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Ausgabe:

1967

Spalte:

700-702

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Was ist Theologie 1967

Rezensent:

Schrey, Heinz-Horst

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699

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9

700

das Augenmerk zurück auf die Kirche. Sasse ringt um eine
straffe Rechtsgestalt der Bekenntniskirche.

Der zweite Gedankenkreis handelt von den Kennzeichen der
Kirche, den notae ecclesiae (S. 73-151). In Luthers Sakramentsverständnis
sieht der Verfasser „die große Überwindung des
Augustinismus in der Kirche und die Rückkehr zum .Est' des
Neuen Testaments" (S. 79); das Sakrament sei als leibhafte Konkretion
wie Zuwendung des Evangeliums „verbum visibile", sowie
das Wort als sakramentaler Zugriffsakt Gottes „sacramen-
tum audibile" (S. 82). Schroff -wendet sich Sasse gegen ein Ja
zur Repraesentatio des Opfertodes Christi im Abendmahl (S.
84-87); zwar sei mit dem Christus passus auch die Passio Christi
gegenwärtig, sie könne jedoch nicht übereignet und dargereicht
werden (S. 87). Auch das in der gesamten Ökumene neu aufgebrochene
Fragen nach einem anamnetisch-epikletischen Abendmahlsgebet
(S. 101 f.) deutet er als Absage an Luthers Drängen
auf Gottes alleinwirksames Heilshandeln wie das reine Empfangen
des Menschen. „Das ,Zur Vergebung der Sünden' tritt
zurück und wird nicht mehr als eigentliche Verheißung des Sakramentes
verstanden - es ist, als ob der moderne Mensch acine
tiefe Abneigung gegen die Sünden- und Rechtfertigungslehre
der Reformation sogar bis an den Altar der Lutherischen Kirche
trägt" (S. 102). Sasse konzentriert alles aiuf das lutherische Est;
für ihn ist Abendmahlsgemeinschaft identisch mit Kirchenge-
rneinschaft als Koinonia mit der rechtgläubigen Christenheit (S.
115-120).

Eigenständige und weiterführende Besinnungen legt er vor
in dem Spannungsfeld: Amt und Gemeinde, Gesamtkirche und
Einzelgemeinde (S. 121-151); durch diese Überlegungen möchte
er die im vorigen Jahrhundert zwischen Wilhelm Löhe und Ferdinand
Walther entbrannte Fehde überwinden.

Der dritte Abschnitt über die Kirche und die Kirchen (S. 155-
248) warnt vor einer historischen Romantik wie vor einem ökumenischen
Utopismus. Die „alte ungeteilte Kirche" der ersten
Jahrhunderte sei eine Fiktion. „Ein Heide, der im 2. Jahrhundert
in Rom oder Antiochien Christ werden wollte, befand sich
in einer ähnlichen Situation wie heute ein Heide in Bombay und
Kalkutta. Auch er hatte die Wahl zu treffen zwischen verschiedenen
Gemeinschaften, von denen jede beanspruchte, die Kirche
Christi zu sein" (S. 174). Die geeinte Superkirche der Zukunft
werde nicht die Kirche Jesu Christi werden. Die von Sasse zunächst
selber noch gehegte Erwartung, dafj die Una sancta Ecc-
lesia sich hier auf Erden vollenden werde (vgl. S. 167 Anm.), sei
Enthusiasmus und widerstreite dem reformatorischen Glauben.
Erneuert werde die Christenheit allein durch wahre Buße als
Heimkehr zum Gotteswort (S. 182). Das Ringen um dieses lebendige
Wort habe sich aus den Volks- und Massen-Kirchen zurückgezogen
in die kleinen Freikirchen (S. 187).

In seinen Briefen über die Apostolische Sukzession (S. 188-
204), über Maria und den Papst (S. 205-217), das römische Pa-
trozinismusfest „Peter und Paul" (S. 218-232), sowie zum II.
Vatikanum (S. 233-248) rückt Sasse die alte Kirche und die römisch
-katholische Glaubensgemeinschaft in das Licht der Reformation
; sein reiches kirchengeschichtliches Wissen schenkt
manchen Einblick und Durchblick. Am II. Vatikanum kritisiert
er den „leuchtenden Optimismus in der Beurteilung des Menschen
" (S. 247) und erinnert an das Tridentinum, welches - belehrt
durch die Reformation - das Verlorensein aller Adamskinder
und die Neugeburt aus der Taufgnade eindeutiger bezeugt
habe (S, 248).

