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Ausgabe:

1967

Spalte:

758-759

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Koch, Klaus

Titel/Untertitel:

Was ist Formgeschichte? 1967

Rezensent:

Bertram, Georg

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dieser Hinsicht ist bedauerlich; denn wenn auch manche Fragen
hätten beiseite gelassen werden können, wäre gerade für
den allgemeinen Leser eine gewisse Unterrichtung über den
Propheten und seine Zeit wünschenswert und für das Verständnis
Deuterojesajas sicher auch von praktischem Nutzen gewesen
. Doch Knight konzentriert sich ganz auf den theologischen
Aspekt, der ihm in den bisherigen Kommentaren zu kurz zu
kommen scheint.

Seine theologische Betrachtungsweise ist einerseits durch
eine ausgeprägte und ausschließliche Worttheologie bestimmt.
Wie der Text des ganzen AT, so gilt auch Deuterojesaja als der
Träger „des Wortes des lebendigen Gottes". Knight betont dies
sowohl gegenüber einer Exegese, die sich auf das Erfassen der
Gedanken des Propheten beschränkt, als auch gegenüber einer
am Handeln Gottes in der Geschichte interessierten Theologie.
Daraus ergibt' sich ferner die bekannte Entgegensetzung von
Offenbarung und Religion: Wie das AT keinen Begriff für „Religion
" aufweist, so begegnet man in ihm allein einem Volk, das
glaubt, daß es eine Offenbarung und nicht eine Religion empfangen
hat. Andererseits ist eine gewisse pietistische Anwendungsweise
in bezug auf den Leser zu beobachten, z. B. wenn
gesagt wird, dafj jeder Kult von Gegenwartserscheinungen „is
bound to lead its devotees in a vicious Spiral to the hardenning
of their hearts" (S. 163).

Knight versteht Jes 40-55 als eine schriftstellerische Einheit.
Das bedeutet einmal, dafj es sich um eine sorgfältig komponierte
, fortlaufend niedergelegte Schrift - genauer: um eine
theologische Abhandlung - und nicht wie bei den meisten
Prophetenbüchern um eine Sammlung von prophetischen Sprüchen
und Berichten handelt: „DI has penned a sustained tbeo-
logical treatise in verse," ... so daß es „a logical sequence of
thought throughout his whole sixteen chapters" gibt (S. 34).
Natürlich hat der Prophet ein derartiges Produkt nicht öffentlich
vortragen können, es sei denn, dafj er seine Wirkung mittels
des Vortrags einiger Abschnitte erprobt hat. An eine wirkliche
öffentliche und mündliche Verkündigung Deuterojesajas denkt
Knight jedoch nicht. Damit rückt für ihn ferner die Frage nach
den Redegattungen in ein anderes Licht. Hat Deuterojesaja nicht
einzelne Sprüche verkündigt, sondern eine theologische Abhandlung
verfaßt, so kann man nicht mehr von Gattungen im
eigentlichen Sinn sprechen. Nach Knights Ansicht hat der Prophet
sie gewiß gekannt und benutzt, sie aber unabhängig von
ihrem Sitz im Leben und ihren Motiven in seine Abhandlung
verwoben. Des weiteren enthält die Schrift keine sekundären,
nicht von Deuterojesaja herrührenden Texte; auch 40,19f.; 41,7;
44,9-20 und andere Abschnitte, die sonst mit mehr oder weniger
Recht als spätere Zufügungen gelten, stammen von Deuterojesaja
. Schließlich sind die Lieder vom „Knecht Jahwes" nicht
als eigene Gruppe zu betrachten, sondern in ihrem jetzigen Kontext
zu verstehen, zumal nach Knight mit dem „Knecht" stets
Israel gemeint ist. „The whole sixteen chapters together in fact
are a poem about God's relationship to his ,Servant' Israel, in
whom he has determined to glorify himself.'" Von da aus ergibt
sich für die Bedeutung der Theologie Deuterojesajas: „DI's
great contribution to our biblical faith is his insistence that
the living Word of the living God began to bc united . . . with
the very flesh of God's son Israel at that specific period in
which DI himself was partieipating. Through the Word which
he was then uttering on God's behalf, this fantastic union
would become event"

Bei der Übersetzung und Auslegung geht Knight so vor,
daß er jeweils mehrere Verse, die nach seiner Auffassung einen
kleinen Sinnabschnitt im Ganzen der „Abhandlung" bilden, übersetzt
und auslegt. Auf eine Einteilung in Strophen oder ähnliche
Abschnitte hat er also verzichtet. Die Übersetzung hält
sich so eng wie möglich an den in konservativer Art durchweg
unveränderten masoretischen Text. Im einzelnen ist ihr Wortlaut
von der Auslegung mitbestimmt, so daß Knights deutero-
jesajanischer Text manchmal ein anderer als der ursprüngliche
Text ist. So wird das gewiß schwierige Wort häsäd in 40,6 mit
„lasts no longer" wiedergegeben: „All flesh is grass, and lasts
no longer than the wild flowers." Auch in der Auslegung gibt

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manches zu Bedenken Anlaß, so die vermuteten Anspielungen auf
oder Beziehungen zu Gen 12, 1-3; 17,6f. und 18,8 in 40,11,
Gen 28,14 in 40,27 und der angeblich ezechielischcn Vorstellung
von Jerusalem als Nabel der Welt in 41,8f., vor allem aber die
ständige Bezugnahme auf den Sinaibund, der für Deuterojesaja
nun wirklich keine tragende Rolle spielt. Trotz aller guten Absichten
des Verf. bleibt also im ganzen wie im einzelnen vieles
fragwürdig.

