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Ausgabe:

1967

Spalte:

652-653

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Chakmakjian, Hagop A.

Titel/Untertitel:

Armenian christology and evangelization of Islam 1967

Rezensent:

Spuler, Bertold

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9

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mende Intention, die Primitiven mit einzubeziehen in die Einheit
des menschlichen Geschlechts. Den Worten, die der Verf.
hierbei über die bitteren Erfahrungen und die Katastrophen des
nationalsozialistischen Rassenhasses findet (S. 230), ist rückhaltlos
beizustimmen. Sollten diese Feststellungen außerhalb jeder
Diskussion stehen, so regt doch die religionswissenschaftliche
Durchführung des vertretenen Prinzips zu Auseinandersetzungen
an, denen sich eine Besprechung nicht entziehen darf.

Es wird in dem vorliegenden Buche nicht restlos klar, in
welcher Weise die übergreifende Intention religionswissenschaftlich
realisiert werden soll. Gegen Schluß (S. 231) führt der Verf.
aus, daß das Vorurteil eines wesentlichen Unterschiedes zwischen
den Primitiven und uns kein legitimer Ausgangspunkt für religionswissenschaftliche
Studien sei. Man braucht nur Gustav
Menschings verfehlte Versuche einer Einteilung der Religionen
nach ihrem „Rasseboden" sowie desselben Verf.s gleich tendenziöses
Schriftchen über Meister Eckart anzusehen,2 um zu wissen
, wie sehr van Baaren mit seinem hermeneutischen Grundsatz
im Recht ist.

Jedoch lassen weite Strecken des Buches eine hiervon deutlich
zu unterscheidende Absicht erkennen, nämlich das Bemühen,
die Einheit der Menschen religionswissenschaftlich zu erweisen.
Es kann nun sicher kein Zweifel darüber bestehen, daß das vorliegende
Buch erhellende Bemerkungen zu diesem Problem enthält
, vor allem jene über die Unterschätzung unseres eigenen
Konformismus im Vergleich mit dem Spielraum, den die häufig
als rein kollektiv abgewerteten primitiven Gemeinschaften dem
Individualismus einräumen (S. 21), Bemerkungen, die man gern
durch den Rückgriff auf die hierfür grundlegenden Untersuchungen
von Tor Andrae gestützt gesehen hätte.3

Dennoch wird man hinsichtlich des humanitären Ideals über
Wirksamkeit und Schlüssigkeit dieser Methode diskutieren müssen
, und zwar zunächst generell im Hinblick auf die Frage, ob
das begleitende Werturteil, zu dem in jeder hierfür zuständigen
Disziplin eine wissenschaftliche These dieser Art führt,1 sich
letztlich nur einem primären und im Religiösen fundierten Ethos
unterordnet. Speziell religionswissenschaftlich aber ist zu fragen,
ob gerade die vom Verf. vertretene Zielsetzung es erlaubt, die
Primitivreligion hier nun doch wieder gesondert zu behandeln,
oder ob sie vielmehr dringend eine durchgängige Heranziehung
der Hochreligionen erfordert, die wohl zu dem humanitär nicht
minder wichtigen, aber von der hier vertretenen These abweichenden
Ergebnis führen würde, daß die Religionen der schriftlosen
Völker sich von denjenigen der schriftbesitzenden im wesentlichen
nicht stärker unterscheiden als letztere untereinander.

Bei der Behandlung von Spezialfragen erscheint die Ausklammerung
der Religionen von Hochkuituren besonders dann problematisch
, wenn nicht allein phänomenologische Übereinstimmungen
, sondern zusätzlich historische Bezüge deren Heranziehung
geradezu erheischen. So erwartet man bei der Darstellung
des afrikanischen Gottkönigtums (S. 138 ff.) die Bezugnahme
auf Ägypten als den zumindest für Teile Afrikas nachweisbaren
Ausgangspunkt.5

Auch bei den Ausführungen über die Problematik eines schroffen
Unterschiedes zwischen Mono- und Polytheismus (S. 51 ff.)
hätte die Berücksichtigung von Glaubensformen in Hochkulturen
klärend wirken können - und vor allem eine Heranziehung der
vielfältigen Forschungen Geo Widengrens zum Hochgottglauben,
die in dessen Religionsphänomenologie eine Zusammenfassung
gefunden haben.6

*) Gustav Mensching, Vergleichende Religionswissenschaft, Leipzig 1938;
Ders., Allgemeine Religionsgeschichte, Leipzig 1940; Ders., Vollkommene
Menschwerdung bei Meister Eckart, Amsterdam - Leipzig 1942.

3) Tor Andrae, Die letzten Dinge, Leipzig 1940, S. 159-207: Kollektivismus
und Individualismus in der Religion der Primitiven.

*) Wenige Jahre vor dem holländischen Original des vorliegenden Buches
„Wij mensen" (Utrecht 1960) erschien eine kultur-anthropologische Veröffentlichung
gleichen Titels von L. Onvlee (Groningen 1956); vgl. auch J. Blauw,
Religie en inter-religie, Kampen 1962, S. 9.

