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Ausgabe:

1967

Spalte:

741-748

Autor/Hrsg.:

Mau, Rudolf

Titel/Untertitel:

Zur Frage der Begründung von Heilsgewißheit beim jungen Luther 1967

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 10

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Theologie ein Unterschied, nicht ein Gegensatz namhaft gemacht
. Wenn man nun nicht von vornherein Luthers Gestalt
existentieller Theologie absolut setzen, jede andere Gestalt als
trügerisch ausschließen will, dann steht die Präsumption dafür,
daß der hier verhandelte Unterschied und ebenso alle weiteren,

die auf ihn zurückgehen, innerhalb gemeinsamer Mauern Heimat
finden können; daß beide Weisen von Theologie einander
brauchen als kritische Sicherung gegen jedes Abgleiten in Fehlformen
; und daß die Kirche allzeit beider bedarf, um die
Spannungsfülle des Christlichen durchzuhalten.

Zur Frage der Begründung von Heilsgewißheit beim jungen Luther

Von Rudolf Mau, Berlin

Im Zusammenhang mit den Fragen des Werdens und der
frühen Gestaltung reformatorischer Theologie kommt dem Problem
der Heilsgewißheit besondere Bedeutung zu. Für die altere
, noch nicht durch die Beschäftigung mit den frühen Exe-
getica Luthers bestimmte Auffassung reformatorischer Theologie
stand außer Frage, daß Heilsgewißheit ein wesentliches, ja geradezu
das hervorstechendste Merkmal des reformatorischen
Verständnisses von Glauben sei. Luther hat immer wieder betont
, daß nicht schon ein allgemeines Fürwahrhalten von Glaubenssätzen
, sondern erst das Ergreifen und Festhalten der mir
persönlich geltenden Zusage der Gnade Gottes der Glaube sei,
den die Hl. Schrift meint. Seit dem Bekanntwerden der frühen
Exegetica Luthers galt daher ein besonderes Interesse der Frage,
ob und in welcher Weise schon hier der Gedanke der Heilsgewißheit
hervortritt. J. Ficker meinte bei der Veröffentlichung
von Luthers Römerbriefvorlesung feststellen zu können, daß in
ihr „für das Letzte und Höchste", für die persönliche Heilsgewißheit
, „der Weg gezeigt" sei. Allerdings gebe die Römer-
briefvorlesung für sich allein auf die Frage der Heilsgewißheit
noch keine bestimmte Antwort. „Die persönliche Heilsgewißheit
ist nicht da und sie ist da. Sie wird abgelehnt, und sie wird
postuliert und mehr als nur postuliert"1. Diesem Urteil Fickers
trat Karl Holl mit einer weit positiveren Auffassung entgegen.
Nach seiner Meinung kann von einer Unfertigkeit oder einem
Schwanken Luthers gerade in diesem Punkte nicht die Rede
sein. Es ist „kein Zweifel möglich", daß Luther in der Römerbriefvorlesung
Rechtfertigungs- und Heilsgcwißheit gelehrt hat2.
K. Holls Auffassung ist weithin übernommen worden, wenn
auch nicht in ihrer Durchführung und Begründung im einzelnen
, hat aber neuerdings nachdrücklichen Widerspruch besonders
von Seiten Gyllenkroks1 und Bizers gefunden. Bizer geht
in seiner Beurteilung der Römerbriefvorlesung noch erheblich
hinter das zurück, was Ficker aussprechen zu können meinte.
Nach Bizers Auffassung meldet sich in der Römerbriefvorlesung
erst das „Problem" der Heilsgewißheit zu Worte; in der Hebräerbriefvorlesung
wird es dann „kräftig angefaßt, aber nicht gelöst";
erst die Resolutionen zu den Ablaßthesen bringen „den Durchbruch
, aber auch die Kritik an der eigenen früheren Position"4.

Daß Heilsgewißheit zur Zeit der Römerbriefvorlesung für
Luther in starkem Maße „Problem" ist, läßt sich angesichts der
z. T. schwer miteinander auszugleichenden Äußerungen Luthers
nicht bestreiten. Aber in welchem Sinne ist sie für ihn Problem
? Ist sie eine gleichsam erst am Horizont seines theologischen
Denkens auftauchende Möglichkeit, etwas zu Erwägendes
, aber weder in der Wirklichkeit des Glaubens Begegnendes
noch im Rahmen des exegetisch darzulegenden Glaubensbegriffs
Fixierbares? Oder ist Heilsgewißheit zu dieser Zeit für
Luther bereits mehr?

Ausschlaggebend für die ^Beantwortung dieser Frage ist
nicht schon das Mehr oder Weniger des Bezeugens und Aussprechens
(und eines daraus allenfalls zu erschließenden Erlebens5
) von Heilsgewißheit. Entscheidend ist vielmehr, wie weit

') Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Hrsg. J. Ficker. 2. Aufl.
1923, p. LXXVII.

