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Ausgabe:

1967

Spalte:

790-791

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Das religiöse Fundament des moralischen Handelns 1967

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Die erstrebte Vermittlung bezog sich auch auf den konfessionellen
Gegensatz Lutherisch-Reformiert. Daher fragten die
Vermittlungsthcologen nach dem die Union ermöglichenden
. Prinzip des Protestantismus''. Der erste, „der. .. die Termini
formales und materiales Prinzip als ein doppeltes Prinzip des
Protestantismus" gebrauchte, ist, soviel man weiß, de Wette
(158). H. analysiert die komplizierte Entwicklung des Sprachgebrauchs
bei de Wette, Twesten und Dorner, der bereits bei Twe-
sten „die klare Anknüpfung an einen präzisierten philosophischen
Sprachgebrauch, sei es an die objektiv-metaphysische forma interna
des Aristotelismus (bei der Orthodoxie) oder an die apriorischen
Vernunftsprinzipien Kants, verliert" (165). Die Schrift
heißt Formalprinzip, weil sie die Quelle der Wahrheit ist, »jedoch
in dem Sinne, daß wir aus ihr nur ,mit freiem Urteil'
schöpfen sollen" (162). Materialprinzip (maßgeblich für das
Schriftverständrüs) ist nach de Wette und Twesten die Rccht-
fertigungslehre, nach Nitzsch und Dorner die Rechtfertigung als
Lebenserfahrung (165 f). Im Grunde ist das Doppelprinzip ein
Ausdruck der Vermittlung von Objektivem und Subjektivem,
Göttlichem und Menschlichem, wie sie der Vermittlungstheologie
immer am Herzen liegt.

Die Vermittlungstheologie zieht aus ihrem Ansatz folgende
dogmatische Folgerungen: 1) Jede Lehre ist Ergebnis der Reflexion
über die Glaubenserfahrung. 2) Da das religiöse Erlebnis
sich auf einen Gegenstand bezieht, der apriorischen Ideen
entspricht, läßt sich der Inhalt des Dogmas objektiv und spekulativ
bearbeiten (gegen Schlciermacher). 3) Jede Lehre ist zeitgebunden
und nur so weit verpflichtend, wie sie dem durch die
apriorischen Ideen bestimmten Wesen des Christentumstypus
entspricht. 4) Die Kirchenlehre hat einen relativen Wert, so daß
der Vermittlungstheologe konservativer erscheinen kann, als er
tatsächlich ist. Vor dem Angriff der Wissenschaft zieht er sich
auf eine Position hinter dem äußeren Gewand der Frömmigkeit
zurück. 5) In der Deutung der protestantischen Lehre verfährt
die Vermittlungstheologie unhistorisch. „Sie sieht nämlich
darüber hinweg, wie der klassische Protestantismus selbst das
Dogma begründete und betrachtet es statt dessen als einen intellektuell
nicht befriedigenden Ausdruck eines religiösen Grundprinzips
, das erst die Theologie des 19. Jahrhunderts aufgestellt
hat" (182 f). 6) Die Vermittlung von Lutherisch und Reformiert
erscheint als Synthese von These und Antithese auf Grund des
gemeinsamen protestantischen Prinzips. - Die ethischen Konsequenzen
führen zu einer Beisei tescheibung des Dekalogs als
eines nur äußeren Gesetzes. Entscheidend ist die Persönlichkeit
und das sie bestimmende „Gesetz der Freiheit", das idealistisch
verstanden wird. Die menschlichen Gemeinschaftsformen in
Kirche und Staat werden geschätzt, wobei der Organismusgedanke
angewendet wird.

In dem abschließenden Ausblick vertritt H. die These, daß
sich die Vermittlungstheorie in ihrem Grundtyp wesentlich vom
Ritschlianismus unterscheide, der nachdrücklich an den Rationalismus
des 18. Jahrhunderts wieder anknüpft.

Errata: S. 129 Zeile 30 lies: legte statt: verlegte; S. 139 Z. 17:
die Fähigkeit statt: der F.: S. 179 Z. 28: Ansichten st.: Absichten;
S. 193 Z. 5, 19, 36: Dekalogcs st: Dekalogen.

Hallo / Saale Erdmann Schott

W e i ß b a c h , Jürgen: Christologie und Ethik bei Dietrich
Bonhoeffer. München: Kaiser 1966. 47 S. gr. 8° = Theologische
Existenz heute, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichhob:, N. F. 131.
DM 4.-.

