, 108. 8 s. 6 d.
Zimmermann, Ingo: Reinhold Schneider. Berlin: Union Verlag.

[1966]. 39 S., 9 Abb. kl. 8° = Christ in der Welt, 9. MDN 2.20.

PHILOSOPHIE UND RELIGIOJSSPHILOSOPHIE

L u i j k , Henk van, S. J.: Philosophie du fait chretien. L'Analyse criti-
que du christianisme de Henry Dumery. Texte francais de Rene An-
drianne, S. J. Paris/Bruges: Desclee de Brouwer [1964]. 316 S. 8° =
Museum Lessianum section theologique, 60. Lw. bfr. 300.—.

Der katholische Theologe und Philosoph, über den hier ire-
nisch-polemisch gehandelt wird, ist der jetzt 45 jährige Henry Dumery
, dessen sämtliche theologische und philosophische Publikationen
1958 auf den Index kamen. D. gilt dem Hl. Offizium als Modernist
; was diese Institution dem — seinerzeit vielen als modernistisch
geltenden — Werke Blondels (1861—1949), dessen Grundbegriffe
D. vielfach übernimmt, nicht antat, das hat sie dem Manne zugefügt
, der zwei bedeutende, keineswegs radikal negative Arbeiten
über Blondel veröffentlicht hat: „La philosophie de l'action"
(über den Intellektualismus B.s), Paris 1948 und „Blondel et la
religion", Paris 1954. Jedenfalls gilt D. der römischen Kirche als
Modernist im Sinne der Enzyklika „Pascendi" (1907), die bekanntlich
den Modernismus wohl allzu summarisch als omnium
haereseon collcctum bezeichnet. Eine im Juni 1958 erschienene,
an jene Indizierung anschließende Kritik im „Osservatore Romano
" wirft dem also geächteten Theologen u. a. eine total falsche
Auffassung der analogia entis vor; ein Jahr später hat D. inbezug
auf diesen schwierigen Begriff eine Retraktation vorgenommen.
Aber hat das genügt?

Die offiziellen und offiziösen Vorwürfe gegen D. sind umso
erstaunlicher, als dieser sich in seinem Buch „Philosophie de la
religion" (Bd. II, Paris 1957) ausdrücklich als nicht-modernistisch
verstanden wissen will und — im römischen Sinne ganz
richtig — den Modernismus einen „immanentisme" nennt. Die
ganze Angelegenheit zeigt — darin hat van Luijk recht —, wie
schwierig es sein kann, die eigentlichen Intentionen eines theologischen
Autors exakt zu erkennen, zumal in dem Grenzbereich
zwischen Theologie und Philosophie, van L. versucht nun, nachdem
die aufsehenerregenden, hier wenigstens in grobem, aber
deutlichen Umriß verzeichneten Diskussionen über D.s Schriften
verrauscht sind, den Sturm im (theologischen) Wasserglas sine ira
und par distance zu betrachten, indem er im ersten Teil seiner
Untersuchung die Positionen des umstrittenen Gelehrten resümierend
wiedergibt und im zweiten Teil sich bemüht, ein gültiges
theologisches Urteil über jene Positionen zu erarbeiten. Das
Ganze also ein — fast pastoral anmutender — Versuch, mit D.
sachlich-affektlos zu reden und somit die heiße Atmosphäre des
einstigen Kampfes zu temperieren, aber auch das Bemühen, dem
„propos fondamcntal" des Verurteilten gerecht zu werden; also
so etwas wie eine „Rettung" (wir denken an Lessings „Rettungen