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Ausgabe:

1967

Spalte:

764-765

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jeremias, Joachim

Titel/Untertitel:

Abba 1967

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 10

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und nur noch die Benutzung von Erlebnisberichten gelten läßt
(was m. E. weniger überzeugt). Der Aufsatz über „Petrusprobleme
" berührt nur im Vorbeigehen Texte der Apostelgeschichte
und sucht vor allem an Gal 2 nachzuweisen, daß wir von einer
missionarischen Tätigkeit des Petrus nichts wissen. Am bekanntesten
unter den neutestamentlichen Aufsätzen Haenchens ist
wohl der über „Matthäus 23", in dem Haenchen nicht nur eine
sehr gründliche Analyse dieser Pharisäerpolemik bietet, sondern
nachweist, dafj diese polemische Zusammenstellung die Juden
nur noch als fanatische Feinde kennt. Haenchen ist der Meinung,
dafj nichts von Mt 23 auf Jesus zurückgeht und daß durch die
sich hier findende Polemik gegen die Pharisäer als Heuchler,
die ihren eigenen Prinzipien nicht treu sind, „der Gott Jesu verdeckt
und verhüllt" bleibt. Aber wenn auch richtig ist, dafj in
der Polemik von Mt 23 die Brücken zum pharisäischen Judentum
vollständig abgebrochen sind, so ist doch zu fragen, ob
wir hier nur die Kirche nach 70 reden hören und ob nicht die
Grundzüge dieser Polemik gegen die Pharisäer auf Jesus zurückgehen
und keineswegs nur moralische Vorwürfe, sondern
Glauben und Unglauben betreffen.

Drei Aufsätze befassen sich mit Fragen der Gnosis. Die
Frage „Gab es eine vorchristliche Gnosis?" wird überzeugend
unter Hinweis auf die simemianische Gnosis mit ja beantwortet.
Am Baruchbuch des Gnostikers Justin wird aufgewiesen, wie
heidnisches, jüdisches und christliches Material zum Ausdruck
für eine diesen drei religiösen Welten fremde Frömmigkeit benutzt
wird. Und die Untersuchung von „Aufbau und Theologie
des ,Poimandres" erweist diese Form der Gnosis als eine bereits
fortgeschrittene Stufe.

Zuletzt werden, vornehmlich in Auseinandersetzung mit IC
Barth, unter der Oberschrift „Anselm, Glaube und Vernunft" die
denkerischen Grundanschauungen dieses Scholastikers aufgezeigt,
und es wird nachgewiesen, dafj Anselms Versuch, dogmatische
Wahrheiten auch für den Toren als zwingend zu erweisen, nicht
gelungen ist. Und die ausführliche Untersuchung „Albrecht
Ritsehl als Systematiker" weist nach, dafj das systematische Interesse
Ritschis auf der Sicherung des menschlichen Geistes gegen
die Natur lag und dafj Ritsehl sich von da aus gezwungen
sah, wesentliche Bestandteile der überlieferten christlichen Lehre
wegzustreichen. Ritschis Theologie wird im Grunde „vom
menschlichen Bedürfnis nach Sicherung diktiert, das Gott nur
ab den Garanten der menschlichen Überlegenheit über die Natur
akzeptiert". Haenchen bietet in diesem Zusammenhang eine
beachtliche Konfrontierung von Ritschis und Luthers Gottesbegriff
auf dem Hintergrund des heutigen naturwissenschaftlichen
Weltbildes.

Haenchen hat allen Aufsätzen die Untersuchung „Gott und
Mensch" vorausgestellt, die für das Johannesevangelium, die
Gnosis, Anselm und Ritsehl nur zusammenfügt, was in den
Einzelaufsätzen erarbeitet worden ist; dagegen ist die Darstellung
des Verständnisses von Gott und Mensch bei den Synoptikern
gegenüber dem Aufsatz über Mt 23 neu und beachtlich.
Diese zusammenfassende Untersuchung weist das systematische
Interesse auf, das Haenchens Einzelarbeiten beherrscht, und läfjt
noch deutlicher als die Einzelarbeiten erkennen, daß die historische
Fragestellung für Haenchen nicht Selbstzweck ist, sondern
der Selbstbesinnung des christlichen Glaubens dient. Man
kann für die Zusammenveröffentlichung dieser Aufsätze Haenchens
darum nur dankbar sein.

Die redaktionelle Anlage des Bandes ist freilich nicht einwandfrei
. 11 der 16 Aufsätze sind zuerst in der ZThK erschienen
, sie werden hier photomechanisch abgedruckt, wobei leider
unterlassen wurde (wie ebenso auch bei den drei aus andern
Zeitschriften übernommenen und neu gesetzten Aufsätzen), die
für die Auffindung von Zitaten unerläßlichen ursprünglichen
Seitenzahlen mit anzugeben. Der ursprüngliche Text ist aber
auch nicht völlig unverändert reproduziert, es sind vielmehr
mehrfach kleine Änderungen vorgenommen (etwa S. 33 Anm.

