Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

756-758

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Knight, George Angus Fulton

Titel/Untertitel:

Deutero-Isaiah 1967

Rezensent:

Fohrer, Georg

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

755

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 10

756

licher Bedeutung, daß bei ihm Bekanntschaft mit der Bundesüberlieferung
festzustellen ist und dafj er sich diesem Erbe Israels
auch als Jerusalemer unbedingt verpflichtet sah" (S. 11).
Dieses Urteil überrascht um so mehr, als sich Jesaja bekanntlich
auf die Zionstradition beruft, während bei ihm die altisraelitischen
Überlieferungen von den Erzvätern, dem Auszug und
der Sinaioffenbarung völlig zurücktreten. So sucht W. die Bundesüberlieferung
in allerlei Einzelheiten nachzuweisen. Die
Appellation an Himmel und Erde (1, 2) leitet er aus der Anrufung
der Götter als Zeugen in altorientalischen, zumal hethi-
tischen, Staatsverträgen ab, mufj dann aber annehmen, „die noch
stehengebliebene Form" sei .völlig ausgehöhlt"; denn „die Götter
sind weggelassen". Nun brauchen einerseits Himmel und
Erde in den (hethitischen) Staatsverträgen nicht als Gottheiten
genannt zu werden, und andererseits werden beide nicht nur in
diesem festgeprägten Vertragsformular, sondern auch sonst als
Zeugen angerufen (z. B. PRU IV, 137; vgl. M. Delcor, VT 16.
1966, 8-25). Ob man dann die Staatsverträge als Hintergrund
für Jes 1, 2 beschwören mufj? Sie haben wohl überhaupt erst in
späterer Zeit - vom Deuteronomium ab - „die Formsprache
des alttestamentliehen Jahwebundes beeinflußt" (zu S. 9 f. 52).
Darüber hinaus erscheint es fraglich, ob Jes 1, 2 f als Gerichtswort
und darum „Himmel und Erde" als Zeugen zu verstehen
sind; die Einheit ist zu stark weisheitlich geprägt (I. v. L o e -
wenclau, Zur Auslegung von Jesaja 1, 2-3: EvTh 26, 1966,
294-308). Wahrscheinlich hat W. den weisheitlichen Hintergrund
der jesajanischen Worte doch zu gering eingeschätzt. Er verweist
zwar bei der Buchüberschrift (1, 1) überzeugend auf Form-
parallelen der Weisheitsliteratur, erwägt auch, ob „Jesajas Opferkritik
in der Chokma ihre Wurzeln hat" (S. 36), ordnet ihr aber
die priesterliche oder Bundestradition über.

Die einzelnen Worte wurden nach W. in der Regel bei einer
Kultfeier vorgetragen. Er vermutet., dafj „die prophetische
Gerichtsrede in einer kultischen Situation ihr Urbild hat" (zu 1,
2-3) und Jesaja 1, 4-9. 21-28 wie 2, 1-5 bei einem „königlichen
Zionsfest" (S. 21.58.80), dagegen 1, 18-20 „bei Anlaß
eines Bundesfestes gesprochen hat". Sollte die Auslegung nicht
stärkere Zurückhaltung gegenüber solchen kultischen Rekonstruktionen
üben, da beide Feste nicht belegt sind? Tatsächlich
wissen wir von Israels Gottesdienst viel zu wenig Sicheres. Doch
nimmt W. eine „Bundesfesttradition" an, wenn auch unbekannt
ist, „ob und wie das Bundes(erneuerungs)fest zu Jesajas Zeiten
begangen worden ist" (S. 51; positiver S. 27). Die beiden Verben
„verlassen" und „verschmähen" (zu 1, 4b s. u.) sind „in der Bundestradition
beheimatet", desgleichen „willig sein" und „gehorchen
" (1, 19) wie die Androhung der „Wüste" (1, 7) und des
„Schwertes" (1, 20). Die (bes. S. 26 f. 53) als Beleg angeführten
Kapitel Dt 28 und Lev 26, die beide „jünger als Jesaja sind",
können die Last der Begründung nicht tragen, weil die entgegengesetzte
Meinung, an diesen Stellen liege prophetischer Einfluß
vor, nicht ausgeschlossen werden kann oder gar wahrscheinlicher
ist. Darum sind auch „die beiden Möglichkeiten von Heil oder
Unheil" nur für den einzelnen, aber kaum für Israel als ganzes
seit je gegeben; erst die Propheten erheben Anklage und künden
das Gericht über das ganze Volk an.

Nach W. gehört auch „eine Stellungnahme zum Opfer zu den
Themata der Gerichtsverhandlung beim Bundesfest" (S. 37). Aber
Ps 50, auf den er sich beruft, weist ebenfalls prophetischen Einfluß
auf und entstammt späterer Zeit. Indem aber die prophetische
Opferkrijtik in die Bundesüberlieferung eingefügt
wird, wird sie zugleich abgeschwächt, wie W. auch das drohende
„Wehe" entschärft, wenn er in dem „Heiligen Israels" den „als
gütigen Vater-Erzieher gedachten Bundesgott" sieht (1, 4). Er
betont: Jesaja lehnt Opfer und kultische Frömmigkeit nicht
„prinzipiell" ab, sein Wort ist vielmehr „Instruktion für eine bestimmte
Situation" (S. 38.48.). Ob aber eine Predigt, die Ver-
stockung und Gericht ansagt, überhaupt zwischen „prinzipiell"
und „für diese Situation" unterscheidet; gewinnt nicht gerade
das Jetzt „grundsätzliche" Bedeutung? Gerade darum kann der