0 K. Holl: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. Bd. I: Luther.
6. Aufl. 1932, S. 134.

3) A. Gyllenkrok: Rechtfertigung und Heiligung in der frühen evangelischen
Theologie Luthers. 1952, S. 66 ff.

') E. Bizer: Fides ex auditu. 3. Aufl. 1966, S. 172.

s) Letzteres wird von A. Kurz, Die Heilsgewißheit bei Luther, 1933, betont.
K. meint den persönlichen Kampf Luthers um Heilsgewißheit nach drei biographisch
genau fixierbaren Stadien (Inferno — Purgatorio — Paradiso) verfolgen
zu können.

Luther in der Frage einer Begründung von Heilsgewißheit
gekommen ist. Luther betont in der Römerbriefvorlesung, daß
der Mensch sein Heil in keiner Weise sich selbst zu bereiten
vermag, sondern es allein von Gott empfangen kann. Gott will
uns nicht durch eine aus uns kommende, auf der Erde entspringende
, sondern durch eine fremde, vom Himmel kommende Gerechtigkeit
und Weisheit selig machen0. Dabei sieht er nur den
Demütigen, der nicht Gott mit einer Selbstrechtfertigung zuvorkommt
, als gerecht an7. Wer so, allein ex Deo reputante, seine
Rechtfertigung erwartet, weiß nicht, wann er gerecht ist. Denn
Gottes Zurechnung kennt niemand; man kann sie nur begehren
und erhoffen. Nur diejenigen, die zu wissen glauben, wieviel
und was man tun muß, um gerecht zu sein, haben eine Zeit,
in der sie nicht Sünder zu sein meinen. Die wahrhaft Gerechten,
die Heiligen wissen sich immer als Sünder8.

Luther spricht hier nachdrücklich von einem Nichtwissen
hinsichtlich des eigenen Heilsstandes, das geradezu als Merkmal
der Glaubensgerechtigkeit in ihrem Gegensatz zur Gesetzesgerechtigkeit
erscheint. Es gibt für Luther keine „Heilsgewißheit"
im Sinne eines auf das eigene Tun gegründeten - aus der eigenen
Beurteilung1» dieses Tuns resultierenden - Wissens um eine
iustitia iam adepta et possessa10. Ebenso gibt es keine im Blick
auf den eigenen Glauben entstehende Heilsgewißheit. Zwar
wird uns das Heil durch den Glauben zuteil, d. h. dadurch, daß
wir Gott „in seinen Worten recht geben"11. Aber niemand kann
wissen, ob er wirklich „in jedem Worte Gottes lebt" und sich
nicht gerade gegenüber einem ihn treffenden Worte verschließt
. Darum: „nunquam scire possumus, an iustificati simus4
an credamus"12. Auch der Glaubende also, der sein Heil nicht
vom eigenen Tun, sondern allein von Gott erwartet, weiß nicht
um die Echtheit und Totalität seines Glaubens und insofern
auch nicht um die Präsenz seines Heils, So gewiß dem Glaubenden
die Zurechnung der Gerechtigkeit Gottes verheißen ist
und zuteil wird, so wenig gewährt der Blick auf das eigene
credere dem Menschen ein Wissen um die reputatio Dei.

Eine Heilsgewißheit scheint damit überhaupt ausgeschlossen
zu sein. Sie ist es in der Tat, insoweit Luther das Verhältnis
des Menschen zu Gott unter dem in der Römerbriefvorlesung
dominierenden Gesichtspunkt des Gegensatzes der Glaubensgerechtigkeit
zur Gesetzesgerechtigkeit13 zur Darstellung bringt.
Dennoch kann Luther in der gleichen Vorlesung von einer
Gewißheit des Heils sprechen, die sich i m Glauben ereignet.
Wie ist solche Gewißheit zu verstehen? Wie verhält sie sich
zu jenem immer wieder so nachdrücklich betonten Nichtwissen?

Eine für unsere Frage bedeutsame Äußerung Luthers, die
uns hier vor allem beschäftigen soll, ist die Scholie zu Rom.
8,16: „Ipse enim Spiritus testimonium reddit spiritui nostro,
quod sumus filii Dei". In der Glosse z. St. hatte Luther davon
gesprochen, daß der, der in starkem Glauben vertraut, „Gottes
Sohn" zu sein, auch Gottes Sohn ist. Das aber, so hieß es dort.

6) WA 5«, 158,10 ff.
') Ebd., 159,12 ff.
") Ebd., 268,20 ff.

') Ebd., 233,22: quoad sensum, estimationem, reputationem ipsorum (sc.
operum) . . .

1°) Ebd., 268,2; 255,11.

Ebd., 225.15 ff.; 226,23 ff.

12) Ebd.. 252,17 ff.

1J) Dieser Gegensatz reicht bis in die Frage der eigenen Gläubigkeit hinein
Auf der Seite der iustitia legis stehen auch diejenigen, die „allen Glauben vollkommen
zu besitzen" meinen (253,4 f.).