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Ausgabe:

1967

Spalte:

702-708

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Maurer, Christian

Titel/Untertitel:

Wahrheit und Wahrhaftigkeit - ein Grundproblem kritischer Theologie 1967

Rezensent:

Stadler, Kurt

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diesen unmittelbaren Zweck hinaus ist aber ein Werk entstanden,
das auch der nicht-katholische Leser mit größtem Gewinn lesen
wird. Die Lektüre wird ihn zur Revision bisheriger Vorurteile über
die Eigenart der katholischen Theologie fühlen und ihm zeigen,
daß es nicht nur innerhalb dieser Theologie eine Tendenz zur
Konvergenz der einzelnen Fächer gibt, sondern auch eine Konvergenz
im Hinblick auf die evangelische Theologie. Dafj die
drei Kategorien Geschichtlichkeit, Sprachlichkeit und Lehrgehalt
für die gesamte neuere katholische Theologie verbindlich sind,
geht aus jedem der Beiträge hervor und verändert das alte Bild
erheblich. Bezüglich des Verhältnisses von Philosophie und Theologie
weist der Bonner Philosoph H. R. Schlette nach, dafj weder
die alte Substanzkategorie noch der Naturbegriff oder das Festhalten
an einer wie immer gearteten Gestalt „christlicher Philosophie
" für das Verhältnis von Philosophie und Theologie heute
verbindlich sein könne, vielmehr gehe es darum, den Weg in
die Engpässe des modernen Philosophierens mitzugehen und den
metaphysischen Agnostizismus als ein geschichtliches Schicksal
des Denkens hinzunehmen.

Da die Auseinandersetzung mit der veränderten Geisteswelt
der Neuzeit ein immer stärkeres Gewicht erhalten hat, geschieht
heutzutage die wissenschaftliche Repräsentanz der Theologie
nach außen hin in der Fundamentaltheologie, die ihrerseits von
der hermeneutischen Frage beherrscht ist. - In den Abschnitten
über die Disziplinen des Alten und Neuen Testaments fällt auf,
mit welcher Unvoreingenommenhejt hier Exegese getrieben wird
und die Bibel keineswegs mehr das Repertorium dogmaticum
ist, das sie früher lange genug war. Diese Aufwertung der Exegese
ist darauf zurückzuführen, dafj heute auch im katholischen
Raum die Hl. Schrift als das unvergleichliche Zeugnis des Wortes
Gottes betrachtet wird. Die Methoden der evangelischen
Forschung (Literarkritik, Formgeschichte und Redaktionsgeschichte
) werden vorbehaltlos übernommen, ebenso die historischkritische
Methode, die man als die goldene Mitte zwischen einer
liberalen Leugnung des kirchlichen Glaubensverständnisses und
einem engen Biblizismus versteht. - Auch in den Fächern Pa-
trologie und Kirchengeschichte fällt auf, wie hier längst edne
ökumenische Weite und Offenheit erreicht ist, wenn etwa evangelische
Autoren neben katholischen durchaus zustimmend zitiert
und das evangelische Schrifttum neben dem katholischen aufgeführt
wird.

Dafj katholische Theologie bereit ist, ihre Sache in der Sprache
und im geistigen Horizont ihrer Zeit zu betreiben, beweisen
vor allem die Kapitel über die systematische und praktische
Theologie. Hier hat sich die Erkenntnis vom Zusammenhang
zwischen Verkündigung und Lehre in der Weise durchgesetzt,
daß das Dogma als „Kerygma in späterer Gestalt" bezeichnet
wird, wobei sich die katholische Auffassung von der evangelischen
eigentlich nur in der Anerkennung eines höheren Ver-
bindlichkeitsgrades des Dogmas unterscheidet, wenngleich es auch
nicht an die Stelle der göttlichen Offenbarung gesetzt werden
darf. - In der Moraltheologie bezieht sich die Revision des herkömmlichen
Bildes auf eine Ablehnung der Kasuistik und der
kirchenrechtlich fixierten Beichtmoral samt einer deutlichen Einschränkung
des naturrechtlichen Denkens zugunsten eines personal
-ganzheitlichen und geschichtlichen Denkens. - Existentiales
Denken macht sich auch in dem Beitrag von K. Rahner über
Pastoraltheologie geltend, wenn als leitend für gegenwärtiges
Verständnis von Kirche diese „als Größe, die sie selbst wird,
indem sie sich vollzieht" (S. 288) angesehen wird. - Der exi-
stentiale Einschlag ist immer wieder auch dort zu bemerken,
wo gegenüber der Auslieferung der Theologie an reine Rationalität
ihre Verwurzelung in Meditation und Spiritualität, also
persönlicher Frömmigkeit des Theologen, betont wird.

