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Ausgabe:

1967

Spalte:

672-673

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schelkle, Karl Hermann

Titel/Untertitel:

Wort und Schrift 1967

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Seite 1, Seite 2

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671

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9

672

Abschnitt VII befaßt sich mit Rom. 15, 25 ff. Auch an dieser
Stelle läßt Paulus nach Georgi das längst außer Kraft getretene
Jerusalemer Abkommen unberücksichtigt. Natürlich bestimmt
ihn nach der Befriedigung seiner Gemeinden auch nicht
mehr die im Jahr zuvor leitende taktische Erwägung. Nunmehr
sammelt er die Gabe in der Hoffnung, mit ihrer Überbringung
di© Juden zu provozieren. Die kleine Reisegesellschaft unbeschnittener
Heidenchristen nach Jerusalem mufj, so meint der
Verfasser, bei den Juden den Gedanken an die eschatologische
Völkerwallfahrt wachrufen. Paulus hofft, sein ungläubiges Volk
auf diese Weise KU reizen, auch selbst das Heil in Christus anzunehmen
. So erhält die Kollekte erneut eine taktische Funktion.
Diesmal rechnet Paulus freilich schon im Voraus damit, daß
seine Taktik fehlschlägt, und äußert deshalb in 15, 31 seine Besorgnis
vor den ungläubigen Juden - womit er dann ja auch
recht behielt.

Richtig ist zweifellos, daß Rom. 15, 25 ff. nicht zu Georgis
Interpretation von Gal 2, 10 paßt. Mit Gal. 2, 10 selbst jedoch
stimmt 15, 25 ff. völlig überein: das Jerusalemer Abkommen
wird, wie schon das Stichwort Gemeinschaft' in V. 26 zeigt, im
ursprünglichen Sinn erfüllt. In 15, 25ff. teilt Paulus
überdies mit dürren Worten den Römern in hinreichender Klar
heit alles Notwendige über den Zweck der Kollekte mit. Aus 2.
Kor. 8, 20 f. erfahren wir, welche Aufgabe die Begleiter des Paulus
erfüllen sollen. Von provokatorischer Absicht und eschatolo-
gischer Völkerwallfahrt liest man nichts, und es besteht nach
meiner Meinung auch weder Anlaß noch Notwendigkeit noch
auch nur die Möglichkeit, derartige geheime und dann doch anscheinend
absichtlich geheim gehaltene Gedanken des Paulus
zwischen seinen Zeilen herauszulesen.

Abschnitt VIH berichtet von der Überbringung der Kollekte
nach Jerusalem. Um auf Wunsch der Jerusalemer Christen jede
unnötige Provokation zu vermeiden (!), wurde die Gabe „anscheinend
gleichsam im Nebenzimmer und sozusagen nur flüsternd
übergeben und empfangen" (S. 89); Lukas hat darum

nichts von dem eigentlichen Anlaß der Reise des Apostels erfahren
.

Aber unmöglich konnte den jüdischen Oberen die Sammlung
in der Diaspora und der Zweck der Reise des Paulus verborgen
bleiben, zumal wenn Paulus die ganze Sammlung nur aufzog,
um die Juden zu provozieren.

Einzelne Unterabschnitte und Exkurse, die nur in losem Zusammenhang
mit dem Thema der Untersuchung stehen, sich ihr
aber geschickt einfügen, befassen sich mit den verschiedenen
Reiseplänen des Paulus, mit dem Kollektenbrief Phil. 4, mit
Rom. 16, mit der Chronologie des Paulus u. a. m. Ihr Fehlen
würde für das Grundthema nicht ins Gewicht fallen.

Unser kritischer Überblick hat ergeben, daß Georgi einen
originellen und durchkonstruierten, allerdings auch sehr eigenwilligen
Entwurf vorgelegt hat, der zwar als überaus anregend
beurteilt werden muß, aber, vor allem aus methodischen Gründen
, doch auch eine erhebliche Kritik herausfordert und an keiner
wesentlichen Stelle der Überprüfung standhält. Man versteht
nicht, was den Verfasser bewogen hat, das einfache und lebensnahe
Bild der Kollektensammlung, das die Briefe des Paulus
selbst zeichnen, in dieser spekulativen Weise zu konstruieren.
Dazu wäre es wohl nicht gekommen, wenn er, wie es methodisch
geboten gewesen wäre, die Kollekte nicht weitgehend von
der Gesamtproblematik der Beziehungen zwischen Paulus und
Jerusalem isoliert, sondern in diesem Rahmen untersucht hätte.

Man muß überdies bedauern, daß durch die Mühe, die der
Verfasser sich macht, die verschiedenen Taktiken aufzudecken,
die hinter der Kollektensammlung des Paulus stehen sollen,
das ursprüngliche und m. E. auch bleibende Motiv für die
Sammlungen und Sendungen der Heidenchristen nach Jerusalem
über Gebühr verdeckt wird: der Wunsch nämlich, bei aller
theologischen und kirchlichen Verschiedenheit die Einheit der
Christenheit zu wahren, also die sozusagen ökumenische Motivation
. Gerade die Geschichte der Kollekte könnte deutlich
machen, wie eng zahlreiche ökumenische Probleme der gegenwärtigen
Christenheit mit den Schwierigkeiten verwandt sind,
die sich aus dem Nebeneinander von judenchristlichen und heidenchristlichen
Gemeinden in der frühen Christenheit ergaben.

