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Ausgabe:

1967

Spalte:

660-662

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mowinckel, Sigmund

Titel/Untertitel:

Studien zu dem Buche Ezra-Nehemia 1967

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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659

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9

660

psychologischen Theorien über „Entstehung und Inhalt des Traumes
" (S. 15-23), während das 3. seine Funktion (S. 24-36) behandelt
. Dabei wird, der Abzweckung der Arbeit entsprechend,
besonderer Nachdruck auf die prospektive, telepathische und
präkognitive Bedeutung und die Erklärungsversuche derselben
gelegt. Zur Erklärung der Präkognition findet er am ehesten
die Annahme einer Teilhabe des menschlichen Geistes „an dem
über Raum und Zeit subsistierenden Sein" geeignet (S. 35), womit
er in die Nähe dessen kommt, was A. Neuheuslei' in seinem
„Telepathie, Hellsehen, Präkognition", Bern 1958, dazu gesagt
hat. Auch der Frage, wie man sich den Traum als Offenbarungsmittel
denken könne, hat sich der Verfasser gestellt: Er nimmt
in diesem Fall eine indirekte Einwirkung Gottes mittels „einer
Veränderung des bisherigen innerseelischen Kräftespiels" an (S.
26). Damit rührt er an erkenntnistheoretische und theologische
Grundfragen, zu denen sicher sehr verschieden Stellung genommen
werden kann. Daß die thesenartig gegebenen Lösungen und
die nicht minder knappen Zurückweisungen anderer so nicht
befriedigen können, liegt auf der Hand. Immerhin soll das Verdienst
hervorgehoben werden, damit erneut auf das erkenntnistheoretische
Problem der Präkognition hingewiesen zu haben,
dessen Existenz dem modernen Denken ein Unbehagen bereitet,
das sich weithin in seiner Verdrängung äußert. Im ganzen wird
man den psychologischen Überblick als gelungen und nicht nur
das Interesse des Exegeten verdienend bezeichnen dürfen.

Dagegen unterliegt der 2. Abschnitt und eigentliche Hauptteil
der Arbeit schweren grundsätzlichen methodischen Bedenken
. Man wird sein erstes Kapitel über die Entstehung und den
Inhalt des Traums in alttestamentlicher Sicht (S. 38-52) und das
letzte über „Den Traum im Heilsplan Gottes" (S. 129-136) gelten
lassen, wenn auch in dem ersten exegetisch manches zweifelhaft
bleibt, wie z. B. der Versuch, Jer. 23, 25 ff. als nur gegen
erfundene Träume und nicht gegen Offenbarungsträume überhaupt
gerichtet zu verstehen. Der Nachweis, daß sich im AT
abgesehen von der Bewertung des Traums als Offenbarungsmittel
durchaus die gleichen Momente wie im modernen psychologischen
Traumverständnis finden, ist jedenfalls gelungen. -
Aus dem soweit psychologisch und exegetisch Erarbeiteten ergibt
sich für R. die weitere Methode seiner Untersuchung: In
dem ersten exegetischen Schritt sollen „die von außen gegebenen
Übereinstimmungen zwischen den Elementen des Trauni-
textes und der gegenwärtigen bzw. zukünftigen Realsituation"
dargelegt werden, in dem zweiten die psychologische Analyse
und in dem dritten die heilsgeschichtliche Wertung vorgenommen
werden (S. 52).

Man wird von vornherein erkennen müssen, und damit stehen
wir bei dem grundsätzlichen Einwand gegen die ganze weitere
Untersuchung, daß sich diese Methode ungebrochen nur
gegenüber einem dokumentarischen Material verantworten läßt,
nicht aber gegenüber sagenhaften und novellistischen Stoffen,
wie sie uns in der Abraham-, Isaak- und Josephsüberlieferung
(S. 57-107), der Erzählung vom Traum Gideons, Samuels und
Salomos (S. 108-117) vorliegen, von den Träumen Nebukadne-
zars im Danielbuch ganz zu schweigen, wenn wir die Quellenlage
von 2. Makk. 15 auf sich beruhen lassen wollen (S. 117-
128). Der Verf. referiert zwar über das Pentateuchquellenpro-
blem (S. 53-56) und weiß um den Unterschied des Alters der
Einzelüberlieferungen und der Quellenschriften (S. 53), zieht
daraus aber nicht die geringsten methodischen Konsequenzen.
Die „Überlieferungsgeschichte" von M. Noth erscheint zwar im
Literaturverzeichnis, bleibt aber sonst methodisch unberücksichtigt
. Aus dem ganzen von dem Verf. auf den S. 57-128 vorgeführten
Material kann man dem heutigen Forschungsstand entsprechend
nur die Folgerung ziehen, daß Träume als Offenbarungsmittel
galten und daß die Erzähler bei ihren Traumwiedergaben
natürlich Träume erzählen wollten und so mehr oder
weniger unreflektiert von ihrer eigenen Einsicht in das Wesen
der Träume beeinflußt waren. Jedenfalls geht der Verf. entschieden
zu weit, wenn er etwa im Blick auf Gen. 15 feststellt,
die „ganze Zeremonie des Bundesschlusses ist nämlich aus den

Tagesresten Abrams zu erklären.. ." (S. 63), oder wenn er zu
Gen. 31 anmerkt: „Die seelische Triebfeder dieses Traumes bildet
die Sehnsucht Jakobs nach dem Hause des Vaters .. ."
(S. 76). Wer erkannt hat, daß die Josephsgeschichte eine sehr
komplizierte Vorgeschichte hatte, bis sie als literarische Brücke
zwischen der Patriarchen- und der Auszugstradition ausgestaltet
wurde, kann das Urteil, Joseph habe eine präkognitive oder
prophetische Begabung besessen (S. 95), nur kopfschüttelnd zur
Kenntnis nehmen.