Das Fazit des Ganzen ziehen die beiden Herausgeber in einer
Schlußbetrachtung über die Konvergenz in der theologischen
Wissenschaft. Sie können keine Einheit der theologischen Disziplinen
im Augenblick feststellen und empfehlen dem Leser,
mit dem Druck von theologischen Spannungen zu leben, geben

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jedoch der Hoffnung Ausdruck, dafj es eine „Einheit der Theologie
im Werden" (S. 433) gibt. Dabei zeigt sich für den nichtkatholischen
Leser eine Tendenz zur Konvergenz nicht nur innerhalb
der katholischen Theologie, sondern auch in Hinsicht auf
die evangelische, denn in beiden Theologien sind die gleichen
Kategorien herrschend und stehen die gleichen Probleme zur
Lösung an, vor allem das hermeneutische Problem als Frage
nach der Neuaneignung und dem Neugewinn der alten Lehre
unter den Bedingungen der Neuzeit. Die Beobachtung des Nicht-
mehr-glauben-könnens bedrängt die katholischen Autoren nicht
minder wie die evangelischen. Das führt sie über die Forderung
der Entmythologisicrung hinaus zur Entsoziologisierung der
Glaubensaussagen, d. h. zu dem Versuch, die Glaubensaussagen
der Bibel aus ihren Bindungen an die Sozialstruktur der patri-
aichalisch-hierarchischen Welt (Gott = König, Vater, Hirt) zu lösen
und für die demokratisch-partnerschaftliche Welt glaubhaft
zu machen. - Man könnte diesen Band als eine schöne Frucht
des aggiornaimento des 2. Vaticanums bezeichnen. Darüber hinaus
ist er großartiges Zeugnis für die Gemeinsamkeit der theologischen
Arbeit über die Grenzen der Konfessionen hinweg.

Heidelberg Heinz-Hcrst S c h r e y

Maurer, Christian: Wahrheit und Wahrhaftigkeit - ein Grundproblem
kritischer Theologie. München: Kaiser 1966. 61 S. 8°

= Theologische Existenz heute, hrsg. v. K. G. Steck u. G.

Eichholz, N. F. 128. DM 5.20.
Das Heft enthält zwei zu Aufsätzen erweiterte Vorträge, von
denen der erste dem Ganzen den Titel gibt. Es möchte einen
Ausweg aufzeigen aus der Spannung, die heute zwischen der
kritischen Bibelwissenschaft - indem sie als Sache der subjektiven
Wahrhaftigkeit betrachtet wird, ist sie als legitim und notwendig
anerkannt - und „objektiver umgreifender Wahrheit"
besteht. In dieser Spannung sucht der Verfasser aus dem Neuen
Testament selber ein sachgemäfjes Kriterium zu finden. Er setzt
mit zwei Sachverhalten ein, die allen neutestamentlichen Zeugen
gemeinsam sind: im Zentrum ihrer Aussagen steht die Person
Jesu, in dem ihnen „ein großes einladendes und umfassendes
ja" begegnet (S. 8). Dieses Ja aber sehen sie im Ostergeschehen
von Gott bestätigt und gedeckt (S. 9). Die neue Interpretation
sieht in den Osterberichten ein kräftigstes Darstellungsmittel
für die Erkenntnis, dafj der Entscheddungsruf Jesu weitergehen
müsse (S. 10 f.). Für Maurer erhebt sich hier aber die Frage,
wo bei dieser Sicht die Wahrheitsfrage, die göttliche Bestätigung
bleibe (S. 10 f). Den biblischen Zeugen begegnete in Jesus Gott
selber als der Handelnde und zwar in einer solchen Realität,
dafj sein neues Leben nicht nur in ihr Denken eintrat, sondern
auch die Leiblichkeit umfaßte (S. 12). Von daher wurde er ihnen
zum Kriterium aller Wahrheit (S. 13), so daß sie trotz aller Mißverständlichkeit
von ihm reden mußten (S. 16 ff) und nicht die
Wahrhaftigkeit vor die Wahrheit stellen konnten, sondern aus
der Wahrheit die Wahrhaftigkeit gewannen (S. 19). Eine von
hier ausgehende Interpretation bezeichnet Maurer als „radikal
offenbarungsmäßig" (S. 19). Die Voraussetzung von dem allem
ist freilich, daß Gott in Jesus so wahrhaft handelte, daß er ihn
auch auf erweckte und ihn nicht ein leeres Wort sein ließ (S. 24).
Eine Exegese, welche nicht an der radikalen Offenbarung Gottes
in Jesus festhält, gerät darum in Zwiespalt mit ihrem Text und
in Unwahrhaftigkeit (S. 27). Die Beurteilung der neutestamentlichen
Überlieferung hängt weithin davon ab, „was als Offenbarung
Gottes in der Wirklichkeit der damaligen Welt anerkannt
wird" (S. 31).

Die Arbeit zeigt die Schwierigkeit des Problems und weist
mit Recht auf die Bedeutung der „Voraussetzungen". Wäre es
vielleicht besser gewesen, die Frage nach den Voraussetzungen
gleich ins Zentrum zu stellen, und zwar sowohl in Bezug au'
die historische Forschung als auch auf die Begriffe .Wahrheit",
„Wirklichkeit" und „Offenbarung"? Der Anschein, als wollten die
„Gegner" die Offenbarungsbedeutung leugnen, der jetzt allzu
summarisch entsteht, hätte so vermieden werden können.

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9