Prophet die kultkritische Sprache der (zeitlosen) Weisheit aufnehmen
. Beachtet man die weisheitliche Verwurzelung der prophetischen
Opferkritik, so mag man mit gewissem Recht sogar
den Satz verteidigen, Jesaja erteile eine „allgemeingültige Lehre".
Nach W. liegt wiederum Jesajas Wort „zunächst durchaus auf der
Ebene dessen, was auch ein Priester bei der Erteilung einer Thora
sagen konnte" (S. 38). Wenn aber erst die Propheten Anklage
und Unheilsansage auf das ganze Volk ausdehnten, so werden
sie entsprechend die Opferkritik radikalisiert haben: Die
mögliche Ablehnung eines (nicht rite vollzogenen) Opfers wird
in der für Priestersprache ungewohnten Ichrede des Gotleswor-
tes verallgemeinert auf „eure Opfer". - Um die früher geübte Auslegung
, für den Propheten ersetze Moral den Kult, zu vermeiden
und den Kult „an sich" zu erhalten, bezieht W. die prophetische
Kritik nur auf die Häufigkeit der Opfer und Begehungen
und die sittlichen Voraussetzungen: Jesaja lehnt „eindeutig Gesinnung
und Treiben der Menschen" ab; er erkennt den „Habitus
de» Betenden als Voraussetzung der Gebetserhöhung" (S. 38.
45). Wenn aber ethische Forderungen die Bedingung für das Gebet
sind, ist eine Klage, wie „Aus der Tiefe rufe ich, Jahwe, zu
dir", die doch gerade keine Voraussetzung kennt, nicht mehr
möglich. Die Devise „Moral statt Kult" wird offenbar in „Kult
auf Grund von Moral" geändert; ob damit aber der Kult seine
(für das Altertum doch) lebenerhaltende Kraft bewahrt? Der
Prophet korrigiert kaum nur magisches Opferverständnis - das
Opfer ist als „Gabe an die Gottheit, um sich deren Gunst zu sichern
", wohl zu negativ beurteilt - durch ein „Lernt Gutes tun,
dann betet!" Vielmehr ist doch wohl das rechte Tun (1, 16 f),
der Gehorsam (1, 19) der rechte Gottesdienst. Insofern mag man
die alte Antithese von Moral und Kult aufnehmen und berichtigen
: das Rechttun soll nicht den Gottesdienst ersetzen, sondern
wird ihm gleichgesetzt

Einzelworte (wie 1, 7b ß) spricht W. Jesaja ab, in 1, 27 f sieht
er „die Hand eines Schülers am Werk". Zeitgenossenschaft reicht
aber zur Erklärung dieser beiden Verse kaum aus; denn die
Hoffnung auf „Erlösung" ist typisch für Ergänzungen aus nach-
exilischer Zeit (Ps 25, 22; 34, 23; 130, 7 £), und der Zerfall des
Gottesvolkes in „Gerechte" und „Sünder", wie er exemplarisch
in Ps 1 erscheint, ist vorausgesetzt. „Sünder" sind also hier gewiß
nicht „alle", und der Erläsungswunsch bleibt wohl absichtlich
allgemein. Ob nicht auch die anschließenden, bei Jesaja auffälligen
Verse 29 f (mit V. 31 als Nachtrag?), die W. mit Recht
als Ablehnung des Bauimkultes deutet, sekundär sind, wie die
Redaktion in das Amosbuch (5, 26) eine Götzenpolemik einfügte?
Erwägenswert ist auch, die ganze Vershälfte 1, 4b in der die
Person wechselt, und nicht nur die beiden Schlußworte als Zusatz
anzusehen. Die „unechten" Sätze im Jesajabuch müßten einmal
auf ihren Zusammenhang hin untersucht werden; lassen
sich gar Querverbindungen zur Redaktion anderer Prophetenbücher
aufdecken, da ja auch die Buchüberschriften ähnlich lauten
? Selbst die Beziehungen der „echten" Jesajaworte zu Arnos
und Hosea sind kaum zureichend bekannt.

Falls man schon von der ersten Lieferung her ein gewiß stark
vorgreifendes Urteil über die Tendenzen dieses Jesajakommen-
tars wagen möchte: Ausführliche Wortexegese, Zuneigung zum
Bundeskult und wohl auch eine gewisse Abneigung gegenüber
literarkritischen Unechtheitserklärungen sind seine Kennzeichen.

Wien Werner H. Schmidt

K night, George A. F.: Deutero-Isaiah. A Theological Com-
mentary on Isaiah 40-55. New York/Nashville: Abingdon Press
1965. 283 S. gr. 8°. Lw. $ 5.50.

Das als theologischer Kommentar bezeichnete Buch ist für
den „NichtSpezialisten" innerhalb der christlichen Kirche, also
wohl für den Nichttheologen bestimmt, dem es einen praktischen
Nutzen einbringen soll. Daher enthält es zwar eine ausgewählte
Bibliographie von mehr als vier Seiten und ein kurzes
Register, nicht aber eine Einführung in die mannigfachen Probleme
der Schrift Deuterojesajas. Die völlige Enthaltsamkeit in