Erlangen Georg F o h r e r

Koch, Klaus: Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibel-
exegese. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
1964. XIV, 260 S. gr. 8°. DM 17.80; Lw. DM 20.80.
In dem vorliegenden Werk sind Wesen, Bedeutung und Methoden
der Formgeschichte an Beispielen dargestellt und erläutert
. Die Klarheit der Ausführungen, die übersichtliche Anordnung
des Stoffes, die Knappheit der wissenschaftlichen Diskussion
, die z. T. in die Anmerkungen verwiesen wird, soll vor
allem den Lernenden als eine Einführung in die formgeschichtliche
Problematik dienen, die zugleich lesbar ist und zu eigener
Weiterarbeit anregt. So wird vornehmlich an Untersuchungen
der Seligpreisungen und der Zehn Gebote die Arbeitsweise deutlich
gemacht. Die Formelhaftigkeit unserer Ausdrucksmöglichkeiten
führt zur Prägung von Gattungen. Von ihrer Entstehung
in der menschlichen Rede an haben sie je ihren bestimmten Sitz
im Leben. In der anfangs mündlichen Überlieferung unterliegen
sie mannigfachen Wandlungen und Umbildungen, bis sie schriftlich
fixiert werden und schließlich eine endgültige Gestaltung
erfahren, deren Werden die Redaktionsgeschichte nachgeht. Die
literarkritische Methode ist damit keineswegs überflüssig geworden
. Ihre Grunderkenntnisse im Alten wie im Neuen Testament
bleiben anerkannt und werden weitergeführt; aber sie wird
formgeschichtlich unterbaut.

Die Auseinandersetzung zwischen Literankritik und Forn>
geschichte und die Frage der mündlichen Überlieferungen werden
ebenso behandelt wie die Merkmale der hebräischen Poesie.
Das Ergebnis ist ein formgeschichtlich begründetes Verständnis
des Kanonbegriffs und die Entfaltung der Aufgabe einer biblischen
Literaturgeschichte. Der Verfasser baut auf der gesamten
form- bzw. gattungsgeschichtlichen Forschung seit Gunkel auf
und steht in lebendiger Auseinandersetzung mit den Begründern
und Vertretern dieser Methode bis in die Gegenwart So
beleuchtet er z. B. bei der Behandlung der Zehn Gebote die von
Albrecht Alt herausgearbeiteten apodiktischen Reihen kritisch
und stellt ihnen andere formal ähnliche Überlieferungen gegenüber
.

Der 2. Teil des Buches enthält ausgewählte Beispiele aus
dem Alten Testament. Es werden die drei Versionen der Sage
von der Gefährdung der Ahnfrau Gn 12,20 und 26 und die beiden
Überlieferungen von der Begegnung Davids mit Saul in der
Wüste 1 Sam 23f und 26 behandelt, dabei wird die Frage des
Vorkommens von Sagen in der Bibel theologisch geklärt

Hier könnte die Heranziehung der entsprechenden Berichte
des Josephus mit ihrem historischen Anspruch gute Dienste leisten
. Josephus hat zwar mit kausalen und psychologischen Verknüpfungen
den biblischen Stoff historisiert, sich dabei aber
deutlich von der biblischen Wirklichkeit entfernt. In Ant I 164
(8,1) fügt er ganz dem Postulat von Koch 137, der .Wahrsager'
ergänzt, entsprechend die weniger anstößigen , Priester' ein. In
I 259 (18,2) läßt er die 3. Version weg, weil 258 schon von den
Kindern der Rebakka die Rede war, vgl. Koch 147. Auch der
Vergleich von Ant VI 275-291; 310-318 (13,2-4.9) und von IX
18-26 (2,1) mit dem biblischen Text ist unter dem formgeschichtlichen
Gesichtspunkt der Umbildung einer ,Sage' zu einer .Historie
' lehrreich. Ant X 111-114 (7,3) ist nur allgemein von
Pseudopropheten die Rede. Die Begegnung Jeremias mit Hananja
läßt der .Historiker' weg, da er offenbar im Sinne eines
schriftstellerischen Vorblickes in Jeremias Weissagung mit der
Unheilsdrohung gleich die Heilsverheißung der Rückführung

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 10