5) Vgl. G. Lanczkowski, Eine südliche Ausstrahlung aitägyptischer Glaubensformen
, in: Saeculum 12, 1961, S. 131 ff.

6) Geo Widengren. Religionens värld, 2. Aufl., Stockholm 1953, S. 54 ff.

Das Bestreben des Verf.s, Vorurteile gegenüber den Primitiven
auszuräumen, führt ihn zur apodiktischen Ablehnung eines
Vergleichs primitiver Kunst mit derjenigen von Kindern (S. 219).
Warum eigentlich? Verdanken wir doch gerade einem solchen
Vergleich wesentliche Einsichten in die Kunst der Hochkultur
Altägyptens.7 Eine Heranziehung ägyptischen Materials hätte
wohl auch dem nur knapp gestreiften Unterschied zwischen
perspektivischer und aperspektivisclier Wiedergabe (S. 221) mehr
Bedeutung zukommen lassen.8

Derartige Überlegungen mögen demonstrieren, daß wie es
neben den edlen Intentionen, die der Verf. vertritt, mit einer
Publikation zu tun haben, deren Stoffülle und gedankliche Verarbeitung
geeignet sind, grundsätzliche Fragen der Religionswissenschaft
anzuregen.

Heidelberg Günter Lanczkowski

7) Heinrich Schäfer, Von ägyptischer Kunst, 3. Aufl., Leipzig 1932.

8) Vgl. hierzu vor allem Walther Wolf, Die Kunst Ägyptens, Stuttgart 1957,
S. 276, wo dieser Unterschied mit anthropo- bzw. theozentrischer Weltsicht In
Verbindung gebracht wird.

Chakmakjian, Hagop A., A. B., B. D., Th. D.: Armenian
Christology and Evangelization of Islam, A Survey of the
Relevance of the Christology of the Armenian Apostolie Church
to Armenian Relations with its Muslim Environment. Leiden:
Brill 1965. XIII, 146 S. gr. 8°. Lw. hfl. 20.-.

Es handelt sich um ein eigenartiges Buch, das in der Mitte
zwischen wissenschaftlicher Betrachtung und missionarischem
Auftrag steht, aber in seiner Zielsetzung wohl doch von irrigen
Voraussetzungen ausgeht: glaubt der Vf. doch, daß gerade die
armenische Kirche einen besonderen Auftrag zur Gewinnung
der Muslime für das Christentum habe. Ist schon das eine eigenartige
Vorstellung für den, der die vielen Reserven kennt, denen
die Armenier unter den Völkern des Nahen Ostens ausgesetzt
sind, so tritt Ch. überdies dafür ein, daß nicht etwa die armenische
Kirche, wie sie ist, diesen Auftrag erfüllen könne. Sie müsse
sich vielmehr zuerst aus der dogmatischen Vereinsamung ihres
monophysitischen Bekenntnisses lösen und dazu noch die enge
Verbindung zum Nationalbewußtsein aufgeben, also eine Kirche
werden, die ebenso Armeniern wie andern Nationen offenstehe,
bevor sie ihrem Auftrage gerecht werden könne. Wieviel Armenier
wären wohl bereit, diesen beiden Forderungen nachzukommen
und damit zuzugestehen, daß die armenische Kirche
sich 1500 Jahre auf einem Irrwege befand?

Gewiß wird der Christ den missionarischen Auftrag auch der
armenischen Kirche ernst nehmen. Er mag sich auch mit dem
Vf. fragen, warum dem morgenländischen Christentum so gar
keine Wirkung den Muslimen gegenüber beschieden war. Doch
vermag der, der das Verhalten des Islams dem Christentum
gegenüber kennt, sich nicht vorzustellen, daß eine modifizierte
Christologie, die auf die menschliche Natur des Erlösers mehr
Wert legt, eine größere Anziehungskraft hätte. Beweist doch
die gleiche Erfolglosigkeit des Nestorianismus, der diese Bedingung
erfüllte, daß nicht hier das Problem einer Gewinnung von
Muslimen liegt, jener religiösen Gemeinschaft, die als einzige
dem Christentum gegenüber stets völlig immun war: so wie das
Judentum auf Christen keine religiöse Anziehungskraft ausübt,
weil es als Vorläufer-Religion empfunden wird, deren wesentliches
Anliegen sich im Christentum erfüllte und erhöhte.

Aber auch die Zumutung an seine armenischen Landsleute,
gerade die Elemente ihres Glaubens aufzugeben, die ihnen das
wirklich Wesentliche sind: der bewußte Gegensatz zur byzantinischen
Orthodoxie und zum Griechentum überhaupt, ferner
die enge Verquickung nationalen und religiösen Empfindens,
das, wie Ch. ganz richtig sagt, den Armeniern wesentlich ihr
Überleben als Nation ermöglichte - eine solche Zumutung zeigt,
daß der Vf. sich im Reiche der Illusion bewegt. Hinsichtlich ihres
religiösen Anliegens dürfte der Arbeit also kein wesentlicher
Erfolg beschieden sein. Beachtenswert ist demgegenüber die recht