2, 58, Anm. 4, 106, Anm. 0, 335, Anm. 4, 371, Anm. 5), wovon dem
Benutzer nichts gesagt wird. S. 122, Anm. 0 ist beim Verweis auf
eine frühere Stelle desselben Aufsatzes die alte Seitenzahl stehen
geblieben (309 statt jetzt 118), und auf S. 265 ist eine Anmerkung
mit übernommen, die zu einem in der ursprünglichen
Veröffentlichung vorhergehenden Aufsatz von K. G. Kuhn gehört
. Entgegen dem Vorwort sind nicht „die hier gesammelten
16 Aufsätze zwischen 1951 und 1963 in der ZThK erschienen",
sondern nur 11 davon.

Marburg / Lahn Werner Georg Kümmel

Jeremias, Joachim: Abba. Studien zur neutestamentlichen
Theologie und Zeitgeschichte. Mit 4 Bildtafeln. Göttingen; Van-
denhoeck & Ruprecht [1966]. 371 S., 4 Taf. gr. 8°. Lw. DM
34.-.

Nachdem im Laufe des vergangenen Jahrzehnts bereits mehrere
namhafte Neutestamentier ihre gesammelten Aufsätze in
selbständigen Bänden bequem zugänglich gemacht haben, durfte
eine entsprechende Veröffentlichung aus der Feder von J. Jeremias
nicht fehlen. Und das um so weniger, als die Arbeiten von
J. ihr ganz eigenes, keiner bestimmten Schule verpflichtetes Profil
besitzen. In eigentümlicher Verschlingung konservativer und
liberaler Tendenzen zeigt sich an ihnen einmal mehr die Kontinuität
einer über Generationen hinweg ohne Bruch verlaufenden
historisch-exegetischen Forschungsarbeit, wie sie uns als verpflichtendes
Erbe des neunzehnten Jahrhunderts überkommen
ist. Als solche ist sie Zeugnis eines zwiefachen Optimismus, der
uns Jüngeren in diesem Maße kaum mehr möglich erscheint:
sie lebt von der Überzeugung, daß endgültige historische Erkenntnis
möglich ist und daß solche Erkenntnis uns mit der
Offenbarung selbst konfrontiert.

Der vorliegende Band vereinigt fünfunddreißig z. T. an sehr
entlegener Stelle veröffentlichte „Studien zur neutestamentlichen
Theologie und Zeitgeschichte" aus den Jahren 1928-1964. In der
Mehrzahl der Fälle handelt es sich um minutiöse Einzeluntersuchungen
, die vielfach nur eine einzige Vokabel oder einen einzigen
Vers zum Gegenstand haben. Achtzehn Beiträge gelten
allein der Person Jesu, weitere vier der Urgemeinde, sieben
Paulus, zwei dem Hebräerbrief und vier der Palästinakunde. Bedenkt
man dieses Zahlenverhältnis und berücksichtigt man ferner
, daß die großen Themen des nachösterlichen Gemeindeglaubens
nur am Rande als Gegenstand der Untersuchung erscheinen
, so erhält man einen deutlichen Eindruck davon, in welchem
Maße der historische Jesus für J. der eigentliche Gegenstand
der neutestamentlichen Theologie ist. Wohl nicht ohne
Grund fehlen gerade Beiträge zum johanneischen Jesus-Bild.
Maßgebend für die Auswahl war der Gedanke, daß die Sammlung
eine wirkliche Ergänzung zu den bisherigen größeren Veröffentlichungen
des Verfassers bildet. Daher wurden in früheren
Werken bereits verarbeitete Aufsätze nicht noch einmal abgedruckt
. Was geboten wird, ist, von gelegentlichen Verbesserungen
und Zusätzen abgesehen, unverändert wiedergegeben. Lediglich
die beiden Beiträge zu „Markus 14, 9" und „Hats (deov) im
Neuen Testament" sind gründlich neu bearbeitet worden. In dieser
höchst sinnvollen Abgrenzung besitzt die Sammlung einen
ganz erheblichen Wert. Mit besonderem Interesse wird der Leser
natürlich nach der erstmals vorgelegten Untersuchung über
„Abba" greifen, in der frühere Studien zum gleichen Thema zu
einem abschließenden Ergebnis geführt sind. Erstmals in deutscher
Fassung erscheint der bisher nur französisch existierende
Aufsatz über „Das tägliche Gebet im Leben Jesu und in der
ältesten Kirche". Bedauern kann man, daß die kleine, schon
mehrfach gedruckte Programmschrift „Der gegenwärtige Stand
der Debatte um das Problem des historischen Jesus" (zuerst in:
Wiss. Zeitschr. der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald,
Gesellschafts- u. Sprachwiss. Reihe Nr. 3, VI, 1956/57) keine Aufnahme
gefunden hat, da gerade in ihr die dogmatische Position
des Göttinger Exegeten in profilierter Weise zur Sprache kommt.