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Ausgabe:

1967

Spalte:

794-795

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Leist, Fritz

Titel/Untertitel:

Über Leben, Lüge und Liebe 1967

Rezensent:

Rensch, Adelheid

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793

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 10

794

cur" von D. Gottfried Voigt, dem bisherigen Studiendirektor des
Predigcrkollegs Leipzig, vor. Ihnen vorausgegangen sind die
Meditationen über alttestamentliche Texte aus der „Ordnung
der Predigttexte", „Der helle Morgenstern", Berlin 19613, und
„Das verheißene Erbe", Berlin 1965. Sofern dort schon alttestamentliche
Texte der sechsten Reihe bearbeitet wurden, sind sie
in mehr oder weniger überarbeiteter Form übernommen worden
(lediglich die über Dan. 5, 1-30 zum drittletzten Sonntag
im Kirchenjahr ist neu hinzugekommen). Zwei Texte erscheinen
in anderer kirchenjahresmäßiger Zuordnung: Jes. 49, 1-6 (am
Johannistag statt für den 1. Sonntag nach Epiphanias im „Hellen
Morgenstern") und 1. Kön. 19, 1-8 (am 5. nach Trinitatis
statt für den 20. n. Trin. im „Hellen Morgenstern"). Das Beispiel
zu Jes. 49, 1-6 zeigt, wie stark die Kirchenjahresordnung
auf das Gesamtverständnis einzuwirken in der Lage ist bis zur
Verfremdung der Exegese; Voigt ist sich der Gefahr bewußt,
daß die Perikopisierung u. U. schon eine theologische Vorentscheidung
impliziert und verhält sich zu der jeweiligen Periko-
penansetzung und -abgrenzung durchaus kritisch. Hier wären
erhebliche Rückfragen an die Väter der Reihen zu richten.

Der Verfasser möchte ohnehin seine Arbeit nicht so verstanden
wissen, als sollte das eigene Urteil und die eigene Entscheidung
überflüssig gemacht werden. Er warnt ausdrücklich vor
einem solchen Mißverständnis und einem entsprechenden Mißbrauch
seiner Meditationen. Wer sich aber so warnen läßt, wird
bei dem Umgang mit Voigts Meditationen viel Hilfe erfahren
und ausdrückliche Ermutigung, sowohl der junge Prediger, der
in die Predigtarbeit noch hineinwachsen will, wie der alte Prediger
, der in die Gefahr der Ermüdung zu geraten droht, überhaupt
jeder, der von der Befürchtung geschreckt ist, die Texte
könnten nicht „ergiebig" genug oder von unserer Zeit zu weit
entfernt sein. Denn diese Meditationen sind bewußt darauf angelegt
, den Brückenschlag von der Exegese zur Predigtgestaltung
einzuüben. Die nötigsten exegetischen Einsichten sind sehr
knapp zusammengefaßt und den eigentlichen Meditationen vorangestellt
. Und diese sind eminent praxisbezogen, davon sei zunächst
die Rede, ehe auf ihre Sachbezogenheit eingegangen wird.

Man wird sich an der munteren Darstellung immer wieder
freuen. Die Sprache der Gegenwart wird geredet, eine Fülle von
Bildern steht dem Verfasser zur Veranschaulichung zur Verfügung
. Die Konkretheit der Darstellung ist offensichtlich aus dem
Umgang mit dem Alten Testament gewonnen. Der Verfasser
scheut sich nicht, auch gewagte Bilder zu benutzen und in der
Sprache bis an den Rand des Jargon zu gehen. Überall spürt man
sein leidenschaftliches Bemühen, den Bezug zu der Wirklichkeit
des Menschen von heute herzustellen. Es geht aber nicht um
Modernität um jeden Preis. Das Leben der Gemeinde, die Wirklichkeit
der Kirche, der Gottesdienst, das sind die ersten Bereiche
, zu denen lebendige Beziehungen hergestellt werden (Liturgie
, Lesungen, Wochenspruch, Evgl. Kirchengesangbuch). Aber
von dort her ist unsere ganze differenzierte und vor allem durch
die moderne Technik bestimmte Welt im Blick. Ihr soll die Sache,
die in den Perikopen verhandelt wird, ansichtig werden.

Das geschieht in der sehr konzentrierten systematischen Reflexion
, ohne doch auch jene Elemente der Meditation aus dem
Auge zu verlieren, die mit „Innenschau" und „Versenkung in die
Bewußtseins- (oder Untcrbewußtseins-)schicht der Bilder* gemeint
ist.

