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Ausgabe:

1967

Spalte:

676-678

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rittenbach, Willi

Titel/Untertitel:

Geschichte der Bischoefe von Meissen 1967

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9

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Hauptlinien, die uns hier allein interessieren sollen, scheint mir
die Darstellung gut gelungen zu sein. Viele Einzelheiten werden
auf Grund von Spezialkenntnissen sicher bald von verschiedenen
Seiten kritisiert, aber Lindhardt ist zur Zeit der einzige, der das
Quellenmaterial einigermaßen überschauen kann. Sein Buch ist
nicht nur eine gute Arbeitsgrundlage für die kommende Forschung,
ich glaube, daß sich auch seine Grundkonzeption behaupten wird.

Besonders hervorzuheben ist die gründliche Einführung in das
verwickelte Spiel der dänischen Kirchenpolitik dieses Jahrhunderts.
Mit genauer Kenntnis der politischen Verhandlungen und der
kirchlichen Diskussion zeigt Lindhardt, wie die um die Jahrhundertwende
bestandene allgemeine Erwartung einer Scheidung
zwischen Staat und Kirche mit der Zeit in den Hintergrund gedrängt
wird. Das Staatskirchentum des 19. Jahrhunderts wird
durch eine Gesetzgebung, für die vor allem der Kultusminister
J. C. Christensen verantwortlich ist, allmählich von innen aufgelöst
und von einem demokratisierten Volkskirchentum ersetzt. Ohne
Scheidung vom Staat und ohne eine eigentliche Kirchenverfassung
wird die Kirchenleitung in die Hände der Gemeinderäte gelegt.
Diese wählen nicht nur die Pfarrer, sondern auch die Bischöfe.
Sowohl die Gesetzgebung des Reichstags (jetzt des „Folketings")
als auch die kirchliche Verwaltung im Kirchenministerium sind in
allen Verhältnissen bestrebt gewesen, nicht dirigierend einzugreifen
, sondern nur neue Möglichkeiten zu eröffnen, deren Benutzung
aber ganz in der Hand der lokalen Kirchenleitung liegt.
Somit hat die dänische Kirche eine ganz eigenartige Ordnung bekommen
, die weniger von Prinzipien als vielmehr von praktischen
Verhältnissen bestimmt ist.

Nun ist ja die Kirchenpolitik gewissermaßen ein wohl abgegrenztes
Gebiet. Sehr viel schwieriger ist es, das gesamte kirchliche
Leben einer Zeit zu charakterisieren. Aber auch hier hat
Lindhardt viel geleistet. Die Zeit vor 1920 ist auch in Dänemark
die Zeit der liberalen Theologie. Sehr überzeugend zeigt Lindhardt
, wie die kirchlichen Parteien (besonders die Pietisten und
die Grundvigianer), die den Liberalismus („Bibelkritik") bekämpfen
, selbst innerlich von ihm durchdrungen sind. Die große
Wende kommt nach 1920. Obwohl Barth und die dialektische
Theologie auch bei dänischen Theologen Eindruck machten, ist
jedoch die „Tidehvervsbewegung", die für eine überaus scharfe
Auseinandersetzung mit der vorigen Generation sorgte, eine
originale Bewegung, die in der christlichen Studentenbewegung in
Kopenhagen entstanden ist. Seit 1922 sammelte sich eine Reihe
von begabten jungen Theologen um den Gefängnispfarrer Niels
Iver Heje. 1926 gründeten sie eine Monatsschrift, Tidehverv (Zeitwende
), die noch existiert. Die Radikalität, womit diese jungen
Theologen in ihrem Kampfblatt zuerst die älteren „Führer" der
Studentenbewegung und später überhaupt die Persönlichkeitsreligion
der kirchlichen Parteien erbarmungslos mit ihrem Luther
und Kierkegaard niedermachten, führte um 1930 zu einer Isolierung
. Aber die Nachwirkung war doch stark, und fast alles, was
theologisch in den Jahren bis 1940 verfaßt wurde, war direkt und
indirekt von der Problemstellung der Tidehvervsbewegung beeinflußt
. Lindhardt schildert, wie die kirchlichen Parteien verschiedentlich
auf diese Angriffe reagierten und vor allem, wie
man gezwungen wurde, die alten Positionen aufzugeben. In der
christlichen Jugendbewegung (mit Verbindung zu der pietistischen
„Inneren Mission") wurde gerade Barth als Stütze gegen den Sturm
verwendet! Die Periode ist durch Tidehverv beherrscht, daneben
ist die Welle der Buchmann'sehen Oxfordbewegung in der Mitte
der 30er Jahre nur von vorübergehender Bedeutung.

Die deutsche Besatzung in den Jahren 1940-45 war natürlich
auch kirchlich eine Zeit des Abbruchs, aber es ist bemerkenswert,
daß sie für Lindhardt, sicher mit Recht, nur eine Enklave ohne
bleibende Bedeutung in der dänischen Geschichte und Kirchengeschichte
bildet. Kulturell und kirchlich ging nachher alles weiter
mit Anknüpfung an die 30er Jahre.

Von seiner Darstellung der letzten Periode, 1940-1965, sagt
Lindhardt selber, daß sie nicht, wie die Schilderung der Zeit 1900
bis 1940, als eigentliche Geschichtsschreibung betrachtet werden
kann. Der Verfasser war selbst, jedenfalls seit 1945, ein bekannter
Teilnehmer an der kirchlichen Debatte. Was in diesem Abschnitt
gesagt wird, ist dann von mehr summarischem Charakter, aber

immerhin anregend, obwohl auch vor Kritik weniger geschützt.
Das muß so sein, wenn man meinte, diese Periode schon in ein
Werk wie dieses aufnehmen zu sollen. Mir scheint es, daß man
doch damit hätte warten müssen. Das kann man diskutieren, und
es wird sicher, wie das Buch überhaupt, viel diskutiert werden.

