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Ausgabe:

1967

Spalte:

631-633

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Klauser, Theodor

Titel/Untertitel:

Kleine Abendländische Liturgiegeschichte 1967

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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des niederländischen Theologen Miskotte aufzugreifen: wir
brauchen wieder wie die Synagoge das „Lehrhaus", nicht eine
Lehrkirche.

Vielleicht müfjte für die Zukunft der Barthsche Ansatz noch
stärker herausgearbeitet werden, wenn man sich Gedanken über
Ort und Wert der Bibelarbeit heute und morgen zu machen hat.
Von dem Auftrag der Gemeinde in der Welt her müfjte durchdacht
werden, was es mit „einer den Fragen der welthaften
Verkündigung zugewandten Diensthaltung" (238) auf sich hat!
Meiner Ansicht nach haben gerade die Kirchen in der DDR hier
einige Erfahrungen einzubringen, die den Pessimismus des Verfassers
widerlegen können, nach der sich Bibelarbeit in einer
Krise befinde (13). Weil durch die Ablösung der Volkskirche der
Auftrag des einzelnen Christen in der Welt wieder unverfälscht
und klar in den Blick kommt, weil er unaustauschbar und unableitbar
wird und ungesichert nach links und rechts, weil er
schöpferischen Umgang des einzelnen mit der Schrift nicht nur
zur Belebung des Gemeindelebens, zur Stärkung der persönlichen
Frömmigkeit, sondern zur Bewältigung des Auftrages lebensnotwendig
macht, wird die Bibel in der Hand der Gemeinde
wieder interessant, wobei die Impulse gerade von denjenigen
ausgehen, die nicht in christlichen oder kirchlichen Traditionen
großgeworden sind. Merkwürdigerweise fehlen in dem Buch
(und wahrscheinlich ja auch in der verarbeiteten Literatur) die
Bibelstellen, die es mit dem „Prüfen* und „Richten* zu tun haben
(1. Joh. 4,1; Römer 12,2; Epheser 5,10; 1. Thess. 5,21; 1.
Kor. 14,29) und die nicht erst im diakonischen, sondern im
streng theologischen, im „Lehr"-Raum der Kirche die Beschäftigung
des Laien, der ganzen Gemeinde mit der Bibel fordern.

Das Buch wird mündigen Laien und aufgeweckten Pfarrern
sehr gute Dienste tun. Es wäre zu wünschen, daß es seinen
Einfluß nicht nur in den Gemeinden geltend macht, die neue
Wege gehen, sondern auch in den Fakultäten, damit sie in die
Lage versetzt werden, Wegweiser zu stellen für diese neuen
Wege.

Karl-Marx-Stadt Dietrich Mendt

LITURGIEWISSENSCHAFT

Klauser, Theodor: Kleine Abendländische Liturgiegeschichte.

Bericht und Besinnung. Mit zwei Anhängen: Richtlinien für die
Gestaltung des Gotteshauses. Ausgewählte bibliographische
Hinweise. Bonn: Hanstein 1965. 245 S., 1 Taf. 8°. Kart. DM
17.-; Lw. DM 22.50.
Aus dem kleinen, 31 Seiten umfassenden „Heft nicht starken
Umfangs, aber starken Inhalts", das L. Fendt in einem Sammelbericht
„Zur Liturgiewissenschaft" in Jg. 75/1950, Sp. 335-342
dieser Zeitschrift besprochen hat (vgl. dort auch Sp. 129-136), ist
inzwischen ein umfangreiches Buch geworden, das seine Verwandtschaft
mit dem mageren Vorfahren zunächst nur durch den konstanten
Titel - der im Vergleich zu 1949 sogar noch bescheidener
wurde! - zu erkennen gibt. Bei näherem Zusehen zeigt es sich
jedoch bald, daß nicht nur Grundriß und Aufbau, sondern auch
Skopus und Zielsetzung der Arbeit durch die Jahre hindurch im
wesentlichen gleich geblieben sind. Bei der zur Besprechung vorliegenden
Veröffentlichung handelt es sich um die 5., „stark
erweiterte" Auflage.

Die Einteilung der Geschichte des abendländischen Gottesdienstes
in vier klar voneinander abgrenzbare Perioden, die bereits
den Grundriß der früheren Fassungen bestimmte, ist unverändert
auch in die neue Auflage übernommen. Innerhalb der einzelnen
chronologischen Abschnitte zeichnet K. zunächst ein Gesamtbild
der jeweiligen Epoche und geht dann im weiteren auf Spezial-
probleme ein, die sich der Forschung für den betreffenden Zeitraum
stellen.

Da ist zunächst die Periode der „schöpferischen Anfänge"; sie
reicht in der Darstellung K.'s von der Himmelfahrt Jesu bis zu
Gregor dem Großen. Schon hier zeigt es sich, dafj K. keineswegs
daran denkt, Liturgiegeschichte beziehungslos zu den Fragen der
gottesdienstlichen Erneuerung zu betreiben, wie sie gegenwärtig

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in der Kirche Roms zur Lösung anstehen. Auf die zahlreichen
Bezugspunkte, die sich naturgemäß ergeben, wird der Leser unaufdringlich
, aber unüberhörbar aufmerksam gemacht.

