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Ausgabe:

1967

Spalte:

781-782

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Forsche, Joachim B.

Titel/Untertitel:

Zur Philosophie Nicolai Hartmanns 1967

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Neben diesen Hauptthemen stehen eine Reihe kleinerer Artikel
, darunter in unserem Zusammenhang hervorzuheben Eremitage
(L. Hager), zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Einsiedlerwesens
. Auf die vorzüglichen Abbildungen gerade auch
aus schwer zugänglichen Gebieten sei eigens verwiesen. Abschließend
ist auch diesmal der hohe wissenschaftliche Rang und der
gerade dem Theologen aus der Anschaulichkeit theologiegeschichtlicher
Erscheinungen erwachsende Nutzen zu betonen.

Heidelberg Erika Dinkler-von Schubert

PHILOSOPHIE UND
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Forsche, Joachim B.: Zur Philosophie Nicolai Hartmanns.

Die Problematik von kategorialer Schichtung und Realdetermination
. Meisenheim/Glan: Hain 1965. IX, 163 S. gr. 8° = Monographien
z. philosophischen Forschung, begründet v. G.
Schischkoff, 41. DM 19.10.

Diese Arbeit ist an sich eine vorzügliche Wiedergabe der Philosophie
N. Hartmanns, die freilich gerade durch ihre Klarheit
und durch Konzentration auf die Leitgedanken (was Vergröberungen
unumgänglich macht) gewissen Einwänden gegen N. Hartmann
, besonders Zweifeln an der Sinnhaftigkeit seines Vierschichtenschemas
, einige Nahrung gibt. Dies wird noch dadurch
provoziert, dafj Forsche ganz von der Mentalität geprägt ist,
daß in Gestalt der sog. neuen Ontologie endlich eigentlich wissenschaftliche
Philosophie Metaphysik und Spekulation abgelöst
habe. Aber mancher Problem verzieht und das Schema wahrfalsch
auch am Letzten und Tiefsten, wo die antinomische
Schwebe uns philosophischer scheint, sind der Preis für diese
Konzeption, die .den Aufbau der realen Welt' bloß noch beschreibt
, aber zum Wagnis der großen Erklärungsversuche, die
die Philosophiegeschichte kennt, kaum mehr ein inneres Verhältnis
hat, was sich im Referat Forsches noch verstärkt. Damit
soll das Verdienst dieser Philosophie, nach dem Tiefpunkt neukantianischen
Psychologismus' überhaupt wieder eine Ontologie
aufgebaut zu haben, nicht verkleinert werden, und die zugleich
knappe wie sorgfältige Art, in der Forsche sie skizziert,
sei als wertvolle Hilfe dringend empfohlen. Viele Einzelanaly-
sen bringen Ordnung und Klarheit in derart verworrene Probleme
wie das menschlicher Freiheit im Naturdeterminismus.
Aber daß - was die Gesamtkonzeption anbetrifft - mit jeder
höheren „Schicht" (dem Organischen, Seelischen und Geistigen
über dem Anorganischen) ein „kategoriales Novum" einsetze und
die Art, wie von diesem Schema aus viele Probleme tt E. vor
wegentschieden werden, erscheint als Vervierfachung des Des-
cartesschen Dualismus. Und so wenig Descartes von diesem Ansatz
aus dem Tier gerecht werden konnte (welches er als bloßen
Apparat verstehen mußte), so wenig gelingt dies N. Hartmann
mit seiner, von Forsche stark heraiisqcstellten, Voraussetzung
, daß es unterhalb menschlichen (Zeit-) Bewußtseins keine
Finalität geben könne (eine durch rein gedankliche Überlegungen
gewonnene und primär hierauf stehende Voraussetzung).

Es braucht nichts mit theologischer Apologetik zu tun zu
haben, wenn man diese Voraussetzung abweist, jedenfalls wenn
ihre Konsequenz die ist, daß auch die raffiniertesten „Anlagensysteme
" tierischer Lebenstechnik als Ergebnisse zufälliger Selektionen
verstanden werden sollen (S. 78 f., 137). Das ist einfach
intellektuell nicht zumutbar und nur in philosophischer
Abstraktion behauptbar (besonders bei Verquickung mit dem
völlig anderen Problem der Abwehr eines teleologischen Gesamtweltbildes
, s. S. 89). Gerade eine Philosophie, die so sehr Grenzen
menschlicher Erkenntnis beteuert wie die N. Hartmanns,
und ein Referent wie Forsche, der gegen „Geulincxens rationalistisches
Axiom" formulieren kann .wovon man nicht einsieht,
wie es geschehen könnte, das kann offenbar sehr wohl geschehen
" (S. 81, vgl. 133 oben), sollten dafür geöffnet sein, daß man
die Aporetdk im Aufbau der realen Welt auch in dem Widerspruch
sehen kann: daß Teleologie (als kontradiktorischer Gegensatz
zum reinen Mechanismus oder Kausalfluktus, ohne den
Zwischenbegriff eines nexus organicus zu dulden, dessen Ganzheit
ohne Finalität zumindest im Blick auf die Genese schleier-

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haft bleibt) unterhalb menschlichem Bewußtsein bzw. Geist zugleich
nicht möglich zu sein scheint und doch als Blickrichtung
des Weiterfragens und um des Einklanges mit der lebendigen
Wirklichkeit willen postuliert werden muß.