Marburg Walter S c h m i t h a I s

Sc heikle, Karl Hermann: Wort und Schrift. Beiträge zur
Auslegung und Auslegungsgeschichte des Neuen Testaments.
Düsseldorf: Patmos-Verlag [1966]. 322 S. gr. 8° = Kommentare
u. Beiträge z. Alten u. Neuen Testament. Lw. DM 34.-.
„Das gesprochene Wort Gottes intendiert von Anfang an
die Schriftwerdung" (S. 18). „Das vergängliche Wort will in der
Schrift beständig werden. Das Geschriebene aber will im Wort
wieder lebendig werden" (S. 23). Diesem Zusammenhang zwischen
Wort und Schrift gilt das theologische Bemühen, das in
der vorliegenden Aufsatzsammlung seinen Niederschlag gefunden
hat. Sie vereint Arbeiten, die während einer durch siebzehn
Jahre ausgeübten Lehrtätigkeit an den Universitäten Würzburg
und Tübingen entstanden sind. Die leitende Thematik, die
in der ersten Studie über „Wort Gottes" entfaltet ist, zieht sich
auch durch alle folgenden Untersuchungen, die zu drei Gruppen
zusammengefaßt sind: Wird im ersten Teil nach einer biblischen
Hermeneutik gefragt, so nehmen im zweiten, der von
Auslegung und Theologie im Neuen Testament handelt, Untersuchungen
zum biblischen Ethos einen breiten Raum ein; im
dritten Teil wird dann an ausgewählten biblischen Texten, vornehmlich
des Römerbriefs, vorgeführt, wie die Väter das Neue
Testament zu verstehen suchten und in welcher Weise ihre Auslegung
für unsere heutige exegetische Bemühung hilfreich sein
kann. Alle Abhandlungen, die hier zusammengestellt sind, lassen
gründliche Kenntnis der religionsgeschichtlichen Zusammenhänge
, enge Vertrautheit mit den historischen und exegetischen
Spezialproblemen und ein tief eindringendes Studium der Kirchenväter
erkennen. Die Ergebnisse seiner Forschungen aber
trägt der Verf. in wohl durchdachter Darstellung und schlichter
Sprache vor, so daß der Leser behutsam in die Aufgaben wissenschaftlicher
Exegese eingeführt und mit reicher Belehrung
beschenkt wird.

„Es ist Unglaube vor dem Wort Gottes, wenn man ihm nicht
vertraut, daß es vor der ernsten Forschung bestehen wird. Die
strenge wissenschaftliche Arbeit, die an der Bibel geschah und
geschieht, empfing im Gegenteil ihren Segen und wird ihn
weiter empfangen, den Segen eines tieferen Verständnisses des
menschlichen Anteils an der Schrift, aber auch des wahren Verständnisses
des Wortes Gottes, das durch das Menschenwort
gesagt ist" (S. 51). Dieses kritische Fragen erstreckt sich nicht
nur auf die historische Untersuchung, sondern auch auf die dem
Text angemessene Aktualisierung. Wenn Paulus das alttesta-
mentliche Wort „auf uns" bezieht, so wird man geradezu an
heutige existentiale Interpretation und existentiellen Bezug des
Schriftwortes erinnert. „Bemüht sich nicht existentiale Interpretation
mit dem Ziel der Entmythologisierung des Textes wie
jene typologische Auslegung der Väter zuletzt um die gleiche
Frage, jene nämlich, wie aus der Buchstäblichkeit der Bibel der
mächtige Geist und aus ihrer Wörtlichkeit das gültige Wort zu
hören und zu entbinden seien?" (S. 35).

Wie diese Aufgabe, die dem Exegeten gestellt ist, durchzuführen
ist, wird an verschiedenen Beispielen gezeigt. Sorgfältig
wird zwischen Paulus und den Pastoralbriefen, die nicht von
Paulus selbst, sondern aus seiner Schule stammen, differenziert
(S. 37 Anm. 15; 194 u. ö.). Es wird darauf aufmerksam gemacht
, „daß in der Kindheitsgeschichte der Evangelien auch
zeitbedingte Vorstellungen und dabei auch legenden- oder my-
thenhafte Motive verwendet seien" (S. 75). An anderen Stellen
wird freilich zurückhaltender geurteilt. Lukas gilt als Paulusschüler
(S. 69). Von der Geschichte der jungfräulichen Geburt
Jesu sollen die Bezeichnungen Legende und Mythus ferngehalten
werden (S. 67). Obwohl darauf hingewiesen wird, daß zwischen
triadischen und trinitarischen Formeln im Neuen Testament
unterschieden werden muß (S. 92), werden dann doch
Mark. 1, 10f.; 2. Kor. 13,13 und Matth. 28,19 als trinitarische
Aussagen gewertet, die ein „trinitarisches Grundbewußtsein" er-