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Ausgabe:

1967

Spalte:

649-650

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Braun, Markus

Titel/Untertitel:

Reformation des Theologie-Studiums 1967

Rezensent:

Lohse, Jens-Marten

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649

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9

650

ALLGEMEINES

Braun, Markus, Dr.: Reformation des Theologie-Studiums.

Hamburg: Reich 1966. 131 S. gr. 8°. DM 10.-.

Die seit dem Ende des ersten Weltkrieges in Permanenz geführte
Diskussion zur Reform des Theologiestudiunis scheint
sich jetzt endlich derartig zu verdichten, daß doch noch mit konkreten
Ergebnissen gerechnet werden kann. Schon die literarische
Lage deutet auf einen Wandel hin. So ist die stetige Flut
von Aufsätzen und Stellungnahmen in zwei jüngst erschienenen
Monographien zur Studienreform zusammengefaßt worden.1

Braun handelt das Thema in 3 Gedankengängen ab: I. Zur
gegenwärtigen Lage, Et. Enzyklopädische Überlegung, III. Zum
Neuaufbau des Studiums. Die Literatur ist breit und umfassend
verarbeitet.2

1. Nützlich ist die Aufnahme der Begriffe „Struktur" und
..Ordnung" und ihre Anwendung auf die Studiengestaltung (S.
26-30). Planung und Organisation sind im Raum der Institutionen
von Theologie und Kirche eben nicht nur lästige, gar hinderliche
Nebensachen, sondern die höchst notwendigen Voraussetzungen
für ihren Bestand und ihre Zukunft.

2. Die Bedeutung der Braunschen Schrift liegt darin, daß er
versucht, das Ganze der Theologie in ihrem Sachbestand enzyklopädisch
aufzuarbeiten (S. 31-75). Enzyklopädie war ja in
letzter Zeit als theologische Disziplin nahezu erloschen. Deshalb
ist Brauns Arbeit verdienstvoll, auch wenn die Entfaltung der
eigenen Konzeption zu kurz kommt, und er sich mehr oder
weniger vor allem auf Karl Barth3 und Hans Georg Fritzsche''
stützt. So nimmt es nicht wunder, dafj er in der Aufnahme von
Barths Gedanken die Selbständigkeit der Kirchengeschichte als
eigener theologischer Disziplin lang und breit bestreitet und nur
drei grundlegende Aufgaben der Theologie anerkennt, die sich
in drei Disziplinen manifestieren müssen. Diese drei Disziplinen
heißen bei ihm exegetische, systematische und „praktologische"
Theologie und sollen den von Fritzsche analysierten Typen der
kritischen, doktrinären und Verkündigungsr-Theologie entsprechen
(S. 32 f.). Fritzsches vierter Typ, die „Kultur und Bildungstheologie
", muß freilich als „uneigentlich" entlarvt werden, damit
es bei der Dreiheit bleibt, die sich dann auf Vergangenheit
, Gegenwart und Zukunft verteilen läßt (S. 52). Natürlich
kann Braun das, was in der Kirchengeschichte getrieben wird,
nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. So definiert er die
exegetische Theologie im wesentlichen als Zusammenfassung von
AT, NT, Kanons- und Auslegungsgeschichte. Der systematischen
Theologie wird die Dogmengeschichte zugeschlagen. Die „praktologische
" Theologie besorgt die Geschäfte von Konfessionskunde
, ökumenik und Religionswissenschaft. Am Ende dieser
Überlegungen steht aber dann das Zugeständnis, dafj sich „das
/Reich' der Historie nie völlig in das der Theologie integrieren"
läßt (S. 59) und daß deshalb doch Kirchengeschichte, wenn auch
stark reduziert, bestehen bleibt. Während Brauns Bemerkungen
2ur systematischen Theologie oft ausgesprochene Forderungen
wiederholen - systematische Theologie wird auf ihre Gegenwartsaufgabe
im Gespräch mit der Philosophie gewiesen (S.
60 -65) -, verdient der Abschnitt über die - von ihm so genannte
- praktologische Theologie hervorgehoben zu werden.
Diese Disziplin, die durch Diskussion mit den Sozialwissenschaften
ihren Realitätsbezug erhält, drängt durch ihre Zukunfts-
bezogenheit zu einer ökumenisch-missionarischen Theologie (S.
65-79).

0 Außer der Schrift von Broun ist das ausführliche Gutachten des Fachverbandes
Evangelische Theologie im Verband Deutscher Studentenschaften (VDS)
-Theologiestudium". München 1965, zu nennen.

2) In der nachtraglich eingefügten Auseinandersetzung mit dem Fachverbandsgutachten
(S. 20—23) hat er leider die Polemik über die Sachlichkeit gestellt
. Er zitiert übrigens den Fachverband immer als „Fachschaft", was von
mangelnder Sachkenntnis zeugt.