Auch erscheint menschliches Bewußtsein sonst doch wieder,
wie im Idealismus, vergottet, wenn es also, statt als biologisch
zweckmäßige Weiterentwicklung verstanden zu werden (was Willen
und .Denken' vor ihm voraussetzt), zur Vorausbedingung
für Zweckmäßigkeit in der Welt überhaupt erklärt wird. Darwins
Selektionstheorie gerät bei dieser philosophischen Basierung
in einen seltsamen Gegensatz zu seiner Evolutionstheorie;
und dem Menschen .fällt das metaphysische Erbe Gottes zu'
(s. S. 86). (Zu Hartmanns Atheismus um menschlicher Freiheit
willen s. bes. S. 90 f.; Forsches eigener Schematismus theistischen
und atheistischen Philosophierens auf S. 152 - so ist es doch
gemeint? - liegt in seiner Undifferenziertheit und in der Vagheit
mancher Formulierung erheblich unterhalb des Niveaus seiner
im ganzen und als darstellende Leistung ausgezeichneten
Arbeit).

Berlin Hans-Georg Frltische

Barth, Heinrich: Erkenntnis der Existenz. Grundlinien einer
philosophischen Systematik. Basel-Stuttgart: Schwabe & Co.
[1965]. 740 S. gr. 8°. Lw. DM 58.-.

Das Buch über die „Erkenntnis der Existenz" des 1965 verstorbenen
Basler Philosophen gehört in die Reihe der bedeutenden
Auseinandersetzungen mit dem seit Kierkegaard philosophisch
wie theologisch zentralen Problem der Existenz. Es leistet
darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Klärung des
Verhältnisses zwischen Philosophie und Theologie, ohne die
Grenze zwischen Philosophie und Glauben je zu verwischen.
Geht mit ihm doch unter anderem ein philosophisch-theologisches
Gespräch zu Ende, dessen Anfänge bis in die zwanziger Jahre
zurückreichen, und das durch Hermann Diems Schrift „Kritischer
Idealismus in theologischer Sicht", München 1934, schon längst
eine glänzende Darstellung erfahren hat. Die entscheidenden,
noch für Barths letzte Publikation gültigen Gesichtspunkte sind
dort in aller Klarheit herausgearbeitet.

Von zusätzlichem Interesse ist aber, daß mit „Erkenntnis der
Existenz" erstmalig der Versuch einer umfassenden existenzphilosophischen
Systembildung vorliegt. Einer Systembildung, von
der aus insofern viele Fragen der Tradition und der eigenen Gegenwart
in einem neuen Licht erscheinen, als sie die Existenz
als verborgenes Fundament auch schon der klassischen Philosophie
herauszusteilen sucht. Das Bindeglied, das den Zusammenhang
gewährleistet, ist Barths Bestimmung der Existenz als Erkenntnis
. Damit liegt der existentielle Bezug alles Philosophierens
auf der Hand. Als die kritische Erhellung der das jeweilige
Existieren auslegenden Begriffe im Horizont der Geschichte
ereignet sich Philosophie immer schon als Entwurf von Existenz,
freilich ohne sich darin auch bewußt zu werden. In dem Sich-
bewußtoverden der Philosophie als Erkenntnis der Existenz sieht
Barth die geschichtliche Bestimmung des gegenwärtigen Philosophierens
. Und in dieser Hinwendung zur Existenz als zentralem
Problem weiß er sich einig mit seinen existenzphilosophischen
Zeitgenossen. Doch darf dabei von der kritischen Frage
nach der Bedingung der Möglichkeit einer Erkenntnis der Existenz
nicht abgesehen werden. Dies um so weniger, wenn man
sich klarmacht, daß Erkenntnis der Existenz nur unter der Voraussetzung
ein sinnvolles Unternehmen sein wird, „daß wir mit
unserer Existenz in einer Erkenntnisfrage existieren" (S. 70). Weil
das Nachdenken über Existenz darin gründet, daß wir mit unserer
Existenz von vornherein in einer Erkenntnisfrage existieren
, ist für Barth Existenzphilosophie allein „im Zeichen der
Transzendentalphilosophie" (S. 9) möglich. Sie ist Rückfrage auf
die konstitutiven Prinzipien der Existenz, sofern Existenz in der
existentiellen Erkenntnis selbst stets in Krise steht. An diesem
zentralen Punkt unterscheidet sich sein Denken trotz mancher
sachlichen Übereinstimmung grundsätzlich von den übrigen
Entwürfen der Existenz, die, ontologisch orientiert, der Existenz
primär ontologische Bedeutung - als Auslegung des mensch-

Theologischc Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 10