Man kann fragen, ob die reflektorisch-systematische Verarbeitung
der Texte nicht schon zu weit getrieben ist. Trotz Abwehr
des Verfassers im Vorwort wird mancher Benutzer versucht
sein, diese straff gegliederten Entwürfe, vielfach mit ausgezeichneten
Paraphrasierungen, ohne Federlesens als Grundriß
seiner Predigten zu übernehmen. Die oft kaum überbietbare
Konkretheit der Darstellung könnte die Eigenbewegung des Benutzers
womöglich doch zu stark blockieren. Andererseits ist
die Ermutigung gegeben, es dem Verfasser nachzutun und die
Konkretheiten der Texte selber aufzuspüren. Nach verschiedenen
Seiten ist der Verfasser im Gespräch. Auch in dem Meditationsteil
wird, wo nötig, das exegetische Gespräch weitergeführt,
zum Teil kräftig polemisch mit der theologischen Dürre mancher
Kommentare, mit vorhandenen oder befürchteten Abseitigkeiten
moderner theologischer Dialekte. Die Zeitgeschichte der
Texte wird erleuchtend ins Feld geführt. Einleitungsfragen werden
berührt, sofern sie für das Verständnis der Sache des Textes
hilfreich sind. Das hermeneutische Gespräch der Gegenwart
steht im Hintergrund. Daß es nicht in aller Breite geführt wird,
hindert die strenge Bezogenheit auf den besonderen Inhalt des
jeweils vorliegenden Textes. Freilich - um der jungen theologischen
Benutzer willen möchte man ein stärkeres Eingehen auf
Kardinalfragen der Hermeneutik, z. B. die Fragen von Faktizi-
tät und Wirklichkeit, etwa bei den Festtagsperikopen sich doch
wünschen.

Besonders dankbar aber muß man dem Verfasser für die
überaus geschickte und hilfreiche Weise sein, die Relevanz der
Texte für die theologische Systematik aufzuweisen. Ungezwungen
und doch eingehend, vom Text angeregt und dirigiert, werden
schwierige theologische Probleme, Sakrament, Schriftverständnis
, Gerechtigkeit und Rechtfertigung, Taufe, Wiedergeburt,
Prädestination, Eschatologie und mehr verhandelt. Es ist nur
zu bedauern, daß nicht wie in den anderen beiden Meditationsbänden
ein Register theologischer Begriffe die systematische
Orientierung erleichtert. Diesem Mangel sollte eine spätere Auflage
abhelfen.

Es ist gewiß nicht zu viel gesagt, daß diese Predigtmeditationen
ein gutes anschauliches Beispiel sind, wie die Einführung
in theologische Problematik (grundlegend und auch jeweils
neu) zu erfolgen hätte. Nicht der Überblick über Disziplinen
und die Einführung in sie - als Forschungsbereiche - ist dem
Anfänger (und welcher Theologe im Pfarramt wüßte sich nicht
in die Gnade immer neuen - und dann freilich vertieften - Anfangens
versetzt) not, sondern die Erfassung biblischer Texte
in ihrem Sachgehalt und in dessen Konsequenzen für die Rechenschaftslegung
des Glaubens und für die Lebensgestaltung
des einzelnen Christen wie der Gemeinde. Aus dieser Sicht wären
die Predigtmeditationen geradezu ein Beitrag zu einer Stu-
dicngestaltung des Theologen, sowohl des jungen Anfängers,
der in der Fülle des theologischen Stoffes und der einzelnen
Probleme zu ertrinken droht, wie des älteren Praktikers, der vor
der Anfechtung seiner Müdigkeit nicht resignieren will, pädagogisch
sinnvoller als weithin unser gewohnter theologischer
Lehrbetrieb.

Lutherstadt Wittenberg Paul Wätiel

Leist, Fritz: Über Leben, Lüge und Liebe. Wege zu sich selbst.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1966]. 142 S. kl. 8" = Herder-
Bücherei, 245.

Der moderne Mensch wird sich zur ernsten Besinnung gerufen
und doch verstanden fühlen, wenn er die Schrift des Professors
für Philosophie und Religionsgeschichte an der Universität
München liest. Denn hier werden in sehr lebendiger, anschaulicher
und allgemeinverständlicher Form wesentliche Konflikte
, Gefahren und Aufgaben des Lebens darstellt. In Fall-
darstellungen und im dialogischen Stil läßt der Verfasser
den heurigen Menschen in Erscheinung treten und zu
Wort kommen. Schon das ist hilfreich. Darüber hinaus
gelingt es dem Verf. durch tiefen psychologische Erhellung (bei
kluger Vermeidung von Fachausdrücken), das Selbstverständnis
des Menschen zu vertiefen, sein Gewissen zu schärfen und auf
seine Fragen Antwort zu geben. Besonders wertvoll sind viele
ganz konkrete Hinweise und Ratschläge zur Überwindung unserer
Lebensnöte. Da diese mit Recht in Zusammenhang mit unserer
Neigung zur Selbsttäuschung und Unwahrhaftigkeit - bis
hin zur Lebenslüge - gesehen werden, beginnt der Verf. mit
einem Kapitel „Unruhe über mich selbst" und gibt als Hüte
zur Selbsterkenntnis z. B. den guten Rat, allabendlich den Tag
zu überprüfen, die Phantasie- und Traumbilder zu kontrollieren
und auf Übertreibungen und gespielte Rollen zu verzichten. -