Staats- und kirchenpolitische Aktualität gewinnt Sasses Schau
im vierten Kreis über das aktuelle Bekenntnis (S. 251-341); auf
diesen Kreis wird sich sicher das Für und Wider vor allem konzentrieren
. Der Artikel aus dem Kirchlichen Jahrbuch von 1932
zur Zeitlage (S. 251- 264) ist ein Geschichtsdokument von Rang.
Hellsichtig deckt Sasse auf, daß dem Artikel 24 des nationalsozialistischen
Parteiprogramms durch die Botschaft der Kirche
widersprochen werden muß bis zum Martyrium. Jenes Bekenntnis
zum „Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse"

könne niemals die Basis bilden für ein Gespräch zwischen der
NSDAP und der Kirche. Als Bedingung für eine Aussprache
müsse die Kirche die vorbehaltlose Zurücknahme jenes Artikels
fordern. Denn sie müsse ein Gespräch mit dem „offenen Geständnis
beginnen, daß ihre Lehre eine vorsätzliche und permanente
Beleidigung des .Sittlichkeits- und Moralgefühls der germanischen
Rasse' ist und daß sie demgemäß keinen Anspruch
auf Duldung im Dritten Reich hat" (S. 262). Sasse warnt die
kommenden Machthaber davor, die Kirche anzugreifen. „Ein
Volk, in das einmal die Kirche Jesu Christi eingetreten ist, überlebt
die Zerstörung der Kirche nicht" (S. 264).

So sehr man Sasses Nein zu einer deutsch-christlichen Redchs-
kirche unterschreiben wird, so unverständlich wird sein nicht
minder schroffes Nein zur Evangelischen Kirche in Deutschland
bleiben. Für ihn vollzog sich durch die Union von 1933 (S. 265-
272), durch die Barmer Bekenntnissynode (S. 273-286) und vollends
durch die EKiD (S. 303-308) die Vernichtung der lutherischen
Bekenntniskirche als Volkskirche in Deutschland. Für ihn
ist die EKiD „weder Kirche noch evangelisch" (S. 303); sie habe
nur die Union, wie Reichsbischof Müller dies wollte, auf ganz
Deutschland ausgedehnt (S. 308); die lutherische Kirche existiere
nur noch in den Freikirchen (S. 309- 319). ,Die EKiD ... ist
eine Sekte wie der Methodismus und der Baptismus, oder richtiger
ein Haufe von Sekten. Ihr Kirchenregiment und das Kirchenregiment
ihrer Gliedkirchen ist häretisch geworden und hat
keinen Anspruch mehr auf Gehorsam und Fürbitte.. . Mit der
Kirche der Ungeänderten Augsburgischen Konfession hat unser
Volk das Höchste verworfen, was Gott ihm anvertraut hatte,
die reine Lehre seines heiligen Evangeliums" (S. 303). Dieses
schroffe Insistieren auf dem Bekenntnisrecht trieb Sasse in die
lutherische Freikirche hinein, deren Väter er in Ehrfurcht und
Dankbarkeit gedenkt (S. 320-329). Die Christenheit wird ihm
zur „Ecclesia migrans" (S. 330-341), welche nur dadurch die Welt
wandelt, daß „sie ganz Kirche ist und weiter nichts" (S. 331).

Im Chor der gegenwärtigen protestantischen Theologie klingt
Sasses Stimme fremd und schrill. Bestricken wird einen an dem
Band der konzise und prägnante Stil, das reiche kirchengeschichtliche
Wissen; innerlich berühren wird uns die brennende Sorge
um die Kirchen der lutherischen Reformation und die heiße
liebe zur Una sancta ecclesia. Doch legt der Rezensent diese
Sammlung mit einem Gefühl des Ungenügens und der Traurigkeit
aus der Hand. Der Verfasser hat sein schroffes Nein hart
formuliert, das lebendige Ja dagegen wird kaum in Ansätzen
entfaltet. Mit so kurzschlüssigen Alternativen wie „objektive
Wahrheiten - subjektive Erlebnisse" (S. 15 uö) werden wir die
innere Not der Moderne nicht überwinden. Das Insistieren auf
ein intaktes Kirchenrecht mit ausgebautem Lehrzuchtverfahren
wird die abgründige Ratlosigkeit der Christenheit nicht bannen.
Wr werden sorgfältiger und behutsamer auf die Schrift wie auf
die reformatorischen Väter lauschen müssen, wenn wir hilfreiche
und gewißmachende Antworten gewinnen wollen. Die Aufgabe
einer schriftgemäßen reformatorischen Theologie wird es sein,
hier viel tiefer zu graben und das Bekenntnis in seiner Weite
und Tiefe neu zu erschließen im ständigen und beharrlichen
Hinblicken auf die Nöte unserer Zeit, welche letztlich unser
aller Not sind. Insistieren wir zu selbstgewiß und unkritisch auf
Schrift und Bekenntnis, so lassen wir uns hinausdrängen aus
der gegenwärtigen Bewegung der Una sancta, wie dies Sasses
Weg in tragischer Weise sichtbar werden läßt.

Heidelberg Albrecht Peters

Neuhäusler, Engelbert, u. Elisabeth Gössmann [Hrsg.]r
Was ist Theologie? München: Hueber (1966). 450 S. gr. 8°. Lw.
DM 34.-.

Nach dem Willen der Herausgeber soll das vorliegende Buch
für theologische Anfangssemester und Studierende anderer Fakultäten
eine Orientierungshilfe bieten. 16 Fachvertreter, darunter
Namen wie Karl Rahner, stellen die einzelnen Disziplinen
dar samt ihren Quellen, Methoden und Hilfswissenschaften. Über