3) K. Barth, Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik (KD I, 1), 7. Aufl. 1955.
*) H. G. Fritzsche, Die Strukturtypen der Theologie, Bertin u. Göttingen 1961.

3. Im Kapitel, das dem Neuaufbau des Studiums gewidmet
ist, stimmt Braun in den sich ausbreitenden Konsensus über die
Neustrukturierung des Studiums in Grund- und Hauptstudium
ein (S. 80-123). Beide Phasen sollen je 5 Semester dauern. Im
Grundstudium ist die Übersichtsvorlesung die Hauptarbeitsform.
Für jede der drei Disziplinen sollen zwei Übersichtsvorlesungen
und je ein Einführungsseminar gehalten wenden. Dazu kommen
noch drei nichttheologische Übersichtsvorlesungen in Geschichtswissenschaft
, Philosophie und Sozialwissenschaft. Als Abschluß
fordert Braun eine Zwischenprüfung. Gut sind die Überlegungen
zur Frage der alten Sprachen (S. 98-106). Eine Reduktion ist aus
mancherlei Gründen nötig, mindestens jedenfalls in Latein. Im
Hauptstudium liegt der Akzent auf der Spezialisierung der theologischen
Aufgaben. Das Seminar ist hier die Hauptarbeitsform.
An dieser Stelle schiebt Braun einen höchst notwendigen Blick
auf das Ziel des Studiums, die kirchliche Wirklichkeit, ein. Eine
noch ausführlichere Behandlung gerade dieses Themenkreises
hätte für die gegenwärtige Diskussion um eine Studienreform
besonders bedeutungsvoll sein können. Zium Abschluß bleibt
festzustellen, daß eine Reihe von Fragen leider kaum oder gar
nicht diskutiert werden. So die Examensordnungen, vor allem
aber die praktisch-theologische Ausbildung nach dem ersten Examen
. Nachteilig wirkt sich auch aus, dach Braun oft ganze Partien
kaum aus eigenem Text gestaltet sondern ein Zitat an das
andere reiht.

Heilbronn Jens-Marten Lohse

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Baaren, Th. P. van: Menschen wie wir. Religion und Kult der
schriftlosen Völker. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd
Mohn [1964). 240 S. gr. 8°. Lw. DM 28.-.
Angesichts des noch immer wachsenden Materials über die
Religionen schriftloser Völker stellt eine neuerliche Überschau
zweifellos ein echtes Desiderat dar. Der Verf. des vorliegenden
Buches hat diese Aufgabe mit einer äußerst reichen Stoffsammlung
gelöst, die die Grundlage einer sehr informativen Darstellung
bietet. Dabei macht er, obwohl er selbst eindringlich gegenüber
unzulässigen Verallgemeinerungen die prinzipielle Unein-
heitlichkeit der primitivreligiösen Welt hervorhebt (S. 20 f.), doch
in einer für den Phänomenologen wissenschaftlich legitimen
Weise von der Aufgliederung einer Gesamtübersicht in die wesentlichsten
Elemente primitiver Religiosität Gebrauch; einzelne
dieser Abschnitte, wie besonders derjenige über Mythos (S. 184
ff.), sind überaus anregend und werden wesentlich zur Klärung
der weiteren Diskussion beitragen.

Das Verdienst des Buches besteht jedoch nicht allein in einer
übersichtlichen Darbietung des Stoffes, sondern in noch stärkerem
Maße darin, daß es wissenschaftliche Begriffsanalysen
bietet und in einer Weise, wie dies früher bereits vor allem
Heinrich Frick und Geo Widengren getan haben,1 eine kritische
Sichtung der verschiedenen Theorien über die Religionen der
schriftlosen Völker vornimmt. Der Standpunkt des Verf.s ist dabei
durch eine entschiedene Abkehr von extremen Anschauungen
gekennzeichnet, wie sie sich vor allem äußert in seiner generellen
Einschätzung der schriftlosen Völker; hier wendet er sich
ebenso gegen eine romantische Überbewertung des „bon sauvage"
wie besonders gegen eine Abwertung im Sinne des „Wilden"
und „Barbaren", gegen die er auch die offensichtlich schwer
vermeidbare, aber leicht Mißverständnisse hervorrufende Bezeichnung
„Primitive" nachdrücklieh abgrenzt. Es ist deutlich,
daß der Verf. hiermit wissenschaftlich sowohl idealistischen als
auch evolutionistischen Theorien widerspricht.

In engem Zusammenhang hiermit steht die mit dem programmatischen
Titel „Menschen wie wir" zum Ausdruck kom-

') Heinrich Frick, Ober den Ursprung des Gottesglaubens und die Religion
der Primitiven, in: Theologische Rundschau, NF 1, 1929, S. 241-265; Geo Widen-
gren, Evolutionism and the Problem of the Origin of Religion, in: Ethnos 10,
Stockholm 1945, S. 57-96.