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Ausgabe:

1967

Spalte:

680-683

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Biel, Gabriel

Titel/Untertitel:

Gabrielis Biel Canonis misse expositio 1967

Rezensent:

Damerau, Rudolf

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aus dem Bann des alttestamentischen Gesetzzwangs, worin man
durch ein überspanntes Heiligkeitsideal verstrickt war." '

Wir möchten gegen einen regelmäßig wiederkehrenden Gedankengang
in dieser einleitenden Orientierung Bedenken erheben,
und zwar beim folgenden: es wäre notwendig, eine reformatorische
Auseinandersetzung über den Kirchenbegriff bei Augustin zu
geben, weil man heutzutage im protestantischen Bereich zuweilen
die römisch-katholische Interpretation von Augustins Kirchenbegriff
übernimmt (S. 9). Zunächst empfinden wir nur dann ein
Bedürfnis an Auseinandersetzungen über diesen Begriff, wenn sie
von protestantischer oder römisch-katholischer Beeinflussung befreit
worden sind. Zweitens leugnen wir es, daß das heutige
Studium von Augustinus als solches infolge der jetzigen konfessionellen
Gegensätze ein Manko an Objektivität aufweist. Auf Grund
einer langjährigen persönlichen Erfahrung betonen wir sogar,
daß das Augustinstudium einen ordnenden und zusammenfassenden
Einfluß hat. Hängt das vielleicht mit dem vertiefenden Einfluß
zusammen, den der Kirchenvater ausübt? Und drittens kennen
wir nicht die römisch-katholische Interpretation von Augustins
Kirchenbegriff. Wir denken hier z. B. an die Diskussion über
Fragen wie das Bestehen einer dritten Stadt in „De Civitate Dei",
einer Stadt, die in moralischer Hinsicht gut ist, aber im irdischen
Frieden ein vorübergehendes und irdisches Gut besitzt. Manche
erkennen diese an (P. Brezzi, F. Cayre, Ch. Journet), andere nicht
(E. Gilson, H. Marrou). Doch wäre das Bestehen einer derartigen
Stadt thomistisch annehmbar.

Gegenüber Batiffol z. B., der wenig rechnet mit Änderungen
bei Augustinus selbst in dessen Auffasungen über Matth. 16 v. 18
und die Schlüsselgewalt (Rev. bibl., S. 34-38 und „Le Catholicisme
de S. Augustin-, Paris 1920, S. 198) stehen andere, die das wohl
tun (A. M. la Bonnardiere „Tu es Petrus" in Irenikon, 34 (19),
S. 451-499).

Man könnte auch auf den von Weijland selbst genannten Unterschied
hinweisen in bezug auf das Verhältnis zwischen Kirche und
Staat bei De Reynold (S. 199) und Combes, Fischer, Arquillere
(S. 200).

In demselben Zusammenhang möchten wir ablehnen, daß Poschmann
voreingenommen mehr finden wolle als da ist und der alten
Kirche spätere Auffassung über die satisfaktorische Buße aufdrängen
wolle (S. 15). Weijland zitiert dazu anläßlich I Kor. 11
v. 31: „Ob bei einer solchen Buße aus eigener Initiative auch die
Mitwirkung der Kirche in Anspruch genommen wurde, ist aus
der Stelle direkt nicht zu entnehmen, ist aber aus der Natur der
Sache wahrscheinlich." Und über die Schrift von Hermas: „Tatsächlich
aber schimmert die kirchliche Vermittlung aus der ganzen
Schrift durch, ja macht sie erst verständlich" (S. 15). Demgegenüber
behaupten wir: Poschmann ist trotzdem andererseits derjenige
, der als Theorie das brachte, was keineswegs auch nur im
geringsten mit dem Aufdrängen späterer Auffassungen zu tun hat!
Er verkündigte: Ein geheimes Bußverfahren für geheime Sünden
hat Augustin nicht gekannt. Neben der öffentlichen Buße gibt es
bei ihm keine private kirchliche Buße (vgl. B. Poschmann, Buße
und Letzte Ölung, Freiburg 1951; S. Aurelii Augustini textus
selecti de poenitentia, Bonn 1934). Auch hier wieder müssen wir
Weylands Suggestion von der Existenz der allein gültigen römischkatholischen
Interpretation von Augustins Kirchenbegriff zurückweisen
.

Das zweite Kapitel von Weijlands Buch bespricht die Faktoren,
welche die Kirchenzucht bei Augustinus bestimmten. Beiläufig bemerkt
: Felix von Aphtugni (S. 20) möchten wir lieber von Aptunga
oder Autumna nennen, ein Ort an derselben Stelle, wo jetzt (das
moderne) Henchir Es-Souar liegt.

Weijland hält die Circumcellionen für Hilfskräfte bei der Ernte,
die später sich heftig gegen die sozialen Mißverhältnisse empörten
(S. 31). Unseres Erachtens schließt er sich hier zu schnell bestimmten
Gewährsmännern an. Der Begriff pauper braucht bei den
Donatisten noch gar kein sozialer Begriff zu sein. Wir glauben
nicht, daß die Art der Bewegung schon genügend bekannt ist, um
zuverlässige Schlußfolgerungen zu ziehen.