So ist der Verfasser, von dessen Liebe zum Alten Testament
und dessen Fleiß seine Exegesen zeugen, auf Grund seiner sicher
überdurchschnittlichen psychologischen 'Kenntnisse, denen jedoch
nicht die gleichen auf dem Gebiet der historisch-kritischen alt-
testamentlichen Forschung entsprechen, unseres Erachtens einer
Täuschung zum Opfer gefallen, wenn er meint gezeigt zu haben,
daß sich abgesehen vom Danielbuch, - wo er wenigstens eine
„stark literarische Ausschmückung und Umdeutung auf spätere
Zeit „als möglich zugestehen will, wo er aber trotzdem an einem
historischen Hintergrund festhalten will -, die „übrigen Traumberichte
des Alten Testaments. . . zum Großteil bis in letzte
Einzelheiten historisch und psychologisch erklären" lassen (S.
137). Es bleibt das Verdienst von Resch, erneut auf die Bedeutung
der Psychologie für die Exegese hingewiesen und dafür
auch methodische Anregungen gegeben zu haben. Aber die Durchführung
des eigenen Programms scheitert an der Geringschätzung
der Literarkritik und zumal der Traditionsgeschichte.

Marburg / Lahn Otto Kaiser

Mowinckel, Sigmund: Studien zu dem Buche Ezra-Nehcmia.

I: Die nachchronische Redaktion des Buches. Die Listen. II:
Die Nehemia-Denkschrift. Oslo: Universitetsforlaget 1964.
167 S. u. 135 S. 4° = Skrifter utgitt av Det Norske Videns-
kaps-Akademi i Oslo, II. Hist.-Filos. Klasse, N. S., No. 3 u. 5.
In den letzten Jahren vor seinem Heimgang ist Sigmund
Mowinckel (f 1965) noch einmal ausführlich zu einem Thema
zurückgekehrt, das ihn schon vor fünfzig Jahren in seinen ersten
größeren Arbeiten beschäftigt hatte'1 und dem auch in den dazwischenliegenden
Jahren sein Interesse galt.2 So kann man mit
guten Gründen die vorliegenden zwei Bände als eine Lebensarbeit
bezeichnen, in der sich eine durchdringende Analyse des
Textes, eine gründliche Kenntnis aller für die Zeit Nehemias und
Esras zur Verfügung stehenden Quellen und die in vielen arbeitsreichen
Jahren gewonnene methodische Erfahrung des großen
Gelehrten glücklich miteinander verbinden. Es ist bezeichnend
für die relativ langsamen Fortschritte der Esra-Nehemia-
Forschung in den letzten Jahrzehnten, daß M. im wesentlichen
seinen Ansatz vom Jahre 1916 beibehalten und weiterführen
kann. Allerdings würdigt M. keineswegs alle seitdem erschienenen
einschlägigen Publikationen einer Erwähnung.'' Um so ausführlicher
befaßt er sich - neben seinen alten Kontrahenten vom
Jahre 1916 - mit S. Granild's und E. Johannesen's Arbeiten,1
besonders aber mit W. Rudolphs Kommentar,5 wobei Rudolph
nicht eben sanft behandelt wird.

Ausgangspunkt des ersten Teils der .Studien' ist das dritte
Esra-Buch. M. sieht in ihm eine direkte Übersetzung aus einem
hebräisch-aramäischen Original, in dem auch die Pagenerzählung
bereits vorhanden war. Der gegenwärtige Bestand des dritten
Esra-Buches ist freilich nicht mehr als ein Fragment der „griechischen
Übersetzung eines größeren Werkes" (S. 13), und zwar

') Statholderen Nehemia. Kristiania 1916; Ezra, den Skriftlaerde, Kristiania
1916.

z) Vgl. Erwägungen zum chronistischen Geschichtswerk, ThLZ 85, 1960, S. 1-3;
„Ich" und „Er" in der Ezrageschichte, in: Rudolph-Festschrift, Tübingen 1961,
S. 211-33.

3) So vermißt man u. a. die wichtigen Beiträge von J. St. Wright, The Date
of Ezra's Coming to Jerusalem, London 147; K. Galling, The ,Gola-List' According
to Ezra 2 / Nehemia 7, JBL 70, 1951, S. 149-58; H. Cazelles, La mission d'Esdras.
VT IV, 1954, S. 113-40; A. L. Allrik, The Lists of Zerubbabel, BASOR 136, 1954,
S. 21-27; A. Jepsen, Nehemia 10, ZAW 66, 1954, S. 87-106; Ch. C. Torrey, Tho
Chronicler's History of Israel: Chronicles — Ezra — Nehemia Restored to its
Original Form, 1954; M. Rehm, Nehemias 9, BZ NF I, 1957, S. 59-o9.

4) S. Granild, Ezrabogens litteraere Genesis Kopenhagen 1949; E. Johan-
nesen. Studier over Ezras og Nehemjas Historio, Kopenhagen 1946.

5) Esra und Nehemia samt 3. Esra, Hb AT I, 20, Tübingen 1949.