Weißbach setzt die spärlicher gewordenen Monographien
zur Theologie Bonhoeffers auf der methodisch durch J. Molt-
mamns Arbeiten zum Thema vorgezeichneten und bewährten
Linie fort. Stärker als bisher kommen wichtige Äußerungen B.s
aus seinen inzwischen edierten „Gesammelten Schriften" zu
Wort. Durchgehend wird auf sachliche Parallelen im Denken
Karl Barths verwiesen. Auseinandersetzung erfolgt mit Barths
Kritik an B.s Lehre von den Mandaten. Die Darstellung ist konzentriert
, zuweilen knapp. - B., während seines ganzen Werkes
mit der ethischen Frage beschäftigt, hat schon früh „die

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sozialen Grundbeziehungsbegriffe" (9) christologisch begründet
und durchdacht. Eine durchgehende Linie von entscheidender
Bedeutung stellt der Stellvertrefcungsgedanke dar, in welchem, wie
W. meint, „von Anfang an die Universalität angelegt" war (23A.).
„Durch Christus, der das Leben ist, gibt es nur Leben in Stellvertretung
als Form verantwortlicher Existenz" (16). Die universale
Weite der Christusherrschaft erreicht B. später in der
dialektischen Bestimmung der Einheit und Ganzheit der Gottes-
und Weltwirklichkeit im Inkarnations- und Rechtfertigungsgeschehen
. Ethisch bedeutsam wird dies in der aus dem Rechtfertigungsgeschehen
sich ergebenden Differenzierung, die zur
Bestimmung der Weltwirklichkeit als „Vorletztes" führt. In sie
ist der Mensch gestellt, und hier entstehen die ethischen Probleme
. Denn das Vorletzte hat sein (begrenztes) Recht. W. zeichnet
speziell Ausführungen B.s zur Problematik des Gewissens
nach. Nach der so auf ihre ethische Relevanz hin dargelegten
Christologie, entfaltet an den Themen Person, Gemeinschaft,
Stellvertretung, Wirklichkeit und Mensch, schreitet W. zu einzelnen
ethischen Grundfragen fort. Sie stehen unter der Überschrift
„Das Gebot". Denn: „Das Ethische bewacht ,die unüber-
schreitbare Grenze des Lebens' (E'296) und hat für gewisse Zeiten
sein Recht. Biblisch gesprochen ist es das Gesetz (E 302).
.Gottes in Jesus Christus geoffenbartes Gebot umfaßt' - dagegen
- ,das Ganze des Lebens...' (E296)" (36). Darum ist es
weder in der geschaffenen Welt noch in den biblischen Weisungen
zu finden, Bergpredigt und Doppelgebot eingeschlossen (!).
Anschließend bringt W. B.s Lehre von den Mandaten. Ihre Konkretheit
und vollständig christologische Begründung sowie ihre
abendländische Begrenztheit treten klar heraus. W. resümiert:
Dogmatik und Ethik fallen bei B. nicht auseinander. Seine Ethik
ist „eine Entfaltung der Theologie des Barmer Bekenntnisses"
(46). - W. behält das Offenbarungsgeschehen in Menschwerdung
, Kreuz und Auferstehung bei B. unverkürzt im Auge. Dadurch
ist er der Aufgabe einer systematischen Konturierung der
Theologie B.s, einschließlich bestimmter Linien, die bis WE2 laufen
, gerecht geworden. Die offenen Ansätze aus WE kommen so
allerdings nicht mehr in das Blickfeld.

Halle / Saale Rudolf Schulie

') E = Bonhoeffer, Ethik.

2) WE — Widerstand und Ergebung.

ETHIK

Tillich, Paul: Das religiöse Fundament des moralischen Handelns
. Schriften zur Ethik und zum Menschenbild. Stuttgart:
Evang. Verlagswerk [1965]. 240 S. 8° = Gesammelte Werke,
hrsg. v. R. Albrecht, III. Lw. DM 23.80.
Mit diesem Bd. III hat sich die Zahl der in Paul Tillichs „Gesammelten
Werken" vereinigten Bände auf sieben erhöht. Er
enthält 12 kleinere Arbeiten. Die ältesten entstammen den Jahren
1926, 1936 und 1938. die übrigen sind 1952 bis 1961 entstanden
. Es sind auch Texte von kleinstem Umfang aufgenommen
, zwei derselben bleiben unter vier Seiten. Die verdiente
Herausgeberin hat, wie es schon der Titel des ganzen Bandes
andeutet, unter Absehung von der chronologischen Reihenfolge
die Aufsätze systematisch geordnet: „Zur Ethik" entstanden so
zwei Gruppen „A. Grundlegung" und „B. Sozialethik"; fünf durchweg
kurze Aufsätze „Zum Menschenbild" sind vor allem dem
Selbstverständnis des modernen Menschen gewidmet. Fraglich
erscheint mir in dieser Zusammenordnung eigentlich nur die
zweite Gruppe, in der der Aufsatz über die Bedeutung der Kirche
für die Gesellschaftsordnung in Europa und Amerika (Tillich hat
nur Nordamerika im Blick) zweifellos sozialethischer Natur ist;
aber die beiden Aufsätze über das Verhältnis von Christentum
und Marxismus bzw. dialektischem Materialismus und der Beitrag
über die Judenfrage sind doch nur in einem sehr ausgedehnten
Sinne als „sozialethisch" zu bezeichnen.

Der wichtigste Aufsatz der vorliegenden Sammlung ist zweifellos
der erste und ausgreifendste über „das religiöse Fundament
des moralischen Handelns". Er ist schon deshalb von Bedeutung
, weil sich hier Tillich einmal grundsätzlich mit Fragen

Theologische Litcraturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 10