') Um es dem Leser bequem zu machen wörtlich Ins Deutsche übersetzt.

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Auf S. 42 sagt Weijland, daß es ihm ein Rätsel ist, weshalb
gerade ein Motiv so wenig in den Vordergrund getreten ist bei
den vielen Gelehrten, die über Augustins Streit gegen den Donatismus
geschrieben haben, und zwar der Widerstand des Kirchenvaters
gegen die donatistische Ansicht, daß in der ganzen Welt
nur Unkraut wachse und daß sich das Getreide auf Afrika beschränke
(c. Ep. Parm. I, 21). Wir staunen über dieses „Rätsel".
Man kennt ja die Rolle, die dieser Gedanke bei der Evolution von
Newmans Ideen gespielt hat. Im Jahre 1839 wurde dieser von
dem Gedanken ergriffen, daß die ganze Welt in aller Gewißheit
diejenigen als nicht gut verurteilt, welche sich, in welcher Gegend
denn auch, von der ganzen übrigen Welt absondern. Man vergleiche
in dieser Hinsicht über Augustinus außer De Lubac und
Willis: A. Fortescue, „Donatism", London 1917, S. 28 s.; P. Batiffol,
„Le Catholicisme de S. Augustin", Paris 1921, S. 35 s., 43-44, 143.

W. hätte in dem vierten Kapitel doch mehr mit der Tatsache
rechnen sollen, daß Augustinus keine systematische Kirchenlehre
aufgebaut hat, wie er selbst bemerkt (S. 111). Namentlich mit
Scheidelinien zwischen den Menschen arbeitet W. zu schematisch.
Allerlei Linien ziehen sich beim Kirchenvater möglicherweise quer
durch einen Menschen hindurch. Und der Mensch ist nichts anderes
als ein aeger sanandus (Serm. 99. 9). Damit hängen auch
die stark wechselnden Einteilungen des Sündenkatalogs bei
Augustinus zusammen. Aufs neue finden wir da ein Stück Lebensund
Glaubenspraxis, das von der Person des Kirchenvaters ausgeführt
und interpretiert wird. Es ist nicht richtig, hinterher
daraus ein System machen zu wollen.

Anfangs bekommt man den Eindruck, daß W. diesen Fehler
nicht machen will, aber sein allzu systematischer Kirchenbegriff
veranlaßt ihn zwangsläufig dazu, den Sündenkatalog zu systematisch
zu rekonstruieren. Nachdem er mit Recht die Bemerkung
gemacht hat, daß bei jedem Sünder infirmitas eine Rolle spielt und
daß diese rein psychologische Einschätzung nicht ausreicht, zu
einem Ausschließungsurteil zu kommen (S. 120), sagt W., daß
Augustinus nun aus praktischen Gesichtspunkten den Dekalog zu
Hilfe rufe. Damit suggeriert er m. E. allzusehr ein logisch ineinanderpassendes
System, das seiner eigenen Auffassung von
Augustins Kirchenbegriff entspricht.

Hllversum L. J. van der Löf

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Oberman, Heiko A., et William J. Courtenay: Gabrielis
Biel Canonis Misse Expositio, Pars Tertia. Wiesbaden: Steiner
1966. X, 333 S. gr. 8° = Veröffentlichungen d. Instituts f.
Europäische Geschichte Mainz, Abt. f. Abendländische Religionsgeschichte
, hrsg. v. J. Lortz, 33. Lw. DM 50.-.

Der III. Teil der „Expositio canonis missae" des Gabriel Biel
dürfte der religiös-wertvollste der Meßkanonkommentierung
sein. Er umfaßt ausschließlich die Gebetslehre und die Vaterunserauslegung
des Tübinger Magisters, die wir bereits in unserem
Werke „Das Herrengebet. Ein Kommentar des Gabriel Biel" der
Öffentlichkeit zugänglich machten. Der Leser des III. Teils der
„Expositio ..." dürfte dort die Darstellung und die theologischgeschichtliche
Einordnung dieser Vaterunserauslegung Biels finden.
Dieser Teile dürfte gerade der Abschnitt der Meßkanonausdeutung
Biels sein, der Luther in der Rückschau auf dieses Werk,
das er als junger Mönch erarbeitete, zu dem Geständnis bewegte:
„Wenn ich darin las, dann blutete mein Herz!" Eine gründliche
Untersuchung der Gebetslehre Luthers dürfte den Beweis erbringen
können, daß Luther aus diesem Born, den Biel ihm reichen durfte,
wertvolle Impulse für seine Gebetshaltung und Gebetstiefe entgegennehmen
durfte. Es dürfte wohl kaum u. W. eine derartig
gründliche Darstellung über das Gebet und das Vaterunser im
15. Jahrhundert geben, die sich so intensiv mit diesem Stoff und
den daraus sich ergebenden seelsorgerlichen Problemen befaßt hat,
wie gerade die des Tübinger Magisters. Selbst die Gebetslehrcr
des vorreformatorischen Jahrhunderts wie G e r s o n und Nikolaus
von Dinkelsbühl haben der Gebetslehre und dem
Herrengebet nicht diese Intensität und den Eifer gewidmet wie
Biel.

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9