Die Auswahl des Stoffes ist so getroffen, daß man sagen kann:
dies ist vor allem ein Buch über die kirchliche Debatte in Dänemark
im 20. Jahrhundert, sowohl die kirchenpolitische wie die
theologische. Weniger, und wirklich viel weniger, hört man von
der kirchlichen Aktivität, den kirchlichen Institutionen usw. Die
Missionsgeschichte meinte Lindhardt, wie er selber sagt, ganz
auslassen zu müssen. In dieser gewählten Begrenzung des Stoffes
kann man dem Verfasser nur beistimmen: dann sind die kirchenpolitischen
Ereignisse und die Tidehvervsbewegung das Wichtigste,
was in der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts in Dänemark
geschehen ist.

Kopenhagen Leif Grane

Rittenbach, Willi, u. Siegfried Seifert: Geschichte der
Bischöfe von Meißen 968-1581. Leipzig: St. Benno-Verlag
[1965]. VIII, 441 S., 16 Taf. 1 Faltkte 8° = Studien z. katholischen
Bistums- und Klostergeschichte, hsg. v. H. Hoffmann
u. F. P. Sonntag, 8.

Die für 1968 vorgesehene Tausendjahrfeier des Bistums Meißen
war Veranlassung zu dem vorgelegten Band. Er zeigt einmal
mehr die Nützlichkeit territorial begrenzter Untersuchungen
für die Gesamtkirchengeschichte; freilich wird man zur
nicht immer kritischen Methode und zum katholisch-konfessionellen
Urteil einige Bedenken anmelden müssen. Die Meißener
Bischöfe von 968 bisl293 werden von Willi Rittenbach dan -
stellt (S. 3-194), dem auch die umfangreichen Register (S. 387-
442) zu danken sind. Siegfried Seifert stellt die Jahre 1293-
1581 dar (S. 195-385). Die Gründung des Bistums Meißen
führt zurück in die Ottonische Reichskirche, bis über die Jahrtausendwende
hinweg ist die Quellenbasis dürftig. Es kommt
zu Unsicherheiten in der Reihenfolge der Bischöfe (bes. S. 50);
auch um 1120 ist nochmals die Quellenlage so unsicher, daß
keine sicheren Angaben möglich sind (S. 83-85). Dennoch
bekommt jeder Bischof (bis auf eine Ausnahme S. 59) mindestens
2 Seiten, da R. nicht nur alle Erwähnungen in den Quellen
nennt, sondern auch Vermutungen der Sekundärliteratur
heranzieht. Besondere Anteilnahme gilt Bischof Benno (1066-
1106). Schlesingers Urteil (Kirchengeschichte Sachsens I, 1962,
S. 129/31) folgend deutet R. den mehrfachen Parteiwechsel Bennos
im Investiturstreit positiv als christliche Friedenspolitik
(S. 69-73). Bennos Nachwirkungen in Legenden und Heiligsprechung
bleiben jedoch zu den hisorischen Tatsachen in Spannung,
die bei R. kaum herauskommt (S. 74/75). Besonderes Interesse
gilt dem jeweiligen Verhältnis des Bischofs zum Domkapitel
sowie den Klostergründungen (Altzclle, S. 94 f., Mariental,
S. 146, Marientern, S. 158 u. a.). Bischof Albert I. (1150-52)
war am Königshof aktiv, doch ist solche „enge Verbindung mit
dem Herrscher einmalig in der Geschichte der Meißener Bischöfe
" (S. 102). Martin von Meißen nahm am 3. Laterankonzil
in Rom 1179 teil. Bei Dietrich II. wurde 1191 erstmals eine
Bischofswahl desi Kapitels angefochten; erst 1196 entschied Papst
Cölestin III. endgültig für Dietrich (S. 121). Bischof Heinrich
wurde 1240 von Rom aus mit der Untersuchung einer Klage
gegen die Missionspraktiken der Dominikaner und Deutschritter
in Preußen beauftragt (S. 141). Spannungen zu Prag und
Böhmen beginnen unter Konrad I. (1240 - 58). Bischof Withego
(1266-93) ist vor allem mit dem Dom und seiner Baugeschichte
verbunden (S. 171), doch steht er „mehr als Regent vor uns
denn als Hirte der ihm anvertrauten Seelen" (S. 194).

Bedenken ruft der häufige Gebrauch des Wortes „Mission" hervor. Richtig
sagt R., daß wir vom ersten Bischof Burchard nur den Namen sowie Zeit und Ort
der Bischofsweihe kennen. Doch wird dann von Mission gesprochen, die unter
ihm getrieben worden sei: „Namenlose Mönche haben hier eine Frucht ausgestreut
, die erst nach vielen Generationen Frucht brachte" (S. 18). Violleicht
war es wirklich so; aber es muß festgehalten werden, daß es sich nur um Vermutungen
handelt, die durch keine Quelle gesichert sind. Ähnlich behauptet R.
vom 3. Bischof Eid (892-1015): „Im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts ruht die
Missionsarbeit in den östlichen Marken jedenfalls ganz auf dem Bistum Meißen,
und Bischof Eid sah, während andere Bischöfe wie Adalbert von Prag und Brun
von Querfurt in die Ferne zogen, sein Arbeitsfeld in dem ihm übertragenen