K. befaßt sich im Zusammenhang dieses Abschnitts mit dem
Wechsel von der griechischen zur lateinischen Liturgiesprache, wie
er sich im Rom des 4. Jahrhunderts vollozg; der selbstverständliche
Gebrauch der Volkssprache, wie er in diesem Vorgang in
Erscheinung tritt, muß nach Meinung des Verf. zweifellos Konsequenzen
auch für die heutige Praxis haben (S. 27 f.). K. untersucht
die Form, die das eucharistische Hochgebet bei Hippolyt hat; es
wird deutlich, daß nach seiner Auffassung der jetzige römische
Kanon gegenüber dieser frühen Gestalt an Klarheit der Struktur
und Aussage viel eingebüßt hat und notwendig einer Reform
bedarf (S, 22; 28). K. weist auf die säkulare, „konstantinische"
Herkunft zahlreicher liturgischer Insignien, Ehrenrechte und Riten
hin und will so ausdrücklich davor bewahren, „diesen Elementen
ein zu großes Gewicht beizulegen" (S. 39). Weitere Spezialdar-
stellungen im Rahmen der ersten Periode gelten der Mysterienlehre
Odo Casels (mit der sich K. kritisch auseinandersetzt), der
Stellung Christi im liturgischen Gebet (J. A. Jungmann) und den
Besonderheiten des Formelgutes in der römischen Liturgie.

_ Der zweite Abschnitt („Die Periode der fränkisch-deutschen
Führung: Von Gregor dem Großen bis Gregor VII.") ist erheblich
erweitert, insbesondere durch die sehr instruktive Schilderung
einer römischen Bischofsmesse um 700. Mit erstaunlichem Geschick
gelingt es dem Verf., die verwickelte Geschichte der römischen
Liturgie in dieser Epoche samt ihren Wanderungen und komplizierten
Kodifizierungsvorgängen zu verdeutlichen und auch einem
weiteren Kreise einsichtig zu machen.

Der Wegfall des Gläubigengebets, der sich in dieser Zeit vollzieht
, wird vom Verf. negativ bewertet; eine Erneuerung ist unbedingt
erforderlich: „Was wir brauchen, ist ein Fürbittgebet,
das die Gläubigen beim Gottesdienst aufhorchen läßt, weil es
konkret zur Sprache bringt, was sie im Augenblick bewegt"
(S. 58 f.). Die vom II. Vatikanum in die Wege geleitete Auflockerung
der „jahrhundertealten eisernen Uniformität" wird unter
Hinweis auf die Variabilität der liturgischen Formulare, wie sie
seinerzeit sogar in Rom bestand, begrüßt (S. 63). An den Formen
des „Pontifikalamtes", wie sie sich in dieser Zeit entwickeln,
wird Kritik geübt (S. 72 ff.). Der fränkisch-deutsche Beitrag zur
römischen Liturgie wird nachdrücklich hervorgehoben; eine Reform
des Festkalenders (Vorrangstellung des Sonntags, Beseitigung
sekundärer Feste) wird gefordert.

Die kritische Darstellung K.'s erreicht bei der Behandlung der
dritten Periode („Von Gregor VII. bis zum Konzil von Trient")
ihren Höhepunkt. Schon der Wechsel in der Überschrift dieses
Abschnitts ist bezeichnend (1949: „Die Epoche der Vereinheitlichung
"; 1965: „Die Periode der Auflösung, der Wucherungen,
der Um- und Mißdeutungen").

So vernichtend wie diese Kapitelüberschrift ist auch die Kritik
des Verf. an einzelnen liturgischen Erscheinungen dieser Epoche:
der „erwachende liturgische Zentralismus Roms", die weitere Zunahme
der Feste, die Wucherungen im Stundengebet, die Häufung
und Vieldeutigkeit der Kniebeugungen (S. 97 ff., 114 ff.). Die
Hauptkritik des Verf. gilt jedoch mit Recht der Zerstörung des
Gemeinschaftscharakters des Gottesdienstes, wie sie sich in dieser
Periode - Hand in Hand mit dem Aufkommen der Privatmesse -
vollendet: der Gottesdienst wird in fortschreitendem Maße kleri-
kalisiert, das Volk aus dem liturgischen Vollzug verdrängt. Die
sinn- und strukturzerstörenden Folgen, die dieser verhängnisvolle
Vorgang nach sich gezogen hat, werden eindrücklich dargestellt.

Als K. 1943 zum ersten Mal das Thema bearbeitete, war die
vierte Epoche „des Stillstandes oder der Rubrizistik" noch unmittelbare
, bedrängende Gegenwart; 1965 gehört diese „Periode
der ehernen Einheitsliturgie" bereits unwiderruflich der Vergangenheit
an, und ein neuer Abschnitt hat begonnen: .... denn
daß mit dem noch laufenden Konzil eine neue Epoche der Liturgiegeschichte
angebrochen ist, kann jetzt schon mit Bestimmtheit
gesagt werden* (S. 8).

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 8